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Dieter Brandes erneut zu Besuch in Ruanda, Burundi und dem Ost-Kongo

Vor 25 Jahren, Anfang April 1994, begann in Ruanda einer er schrecklichsten Genozide der Menschheitsgeschichte: In rund 100 Tagen wurden zwischen einer halben und einer Millionen Menschen ermordet. Schon oft war der Schwenninger evangelische Pfarrer im Ruhestand, Dieter Brandes, zur Versöhnungsarbeit in Ruanda (wir berichteten).

VS-Schwenningen. Nach rund einem Monat in den drei Staaten Ruanda, Burundi und Ost-Kongo ist Brandes wieder in Schwenningen. "Die derzeitigen Gedenk-Feierlichkeiten um den Genozid treffen mich mit etwas gemischten Gefühlen", erzählt er in einem Gespräch mit dem Schwarzwälder Boten.

Zentraler Anlass seiner Reise war die Einladung zu einer Hochschulkonferenz in Butare, einer Stadt im Süden Ruandas – neben der Hauptstadt Kigali das kulturelle Zentrum. Thematisiert wurden darin gemeinsam mit Vertretern südafrikanischer Hochschulen Formen der Erinnerung und Aufarbeitung solch verheerender Völkermorde. Brandes beleuchtete in seinem Referat den Holocaust und dessen kirchliche Verarbeitung, beziehungsweise auch gerade dessen Nicht-Verarbeitung und Verdrängung.

"Erstmalig habe ich in Ruanda nun auch sehr deutliche Stimmen gehört, die von der Notwendigkeit einer ›Weiterentwicklung der Erinnerungskultur in Ruanda‹ gesprochen haben", so Brandes.

Nach 25 Jahren tauchten Ideen auf, welche den Blick in offenen Diskussionen weiten wollen über den aufgetretenen Genozid hinaus auf die Gesamtgeschichte der sogenannten Great Lakes-Region über die vergangenen Jahrhunderte hinweg, beispielsweise die gegenseitigen Pogrome. "Außerdem wurde angesprochen, dass nun auch die Ruanda-Geschichtsschreibung sich lösen sollte von der reinen Tutsi-Genozid-Fixierung", so Brandes.

Kontakte mit Universitäten standen auch in den beiden weiteren besuchten Ländern Burundi und Ost-Kongo im Mittelpunkt. Brandes konferierte mit Rektoren und Dozenten vieler Hochschulen und hielt Workshops ab. In Burundi nahm er als Unterstützer am Start eines von der baden-württembergischen Stiftung Entwicklungszusammenarbeit (SEZ) initiierten Kompetenzzentrums teil. Die Frage "Was können wir mit unserer jeweiligen Geschichte voneinander lernen?" schwang dabei immer mit. Zwar unterscheide sich die Historie der Länder voneinander, dennoch bildeten Burundi, Ruanda und der Ost-Kongo einen gemeinsamen Kulturkreis, so Brandes. Betrachte man menschliche Verhaltensweisen und Gruppenprozesse, könne man ehedem immer weltweit voneinander lernen. Beispielsweise Afrika von Europa, aber ebenso auch Europa von Afrika.

Der Versöhnungsprozess in Ruanda beeindruckt Brandes immer wieder neu: Nicht Vergeltung und Rache hätten die Menschen in den Vordergrund gerückt, sondern gegenseitiges Verstehen und Verzeihen. Nur deshalb könne nun, nach erst einem Vierteljahrhundert, die Gesellschaft in Ansätzen wieder friedlich zusammenleben. "Es gibt keinen Menschen in Ruanda, der nicht direkt oder zumindest indirekt vom Genozid betroffen wurde", erläutert der Pfarrer im Ruhestand, jeder habe Täter oder Opfer in der eigenen Familie. Ein völliges Ignorieren des Themas sei nicht möglich.

Brandes‘ Arbeit zielt sowohl an den Hochschulen als auch im kirchlichen Bereich jeweils auf Theorie wie auch auf deren praktische Umsetzung. So unterstützte er auch diesmal die Hochschulen mit der Zielsetzung, die erörterten Inhalte in die konkreten Curricula, die Lehrpläne, zu übertragen. Auf geistlicher Ebene sprach Brandes mit Vertretern der katholischen, methodistischen und anglikanischen Kirchen. So beispielsweise mit einem Pfarrer der Gefängnisseelsorge in Ruanda. "Viele der Täter kommen jetzt raus", so Brandes, nach 25 Jahren würden beispielsweise Mörder wieder in die Gesellschaft entlassen. Die Versöhnungsarbeit geschehe bereits vorbildlich vielfach im Vorfeld: Täter und Opferangehörige würden im Gefängnis bereits zusammengebracht, um Racheakte danach zu verhindern. Schade findet Brandes, dass in die kürzliche Konferenz in Ruanda nicht auch Vertreter muslimischen Glaubens eingeladen waren. Den Grund dafür kennt er nicht. Viele Moscheen hätten vor 25 Jahren gefährdeten Menschen Zuflucht geboten und ihnen damit das Leben gerettet. "Das sollte gewürdigt werden."

Um das Weitergeben von Wissen ging es auch den beiden Begleitern des ehemaligen Schwenninger Stadtpfarrers: Brigitte und Reiner Oberle, Vertreter des gleichnamigen Villinger Ingenieurbüros für gebäude- und energietechnische Anlagen. Das Ehepaar informierte in den besuchten afrikanischen Städten die Bewohner über Fotovoltaik, eine angesichts massiv gefallener Weltmarktpreise auch inzwischen für den afrikanischen Kontinent erschwingliche Umwelttechnik.

Auch Dieter Brandes, bis 1992 tätig als evangelischer Schwenninger Stadtpfarrer, saß im März in einer Maschine der Ethiopian Airlines, jener Fluggesellschaft, welcher am 10. März in Addis Abeba die Boeing 737, vermutlich durch einen technischen Defekt, außer Kontrolle geriet und bei deren Absturz 157 Menschen ihr Leben verloren. Brandes war in der äthiopischen Hauptstadt bei seiner Reise zwischengelandet.

Der inzwischen 73-jährige Theologe und Ökonom ist aktiv im Weltkirchenrat (World Council of Churches), leistet Friedens- und Versöhnungsarbeit zwischen Religionen und Kulturen, beispielsweise in dem von ihm als Koordinator betreuten Projekt Healing of Memories in Afrika oder auch dem in Herrmannstadt (Rumänien) von ihm realisierten interreligiösen Institut "Versöhnung in Südosteuropa".

Durch Brandes, der lange Vorsitzender des Christlichen Vereins Junger Menschen (CVJM) in Schwenningen war, kam auch ein Kontakt der Dualen Hochschule Baden-Württemberg Villingen-Schwenningen mit dem "Protestant Institute of Arts and Social Science", abgekürzt PIASS, in Ruanda zustande. Ein jährlich gegenseitiger studentischer Austausch findet seit 2017 statt. Erst nach seiner Rückkehr aus Afrika im April erfuhr der ehemalige Stadtpfarrer aus den Medien von den beiden März-Katastrophen auf dem afrikanischen Kontinent, denen er, ohne es zu wissen, nahe war. So auch erst vom Zyklon Idai, welcher im räumlich von Ruanda gar nicht so weit entfernten Simbabwe und Mosambik wütete, viele Menschenleben kostete und verheerende Verwüstungen anrichtete.