Jungen im Militäranzug: Der "Tanz" soll an das Kriegsjahr 1915 erinnern. Foto: Fahrland

Kinder in Militäruniform - traditionelle Veranstaltung türkischer Gemeinde befremdet. Keine Einladung an Bürgermeister.

Vöhringen-Wittershausen - Nicht nur landestypische Tänze und die Nationalhymne standen beim "Internationalen Kinderfest" auf dem Programm. Beim Brief eines türkischen Soldaten und einem Auftritt von Kindern im Militäranzug konnte von kindlicher Unbeschwertheit keine Rede mehr sein.

Etwas zeitversetzt hatte der türkische Elternbeirat für Oberndorf, Vöhringen und Umgebung am Maifeiertag zum alljährlichen "Internationalen Kinderfest" eingeladen, das zum zweiten Mal in der Turn- und Festhalle Wittershausen stattfand, aber schon jahrzehntelang in der Region gefeiert wird.

Die Veranstaltung war allem Anschein nach bei den türkischstämmigen Familien beliebt und entsprechend gut besucht. In der Halle herrschte lebhaftes Treiben. Für die Kinder gab es Popcorn und eine Tombola, am Buffet war mit süßen Leckereien und türkischen Köstlichkeiten für das leibliche Wohl gesorgt. Die Einladung versprach ein "tolles und buntes Programm mit viel Musik, Tanz und Unterhaltung", gestaltet von türkischen Schülern.

Die Vorzeichen standen gut. "Alle Kinder in der Welt am 23. April Hand in Hand" verkündete das zentrale Banner an der Bühne, ergänzt vom hoffnungsvollen Leitsatz "Yurtta sulh, cihanda sulh" (zu deutsch: "Frieden in der Heimat, Frieden in der Welt"). Ein weiteres Atatürk-Zitat bediente den Nationalstolz, denn "Ne mutlu türküm diyene" bedeutet in etwa "wie froh ich bin, Türke zu sein".

Vom Kinderfest-Motto "Cocuklaimiz gelecegimizdir" ("Unsere Kinder sind unsere Zukunft") hatte schon die Delegation gesprochen, die dem Oberndorfer Bürgermeister Hermann Acker im Vorfeld einen Besuch abgestattet hatte.

Zu Beginn zogen alle 55 mitwirkenden Kinder und Jugendlichen zur Kinderfest-Hymne fähnchenschwenkend auf die Bühne, die mit türkischen Flaggen und dem Halbporträt von Mustafa Kemal Atatürk geschmückt war. Seine Silhouette fand sich auf den einheitlich bedruckten Kinder-T-Shirts wieder. Nach der türkischen Nationalhymne begrüßte die Vereinsvorsitzende Ayse Yildirim aus Hochmössingen die Anwesenden in ihrer Muttersprache. Bedeutung und Stellenwert des Kinderfestes ging aus den Erklärungen hervor, die der Nachwuchs auf Türkisch und Deutsch verlas.

Verantwortung und Macht übernehmen

Atatürk hatte die Konstituierung des türkischen Parlaments am 23. April 1920 zum Anlass genommen, das Kinderfest ins Leben zu rufen. Kinder dürfen symbolisch für einen Tag die Macht und Verantwortung übernehmen, die sie später als Erwachsene zu tragen haben. Das klingt sympathisch.

Die Tänze der niedlichen Kindergartenkinder und der in bunte Kostüme gehüllten Grundschüler entsprachen ganz den üblichen Erwartungen an ein Kinderfest. Ebenso viel Beifall galt einem Jungen, der alle zehn Strophen des Unabhängigkeitsmarsches auswendig vortrug, dessen erste zwei Strophen die Nationalhymne bilden.

Das weitere Programm fand nicht nur sprachlich komplett auf Türkisch statt. Auch inhaltlich war es viel stärker türkisch geprägt, als es das Wort "international" im Veranstaltungstitel vermuten ließe.

Seit Februar hatte die für die türkischen Schulen der Umgebung zuständige Türkisch-Lehrerin Sibel Yilmaz mit den Kindern geprobt. Ihr Sohn Furkan Kaan Yilman übernahm mit der ebenfalls 17-jährigen Hatice-Kübra Ökten die Ansagen und hatte einen Soloauftritt, bei dem er mit großer Intensität einen Monolog ins Mikrofon brüllte, der mit "Ben Türk Askeriyim" ("Ich bin ein türkischer Soldat") im Programm stand. Rückfragen bei der Vorsitzenden Yildirim und der Lehrerin Yilmaz ergaben, dass es in einem Brief an die Mutter um seine Gefühle gehe, falls er im Krieg sterben sollte. Nein, Angst sei da nicht im Spiel, da es im Islam eine große Ehre sei, für sein Land zu sterben, wurde erklärt.

Vier Auftritte später folgte mit "Çanakkale Dansi", was trotz der Musik nicht mehr als "Tanz" bezeichnet werden kann. Wie gefallene Soldaten lagen unter türkischen Flaggen halbwüchsige Jungen im Militäranzug, bevor sie sich zwischen gleichaltrigen Mädchen in weißen Kleidern über die Bühne bewegten.

Auftritte werfen teilweise Fragen auf

Was bei einem deutschen Zuschauer großes Unbehagen auslöst, schien für das türkischstämmige Publikum ganz normal zu sein und wurde mit ebenso viel Applaus quittiert wie die bunten Folklore-Tänze aus der Schwarzmeer- oder Ägäis-Region.

Auf die Frage nach dem Sinn erklärte eine Zuschauerin ohne sichtbare Regung, der Auftritt habe sich auf das Kriegsjahr 1915 bezogen, als viele Mädchen und Frauen ihre Brüder, Männer und Söhne verloren hätten. Eine Recherche ergab, dass Çanakkale Schauplatz einer der blutigsten Schlachten des Ersten Weltkriegs war, bei der der spätere Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk als Kommandant den Grundstein seiner politischen Karriere legte. Ob solche Szenen eines Kinderfestes würdig sind?

Und sie werfen Fragen auf im Vergleich zur gleichnamigen Veranstaltung in der Boller Mehrzweckhalle vor drei Jahren. Hatte nicht der Kinderzirkus Konfetti einen Auftritt beigesteuert und Bürgermeister-Stellvertreter Dieter Rinker die erfolgreiche Integration bei gleichzeitiger Beibehaltung der türkischen Sitten und Gebräuche gelobt? Deutsche Fahnen und die deutsche Hymne, die das gleichberechtigte Miteinander ausmachen, waren diesmal nirgendwo zu sehen.

Sowohl der Vöhringer Bürgermeister Stefan Hammer als auch die Wittershauser Ortsvorsteherin Kerstin Jauch erklärten auf Anfrage unserer Zeitung, keine Einladung des Türkischen Elternbeirats erhalten zu haben. Ob die Teilnehmer gerne unter sich blieben oder sich wirklich internationale Beteiligung gewünscht hätten und inwieweit die Einladung bei der Öffentlichkeit angekommen ist, konnte nicht geklärt werden.

Der 23. April gehört in der Türkei den Kindern. Seit den 1920er-Jahren wird dieser Tag von Kindern und Eltern mit bunten Festen an allen Schulen, auf Straßen und Plätzen mit internationaler Beteiligung gefeiert.

Unter dem Motto "Cocuklarimiz gelecegimizdir" ("Unsere Kinder sind unsere Zukunft") nahm Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk die Konstituierung des türkischen Parlaments am 23. April 1920 zum Anlass, diesen Tag als nationalen Unhabhängigkeits- und Souveränitätstag und zum Kinderfest zu erklären. Am 23. April sind seitdem nicht nur alle öffentlichen Amter und Institutionen geschlossen, sondem auch die Schulen.

Kinder dürfen all das tun, was den Erwachseneren vorbehalten ist, etwa das Amt des Bürgermeister oder eines Abgeordneten übernehmen oder als Polizist für Ordnung sorgen. Für einen Tag übernehmen die Kinder symbolisch die Macht und die Verantwortung. Atatürk initiierte das Fest, um damit zu einer besseren Erziehung im Sinne einer positiven Entwicklung des Landes, der Gesellschaft und der ganzen Menschheit beizutragen.