Während die Kanzlerin im WM-Urlaub ist, schießt ihr Vizekanzler Sigmar Gabriel quer – und springt Frankreichs Finanzpolitik als Brückenbauer bei. Eine Idee, die nicht ganz konform geht mit geltenden EU-Regeln?
Während die Kanzlerin im WM-Urlaub ist, schießt ihr Vizekanzler Sigmar Gabriel quer – und springt Frankreichs Finanzpolitik als Brückenbauer bei. Eine Idee, die nicht ganz konform geht mit geltenden EU-Regeln?
Berlin - Sigmar Gabriel (SPD) nutzte die Gunst der Stunde. Während Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) einige Tausend Kilometer entfernt voller Vorfreude auf den WM-Start der deutschen Mannschaft in Salvador de Bahia weilte, ließ der Vizekanzler im französischen Toulouse mindestens einen Versuchsballon steigen. Den Nachbarn und Freunden der sozialistischen Regierung in Paris baute der deutsche Wirtschaftsminister und SPD-Chef eine wunderbare Brücke zum Umgang mit dem dramatischen Haushaltsdefizit in Frankreich.
Oberstes Ziel, gerade nach dem Aufkommen rechter Parteien bei der Europawahl am 25. Mai, müsse mehr Wachstum und Arbeit in Europa sein. „Eine Idee dafür wäre, dass diejenigen, die ihren Staat reformieren, mehr Zeit zum Abbau von Defiziten bekommen“, sagte Gabriel beim Besuch des Airbus-Werks gemeinsam mit dem französischen Wirtschaftsminister Arnaud Montebourg.
In Berlin rieb sich der Koalitionspartner besorgt die Augen: Will da jemand die Kriterien des Stabilitäts- und Wachstumspaktes aufweichen, zu denen eben auch der verbindliche Abbau von Haushaltsfehlbeträgen zählt?
Gabriel ließ prompt klarstellen, dass es die Idee, Defizitstaaten mehr Zeit zum Schuldenabbau einzuräumen, nur dann gebe, wenn die Staaten im Gegenzug auch konkrete Reformen einleiteten. Gabriel dürfte mit seinem Vorstoß die Stimmung gerade in kriselnden EU-Staaten treffen. Dort fordern Spitzenpolitiker schon länger, Defizitkriterien zu lockern und beispielsweise Investitionen herauszurechnen. Neben solchen Investitionen sollen auch Ausgaben für Bildung, Entwicklungshilfe oder Verteidigung herausgerechnet werden, um deren Summe sich das Haushaltsdefizit dann reduzieren würde.
Gabriel könnte mit seiner Idee eines politischen Tauschgeschäfts, verbindliche Reformen gegen mehr Zeit beim Defizitabbau, auch mit Merkel in Konflikt geraten. Mit seinem jüngsten Vorstoß hat der Vizekanzler Stoff für sein nächstes Treffen mit Merkel schon geliefert. Die Kanzlerin hatte sich bislang dagegen ausgesprochen, einzelne Etatposten wie Investitionen oder Bildung von der Höhe des jeweiligen Haushaltsfehlbetrags abzuziehen.
Erstens glaubt Merkel nicht daran, dass sich Kostenblöcke exakt herausrechnen lassen. Und zweitens argwöhnen Skeptiker eines von Gabriel angeregten Zeitaufschubs, dass es manchen EU-Krisenstaaten nur darum gehen könnte, die tatsächliche Höhe ihres Defizits zu verschleiern.
Wasser auf die Mühlen jener Skeptiker kippte gestern auch der französische Rechnungshof, der Zweifel an dem 50 Milliarden Euro umfassenden Sparpaket der Regierung in Paris anmeldete. „Wenig dokumentiert“ oder „unsicher“ seien allein 30 Milliarden Euro der geplanten Einsparungen. Ein Kritikpunkt: In das Sparpaket seien Minderausgaben von Verwaltungen eingerechnet, über die die Regierung gar keine Kontrolle habe. Mit dem Sparprogramm will Paris sein Haushaltsdefizit wieder unter die Obergrenze von drei Prozent der Wirtschaftsleistung drücken. Für 2014 wird in Frankreich mit einem Etatdefizit von 3,8 Prozent gerechnet.
Gestern hatte Gabriel erst einmal der Regierungsalltag in Berlin wieder eingeholt. Vor jungen Wachstumsfirmen (Start-ups) betonte Gabriel, er werde sich weiter dafür einsetzen, steuerliche Anreize für Risikokapital zu schaffen. Diesem Tauschgeschäft Geld gegen Geld müsste nur noch die EU-Kommission zustimmen.