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Stadtteil der Sorgen: Partei holt im Schilterhäusle 42 Prozent. Mangel an Vertrauen in etablierte Politik.

Villingen-Schwenningen - Das Ergebnis war ein Paukenschlag: Im Schilterhäusle holte die AfD bei den Landtagswahlen sage und schreibe 42 Prozent. Doch was sind die Gründe? Spurensuche in einem verunsicherten Viertel.

Wenige Tage nach der Wahl im Schilterhäusle – es ist ein trüber Tag im zentralen Stadtviertel zwischen Villingen und Schwenningen. Zwei ältere Frauen lehnen an einem grauen Stromkasten und plaudern. Von ihrem Platz aus können sie weite Teile des Viertels sehen, die vierstöckigen Wohnblöcke, die große Wiese, den Kindergarten. Die Frauen sind Spätaussiedler, wie viele andere hier auch. Zur Wahl, erzählen sie, sind sie nicht gegangen, verändert hätte das ja ohnehin nichts. CDU? Grüne? SPD? "Das ist doch eh alles das Gleiche", findet die eine. Die andere nickt.

"Politik muss sich ändern"

Wenige Meter weiter steigt ein etwa 30-jähriger Mann aus einem Bus. Er trägt eine Schiebermütze und eine dicke Winterjacke. Er hat gewählt, berichtet er, und zwar die AfD. "Mir gefällt, was die sagen", betont er. Vor allem im Hinblick auf das Thema Flüchtlinge. Viele Menschen würden fliehen, obwohl sie nicht aus dem Krieg kommen. Seine Forderung: "Merkel muss die Politik ändern."

So wie er scheinen es viele Menschen zu sehen im Schilterhäusle. Zumindest legen die Zahlen das nahe. An keinem anderen Ort in VS war die AfD erfolgreicher als hier. Mit 42,1 Prozent der Stimmen ist sie eindeutig die stärkste Kraft, gefolgt von der CDU mit mickrigen 14,8 Prozent. Zum Vergleich: Ihr zweitbestes Ergebnis erzielte die AfD mit 34,8 Prozent in der Wöschhalde, im Steppach 27,8 Prozent – ebenfalls Wohngebiete mit einem hohem Anteil russlandeutscher Bewohner. Stadtweit lag die AfD bei knapp über 17 Prozent.

Und noch etwas ist bemerkenswert am guten Abschneiden der Partei im Schilterhäusle: Die Wahlbeteiligung ist im Vergleich zur vorangegangen Landtagswahl geradezu emporgeschnellt. Mit 41,4 Prozent liegt sie zwar immer noch unter dem Durchschnitt, aber deutlich höher als 2011, als nur 24,5 Prozent der Wahlberechtigten hier den Weg ins Wahllokal auf sich nahmen – damals der niedrigste Wert in der ganzen Stadt.

Wie aber ist das zu erklären? Wieso hat es die AfD geschafft, so viele Wähler zu mobilisieren? Und warum scheinen die Positionen der Partei gerade bei Russlanddeutschen vergleichsweise gut anzukommen?

Ein junger Mann mit russlanddeutschem Hintergrund steht an der Straße und wartet auf den nächsten Bus. Auch er hat die AfD gewählt, sagt er. Er sei Leiharbeiter, verdiene gerade einmal 1100 Euro netto im Monat. Jetzt, mit den Flüchtlingen, habe er Angst vor noch mehr Konkurrenz. "Uns geht es nicht so gut, wie die Politik immer meint."

Wer mehr erfahren will über das Schilterhäusle, über seine Geschichte, die Bewohner, die Stimmung, der sollte mit Gabriele Cernoch-Reich sprechen. Kaum einer kennt das Viertel so gut wie sie. Cernoch-Reich ist Mitglied in der Bewohnerinitiative "Schönes Schilterhäusle". Und sie ist eine Bewohnerin der ersten Stunde. 1996 zog sie in ein Reihenhaus in dem neu entstehenden Stadtteil, in dem viel günstiger Wohnraum geschaffen wurde. "Wir haben hier eigentlich nie Probleme und immer ein freundliches und unterstützendes Nachbarschaftsverhältnis", berichtet Cernoch-Reich. "Das ist hier absolut kein Problemviertel."

Dennoch, das sagt sie offen, hat sie das gute Abschneiden der AfD im Schilterhäusle in den Tagen nach der Landtagswahl beschäftigt. Sie glaube, dass es eine allgemeine Verunsicherung gebe angesichts der derzeitigen politischen Situation. "Ich denke, viele Familien haben sich hier eine Grundlage geschaffen und jetzt existenzielle Ängste." Die Flüchtlingskrise sei dabei nur ein Grund für den Erfolg der AfD. Den großen Parteien sei es insgesamt nicht gelungen, Zuversicht und Vertrauen zu schaffen. "Die Politik muss auf die Situation reagieren, um die Menschen mitzunehmen", findet sie.

Dieser Mangel an Vertrauen in die etablierte Politik scheint ein idealer Nährboden für die AfD zu sein. Fakt jedenfalls ist: Die Partei hat im Wahlkampf viel getan, um die Gruppe der Russlanddeutschen zu erreichen. Sie hat die Menschen gezielt angesprochen, auch mit russischsprachigen Flyern. Und Wahlkreiskandidat Markus Frohnmaier, ein dezidierter Kritiker der westlichen Russlandpolitik, trat sogar im russischen Fernsehen auf. "Es war immer unser Anliegen, die Spätaussiedler für die AfD zu gewinnen", sagt Frohnmaier, der potenzielle Schnittmengen sieht zwischen den Positionen seiner Partei und den Einstellungen vieler Russlanddeutscher. Diese besitzen oft konservative gesellschaftspolitische Einstellungen, so Frohnmaier. "In der Union fühlen sich viele von ihnen nicht mehr zuhause."

Auch in der Wissenschaft hat man frühzeitig davon Notiz genommen. Alexander Hensel, Politikwissenschaftler am renommierten Göttinger Institut für Demokratieforschung berichtet aus Forschungen zum AfD-Wahlkampf und erklärt: "Die rechtskonservative Kernagenda der Partei scheint in russlanddeutschen Communities durchaus zu verfangen." In schwierigen Zeiten verspreche die AfD eine Rückkehr zum Altbewährten, fordere mehr Innere Sicherheit, den Erhalt traditioneller Familienstrukturen oder eine Stärkung des Nationalbewusstseins.

Kritik an Asylpolitik

Auch die AfD-Kritik an der Asylpolitik, dem Islam und an den Wirtschaftssanktionen gegen Russland stoße vielfach auf positive Resonanz. Dahinter stünden Verlust- und Abstiegsängste, man wolle den erreichten gesellschaftlichen Statuts nicht verlieren, berichtet Hensel und erklärt weiter: "In Gesprächen mit deutsch-russischen Sympathisanten der AfD spielten auch negative Erinnerungen an die wirtschaftliche und politische Krise in Russland in den 1990er Jahren eine Rolle."

Zu jener Zeit ist auch Viktor Holzhäuser aus Russland nach Deutschland gekommen. "Das war 1989", erinnert sich der Mann, der im Steppach wohnt. Und er weiß auch noch genau, wie die Bevölkerung damals reagiert hat. "Die Deutschen hatten damals Angst – nicht ganz grundlos, wir haben auch Mist gebaut", gibt er zu und lacht. Aber das, was sich die Flüchtlinge heute erlauben würden, wäre etwas anderes: "Die arbeiten nichts und verlangen viel." Überhaupt seien zu viele Muslime hier, er habe Sorge, dass die Stadt "islamisiert" werde. "Wenn es so weiter geht, dann sehe ich keine Zukunft für Deutschland."

"Waren auch Flüchtlinge"

Zurück im Schilterhäusle: Durch das Wohngebiet, das vor allem dank des Klinik-Neubaus einen Aufbruch erlebt, schlendert ein älteres Ehepaar aus Kasachstan, das seit rund 20 Jahren hier lebt. Dass die AfD hier so gut abgeschnitten hat, überrascht sie. "Wir wählen immer CDU, die haben uns damals geholfen", erzählt die Frau. Sie erinnert sich zurück an die schwierige Zeit und sieht Parallelen zu den aktuellen Geschehnissen. "Wir waren auch Flüchtlinge damals, es ist doch klar, dass sich die Menschen etwas Besseres suchen." Ihr Mann lächelt und stimmt ihr zu. Dann sagt er: "Wissen Sie, wir haben hier alles: eine Wohnung, eine Rente – wir sind zufrieden."