Ein psychiatrischer Gutachter hat vor Gericht über die Persönlichkeit von Drazen D. gesprochen. Foto: dpa

Psychiater gibt Einschätzung ab. Tat erfolgte nicht in "Trancezustand". Keine Anzeichen für Schizophrenie.  

Villingendorf-Rottweil - Drazen D. hört dem Gutachter stundenlang aufmerksam zu. Nach und nach versteinert sich die Miene des Angeklagten. Der psychiatrische Sachverständige kommt zu dem Schluss, dass der 41-Jährige schuldfähig ist – und die Morde von Villingendorf bewusst und geplant begangen hat.

"Er war zur Tatzeit steuerungsfähig." Diese Einschätzung des Psychiaters Charalabos Salabasidis war mit Spannung erwartet worden, spielt sie doch eine große Rolle bei der Urteilsfindung. Der Gutachter sagt am Montag vor dem Landgericht Rottweil klar: Aus seiner Sicht sind die Voraussetzungen für die Anwendung des Paragrafen 21, nach dem die Strafe bei verminderter Schuldfähigkeit gemildert werden kann, nicht erfüllt. Auch die Unterbringung in einem psychiatrischen Gefängniskrankenhaus sei nicht angezeigt.

Eine Therapie des 41-Jährigen sei nur schwer möglich, und wenn, dann sehr langwierig. Seine Persönlichkeitsstörung könne auch nicht medikamentös behandelt werden. "Was wollen sie denn da geben?" Die Prognose sei in alles Bereichen schlecht.

Gutachter: Verhaltensmuster zieht sich vermutlich durch gesamtes Leben von Drazen D.

Salabasidis hat den 41-jährigen Kroaten mehrfach eingehend befragt und untersucht. Schnell sei Drazen D.s "manipulativer Stil" deutlich geworden, er versuche zu seinen Gunsten Einfluss zu nehmen, mache ausschweifende Ausführungen und gebe grundsätzlich anderen die Schuld. Es sei bei verschiedenen Tests auch nicht auszuschließen gewesen, dass er simuliere.

"Sein Verhalten zieht sich vermutlich schon durch sein ganzes Leben", so der Gutachter. Er attestierte dem Angeklagte eine "kombinierte Persönlichkeitsstörung mit instabilen, dissozialen und paranoiden Anteilen". Seine frühere Alkoholsucht, Cannabiskonsum oder seine Kriegserlebnisse – das alles habe bei der Tat keine Rolle gespielt. Im Gegenteil: die Tatsache, dass er seit vier Jahren keinen Alkohol mehr trinke, zeige, dass er sich steuern kann.

Beim ersten Gespräch mit dem Psychiater habe Drazen D. noch behauptet, er habe zwar den Lebensgefährten seiner Ex-Partnerin und dessen Cousine erschossen, nicht aber seinen Sohn. Der Sechsjährige sei von einem Mann erschossen worden, der an den Tatort gekommen und ihm das Gewehr abgenommen habe. Später habe er zugegeben, dass er gelogen und auch den Sohn getötet habe.

Drei Schüsse auf das Kind aus nächster Nähe – der Leitende Oberstaatsanwalt Joachim Dittrich stellte die Frage, wie dies zu erklären sei, da die Aggression und Wut des Angeklagten ja eigentlich seiner Ex-Partnerin und dem neuen Freund gegolten haben müsste. Salabasidis sieht darin nicht nur Ausdruck höchster Brutalität, dies zeuge auch von "Entschlossenheit und Vehemenz, sein Vorhaben umzusetzen, wie er es in seiner Fantasie geplant hat". Was genau in Drazen D. vorgegangen ist, als er die Schüsse abgegeben hat, könne er nicht sagen. Aus psychiatrischer Sicht bewege man sich da im "absoluten Grenzbereich".

War Täter von Anwesenheit des neuen Freundes seiner Ex-Partnerin überrascht?

Drazen D.s Verteidiger Fritz Döringer und Bernhard Mussgnug stellten die Hypothese auf, dass Drazen D. womöglich am Tatort von der Anwesenheit des Lebensgefährten überrascht gewesen sei. Als der 34-Jährige den Täter dann nicht ernst genommen habe, könne es vielleicht doch zu einer Affekthandlung gekommen sein? Dies passe nicht zum Rest des Geschehens, konterte der Gutachter. "Wieso soll er dann noch seinen Sohn umbringen?" Geeigneter wäre dann doch eher seine Ex-Partnerin gewesen. Auch Drazen D.s Aussage, er habe seinen Sohn beruhigt und gesagt, "Papa tut dir nichts", passe nicht zu einem völligen Ausnahmezustand – ebenso wenig wie sein klares Auftreten bei seiner Festnahme.

Anwalt Fritz Döringer rückte die Suizid-Absichten des Angeklagten in den Vordergrund und die Tatsache, dass er bei der Festnahme zu den Polizisten gesagt hat: "Erschießt mich doch!" Für den Psychiater spielt der Suizid-Gedanke bei der Tat jedoch keine große Rolle. "Fakt ist: Er hat sich nicht umgebracht." Und Drazen D. sei wohl kaum davon ausgegangen, dass ihn die Polizei tatsächlich erschießt. "Das hätte er dann schon zu einem anderen Straftäter sagen müssen."

Zuvor hatte sich das Gericht mit der Frage befasst, ob Drazen D. tatsächlich beim Jugendamt Tuttlingen an die neue Adresse seiner Ex-Partnerin gekommen war. Nachermittlungen durch die Kripo Rottweil haben ergeben, dass die Adresse wohl erst ab 1. März dort bekannt gewesen sei, Drazen D. aber im Februar das letzte Mal dort war. Die Mitarbeiterinnen können sich nicht vorstellen, dass er auf die Bildschirme habe blicken können. Man habe von seiner Gefährlichkeit gewusst.

Nach mehr als sieben Stunden Verhandlung wurde am Montag die Beweisaufnahme geschlossen. Am Donnerstag, 21. Juni, werden die Plädoyers gehalten, bevor am Dienstag, 26. Juni, das Urteil fallen soll.

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