Baden-Württembergs Justizminister Rainer Stickelberger (re.) und Verkehrsminister Winfried Hermann Foto: dpa

Ausstiegskosten von S21: Der Justizminister warnt Verkehrsminister vor "erheblichen Risiken". 

Stuttgarft - Justizminister Rainer Stickelberger (SPD) hat Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) vor "äußerst zweifelhaften" Angaben zu den Ausstiegskosten bei S21 und vor einer "unbegrenzten Haftung" des Landes gewarnt. Doch Hermann ist dem Rat des Kollegen nicht gefolgt.

Die grün-rote Koalition steht vor der nächsten Zerreißprobe: Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) setzt sich offenbar über massive Bedenken seines für die Justiz verantwortlichen Kabinettskollegen Rainer Stickelberger (SPD) hinweg, wenn er die Ausstiegskosten des Landes aus dem Bahnprojekt Stuttgart21 mit 350 Millionen Euro angibt.

Kritik an den Texten der Projektgegner

Stein des Anstoßes ist die 14-seitige Infobroschüre der Landesregierung, die jeder Haushalt in Baden-Württemberg vor der Abstimmung am 27.November erhalten soll. In der Broschüre stellen Gegner und Befürworter in einer Zehn-Punkte-Liste ihre grundverschiedenen Positionen zu S21 dar. Verantwortlich für die Argumentation gegen das Projekt - was ein Ja bei der Abstimmung über das sogenannte Ausstiegsgesetz bedeuten würde - ist das Ministerium von Hermann. Für S21 argumentiert Wirtschafts- und Finanzminister Schmid (SPD).

Das Justizministerium ist von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) aufgefordert worden, die Broschüre vor der Druckfreigabe zu prüfen. In einem vierseitigen Schreiben vom 10.Oktober, das unserer Zeitung vorliegt, haben die Juristen daraufhin zwei kleinere Korrekturen im Text der S-21-Befürworter und am Vorwort der Staatsrätin Gisela Erler angeregt.

Die Kritik an den Texten der Projektgegner fällt umfänglicher aus: Gegen deren Formulierung, dass die Legitimation von S21 durch "falsche" Information der Parlamente beeinflusst wurde, habe man "erhebliche Bedenken", weil es einen "gravierenden Vorwurf" gegen die Bahn AG beinhalte, warnt das Justizministeriums. "Eine derartige Aussage sollte allenfalls dann aufrecht erhalten bleiben, wenn dem Ministerium für Verkehr und Infrastruktur tatsächlich belastbare Materialien hierzu vorliegen", heißt es in der Stellungnahme.

"Äußerst zweifelhafte" Zahlen

Solche Belege konnte Hermann wohl nicht vorlegen. Ein Abgleich mit der unveröffentlichten Infobroschüre, die unserer Zeitung vorliegt, zeigt nämlich, dass Hermann an dem Punkt dem SPD-Mann folgt. Das Wort "falsch" ist im Prospekt durch ein "unvollständig" ersetzt worden.

Bei den Ausstiegskosten fällt die Kritik aus dem Justizministerium noch schärfer aus. Gegen die Aussage, dass ein Ausstieg für das Land höchstens 350 Millionen Euro koste, habe man "erhebliche Bedenken", heißt es im Schreiben. Solche Zahlen seien "äußerst zweifelhaft", da man nicht nur Forderungen des Landes, sondern Forderungen von "allen" Vertragspartnern abwarten und berücksichtigen müsse, belehrt das Justizressort das Verkehrsressort.

Sollte es nach einem Ausstieg des Landes zum Rechtsstreit kommen - was die Bahn bereits angekündigt hat - entsteht laut Justizministerium ein "erhebliches Haftungsrisiko" für das Land. Lehne das Gericht die Kündigungsgründe der S-21-Verträge ab, komme sogar "eine unbegrenzte Haftung für alle den Vertragspartnern entstanden Schäden in Betracht", so die Juristen .

S21 und ICE-Strecke vertraglich gekoppelt

Die deutlichen Worte aus dem Justizministerium haben Hermann nicht geschreckt; nur ein "dürfte" schwächt die Passage zu den Ausstiegkosten nun ab. Auch der Hinweis der Juristen, dass S21 und die ICE-Strecke Wendlingen-Ulm vertraglich gekoppelt sind, bleibt nahezu unberücksichtigt.

Justizminister Rainer Stickelberger ist ein erklärter Gegner von S21. Sein Auftritt beim Landesparteitag der Grünen vor vier Wochen brachte dem 60-Jährigen viel Sympathie bei S-21-Kritikern ein; kommende Woche ist ein Auftritt beim Forum der Projektkritiker auf dem Stuttgarter Marktplatz geplant. Umso schwerer wiegt für politische Beobachter Stickelbergers Kritik an Hermanns Argumentationen.

Von einem besonderen Streitfall wollen die beiden Ministerien am Montag freilich nichts wissen. Der grün-rote Konflikt bei S21 sei ja "altbekannt", erklärt das Justizministerium, außerdem habe die damalige Kritik nur einem Entwurf des Verkehrsressorts gegolten. "Am Ende hatte keine Seite Einwände mehr; der Text wurde vom Staatsministerium im Einvernehmen mit der SPD-Seite freigegeben", betont Hermann. Die Opposition will am Mittwoch im Landtag vom Verkehrsminister wissen, wie er zu den Warnungen des Justizministers steht.