Interview: FDP-Bundestagsabgeordneter Marcel Klinge blickt auf ein "unglaublich spannendes Jahr" in Berlin / Tourismus im Blick

Schwarzwald-Baar-Kreis. Der 37-jährige Marcel Klinge ist seit einem Jahr Bundestagsabgeordneter der FDP für den Schwarzwald-Baar-Kreis. Der promovierte Politologe und Soziologe vertritt in Berlin zudem die Interessen seiner Betreuungs-Landkreise Rottweil, Tuttlingen, Ortenau und Emmendingen. Der Politiker äußert sich im Interview zu seinen Eindrücken und politischen Zielen.

Wie ist Ihre Bilanz nach einem Jahr im Bundestag

Mein erstes Jahr war unglaublich spannend. Die schwierigen Jamaika-Verhandlungen, die Neuauflage der Großen Koalition, die ständigen Auseinandersetzungen mit der AfD und der andauernde Konflikt Seehofer-Merkel, der uns auch nach der Sommerpause noch immer beschäftigt. Darüber bleiben viele inhaltlich wichtige Themen liegen, das ärgert mich genauso wie die Menschen bei uns vor Ort. Die politische Arbeit macht aber auch Spaß und ich habe viele interessante Leute kennen gelernt.

Sie sind sehr aktiv, nehmen zu aktuellen überregionalen und lokalen Themen sehr schnell Stellung?

Ich versuche immer am Puls zu sein. Natürlich muss man in so etwas auch reinwachsen. Zum Beispiel habe ich erst im Juli 2018 mein endgültiges Büro beziehen können. Manche Dinge dauern im Bundestag tatsächlich viel länger, als man glaubt. Themen, die ich wichtig finde, will ich aber zügig nach vorne bringen – vor allem natürlich mein Schwerpunktthema Tourismus. Als tourismuspolitischer Sprecher meiner Fraktion versuche ich, die enorme Wirtschaftskraft dieser Branche deutlicher herauszustellen und mache mich für bessere Rahmenbedingungen stark. Und natürlich möchte ich auch für meinen Wahlkreis etwas herauszuholen.

Wie viele Berührungspunkte zum Wahlkreis gibt es beim Tourismus?

Sehr viele. Für uns im Schwarzwald ist Tourismus ganz klar einer der Top-Standortfaktoren. Wir leben vom Tourismus und möchten, dass er sich auch in Zukunft positiv weiterentwickelt. Mein Eindruck ist aber, dass auf Bundesebene leider zu wenig passiert. Dabei liegt die Branche an dritter Stelle bei der Bruttowertschöpfung in unserem Land und beschäftigt fast drei Millionen Menschen. Zwar hat der Bund dieses Jahr die Haushaltsmittel um drei Millionen Euro aufgestockt. Eine Million Euro ist für Projektförderung im Tourismusgewerbe vorgesehen, zwei weitere Millionen Euro für die Deutsche Zentrale für Tourismus, die für das Reiseland Deutschland im Ausland wirbt. Ich vermisse aber eine ganz konkrete nationale Tourismusstrategie, die die Bundesregierung übrigens in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt hat. Ich fürchte, sie ist auch eins der Koalitionsversprechen, die noch nicht angepackt wurden. Unverständlich, denn Tourismus ist ein sehr wichtiges Mittelstandsthema. In vielen ländlichen Regionen gibt es nur den Tourismus. Ich bin viel unterwegs bei Gastronomiebetrieben und in Hotels. Hier höre ich häufig Sorgen, zum Beispiel über einen zu starren Arbeitsschutz oder fehlende Fachkräfte. Viele Gastronomen suchen auch Nachfolger. Es gilt, die Traditionsgaststätten zu erhalten. Denn wenn die Struktur erst einmal weg ist, kommt sie nicht wieder. Der Mangel an Köchen und die harten Arbeitszeiten sind weitere Herausforderungen.

Frage: Gibt es dazu Ideen der FDP?

Wir wollen ganz konkret, dass der starre Acht-Stunden-Tag wegfällt und man stattdessen maximal 48 Stunden in der Woche arbeitet. Gerade im Hotellerie- und Gastronomiebereich schafft das dringend benötigte Freiräume. Der Acht-Stunden-Tag wird in diesem Jahr 100 Jahre alt. Nach dieser langen Zeit sollte man sich auch einmal fragen, ob das noch zeitgemäß ist. Wir möchten flexible Arbeitszeiten, auch Home Office, wenn das möglich ist. Einen entsprechenden Antrag haben wir gestellt. Außerdem möchten wir attraktiver für internationale Fachkräfte werden und schon jungen Leuten Lust darauf machen, unser Land kennenzulernen, zum Beispiel über "Work and Travel". Jährlich zieht es zigtausend junge Menschen nach Australien oder Neuseeland. Warum nicht zu uns nach Deutschland? Auch wir haben viel zu bieten, schöpfen unser Potential aber bei weitem nicht aus. Hier können wir viel besser werden, zum Beispiel durch ein intensiveres Auslandsmarketing für "Work and Travel" in Deutschland, bessere Strukturen, eine Ausweitung der Abkommen auf mehr Länder, aber auch indem wir unsere Betriebe besser über Chancen und Vorteile informieren. Da denke ich gerade auch an den Tourismus. Im Hotel- und Gastronomiegewerbe können junge Work & Traveller sehr schnell und gut integriert werden. Mir ist wichtig: Angesichts des Fachkräftemangels müssen wir kreativ werden und neu denken! Bis ein Fachkräfte-Zuwanderungsgesetz kommt, wird vermutlich noch einige Zeit vergehen. Machen wir da, wo der Boden schon bereitet ist, doch zügig erste konkrete Schritte. Und was mir auch ganz wichtig ist: Bauen wir endlich den Mount Everest der Bürokratie ab, statt mit immer mehr Vorschriften und Verordnungen unsere Betriebe unnötig lahm zu legen.

Wie klappt die Zusammenarbeit mit dem CDU-Bundestagsabgeordneten Thorsten Frei?

Gut. Wichtig ist, dass man zusammen arbeitet. Ich bin unglaublich offen empfangen worden, und es ist gut, dass es jetzt zwei Bundestagsabgeordnete aus dem Wahlkreis in Berlin gibt.

Und wie sehen Sie das Thema Rente?

Ich sehe das neue Rentenpaket, das geplant ist, sehr kritisch, zumal unser Bildungssystem unterfinanziert ist. Wir haben in den vergangenen Jahren einiges für die Rente getan. In Zeiten sprudelnder Steuereinnahmen ist es Zeit, auch mal an die Jungen zu denken. Ich finde es wichtig, dass wir auch da Geld in die Hand nehmen und dafür sorgen, dass wir die besten Schulen und Kindergärten der Welt bekommen

Das Thema Rente bewegt aber auch viele Bürger. Ist es beispielsweise gerecht, dass Renten versteuert werden und dass länger gearbeitet werden muss?

Ich glaube: Wir brauchen mehr Flexibilität. Warum gibt es nicht einen Korridor von 60 bis 70 Jahren? Wieso ist mit 65 oder 67 Schluss? Jeder sollte selber entscheiden können, wann er in Rente geht. Mich ärgert auch: Jede Regierung hat andere Pläne in Bezug auf die Rente. Es gibt keine Planungssicherheit

Ist Bundestagsabgeordneter ein toller Job?

Mir macht er unglaublich Spaß, aber man wird natürlich auch stark gefordert. Wer fleißig ist, arbeitet richtig viel. Ich würde mir zudem wünschen, dass wir weniger lange debattieren und stattdessen schneller und entschlossener entscheiden. Es dauert manchmal gefühlt 20 Jahre, bis eine Entscheidung fällt. Das ist bei aller Sorgfalt deutlich zu lang. Die Menschen wollen auch sehen, dass wir Dinge beherzt anpacken und umsetzen.

Sie wollten umziehen?

Ich bin umgezogen, sogar doppelt. Seit Mai habe ich eine Wohnung in Berlin. Es ist kein Palast, sondern eine normale Zwei-Zimmer-Wohnung. Auch in Villingen sind wir mit der Familie umgezogen. Mein Neffe geht in eine neue Schule.

Die Wirtschaft läuft nach wie vor erstaunlich gut. Sind die Voraussetzungen gut, dass das so bleibt?

Momentan läuft es gut, aber das ist kein Selbstläufer. Ich wünsche mir, dass wir jetzt die Zeit nutzen, um in Innovation und Fortschritt zu investieren, zum Beispiel in digitale Infrastruktur. Unsere Finanzen sprudeln, nie war es leichter, unser Land zu gestalten und fit für die Zukunft zu machen. Aber der Streit in der CDU lähmt. Leider ist da für mich kein Ende absehbar.

Das Thema Asylbewerber lähmt auch?

Wir brauchen eine überparteiliche Lösung, wie Christian Lindner kürzlich auch im Bundestag appelliert hat. Und wir brauchen ein modernes Zuwanderungsgesetz, das fordern wir Freien Demokraten schon lange.

Sie haben sich kürzlich für die Gäubahn eingesetzt?

Das ist ja leider auch so eine never-ending-story. Ich hoffe, dass der zweigleisige Ausbau kommt und werde mich weiter dafür stark machen. Wir brauchen die Neigetechnik und eine schnelle Anbindung an die Metropolregion Stuttgart. Alles andere stellt unsere Region aufs Abstellgleis.

Und wie geht es mit der

B 523 weiter?

Anfang 2020 soll die Planung endlich beginnen, nachdem so lange Zeit der zweite Zubringer gefordert worden war. Das ist am Ende des Tages eine gute Nachricht, aber in Zukunft sollte es etwas schneller gehen.

Welche Ehrenämter und Hobbys haben Sie?

Ich bin seit kurzem, außer meinen Ämtern in der Partei, Vorsitzender des Fördervereins der Polizeihochschule Baden-Württemberg. Dort engagiere ich mich sehr. Unsere Polizei leistet unglaublich viel. Vor kurzem bin ich mit den Beamten nachts Streife gefahren. Das war toll und ich habe einiges mitgenommen. Außerdem bin ich Mitglied bei verschiedenen Vereinen in VS oder auch der Aids-Hilfe Schwarzwald-Baar. Einmal in der Woche spiele ich Tennis und ich laufe bekanntermaßen sehr gerne. Sport ist mir als Ausgleich sehr wichtig. Mir wird also nicht langweilig.

  Die Fragen stellte

Felicitas Schück