Experten unter sich (von links): Andreas Beier, Dozent an der Hochschule für Polizei, Absolventin Juliane Röhm und die Verfassungsschützer Britt Ziolkowski und Benno Köpfer Fotos: Marull Foto: Schwarzwälder Bote

Vortrag: Verfassungsschützer und Polizisten berichten von aktuellen Entwicklungen im Islamismus

Aktuelle Trends in der Salafisten-Szene, die größere Rolle der Frau in islamistischen Strukturen und Ansätze zur Radikalisierungs-Prävention: Beim "studium generale" an der Hochschule für Polizei wurde ein Einblick in die Erkenntnisse der Sicherheitsbehörden gegeben.

VS-Schwenningen. Seit den Anschlägen vom 11. September 2001 beobachtet der Verfassungsschutz intensiv islamistische Netzwerke auch in Baden-Württemberg. Ähnlich lange sind auch Islamwissenschaftler wie Benno Köpfer und Britt Ziolkowski beim Verfassungsschutz in die Analyse islamistischer Strukturen involviert.

Formiert hätten sich Gruppierungen wie die Salafisten, erklärte Benno Köpfer vom Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) Baden-Württemberg, in Deutschland aber bereits zu Beginn der 90er-Jahre während des Balkankonflikts. Das Narrativ, also die sinnstiftende Erzählung, sei dabei ähnlich wie auch in Afghanistan oder aktuell in Syrien gewesen: "Dort ist ›der Islam‹ in Gefahr, wir müssen etwas tun, wir müssen helfen", erklärt Köpfer.

Mit Beginn des Syrienkrieges 2012 sei dann ein neues Phänomen hinzugekommen, das die Sicherheitsbehörden bis heute beschäftigt: "Etwa 900 Personen sind aus Deutschland im Laufe des Konflikts nach Syrien ausgereist", sagte Köpfer – etwa ein Drittel davon seien bislang wieder zurückgekehrt. Diese Rückkehrer strafrechtlich zu belangen, sei aber, oft aus Mangel an Beweisen, nur in seltenen Fällen möglich.

Ohnehin sei in den letzten Jahren die Beobachtung des islamistischen Milieus deutlich schwieriger geworden. "Während radikale Gruppen noch vor nicht allzu langer Zeit öffentlichkeitswirksam aufgetreten sind, ziehen sich mittlerweile viele ins Private zurück", sagte der Verfassungsschützer. Neu seien auch radikalisierte Minderjährige, die zu einer echten Gefahr werden könnten.

Gerade bei solchen bereits in der Kindheit radikalisierten Minderjährigen spielen die Mütter eine große Rolle, weiß Britt Ziolkowski, die als Islamwissenschaftlerin und Verfassungsschützerin schon seit Jahren die Rolle der Frau im Islamismus untersucht. Ob in Wohltätigkeitsorganisationen, in Propaganda-Medien oder als Wahlkampfhelfer, einflussreiche weibliche Akteure gebe es in allen islamistischen Organisationen weltweit.

"Dabei verlassen sie aber immer öfter ihre passive Rolle als Unterstützerinnen und treten etwa in der Politik auf oder werden in manchen Fällen gar zu Attentäterinnen", sagte die Verfassungsschützerin. Wie etwa Safia S., die im Januar 2017 einen Bundespolizisten in Hannover mit einem Messer lebensgefährlich verletzte und dafür zu einer sechsjährigen Jugendstrafe verurteilt wurde.

Den Fall der heute 16-Jährigen hat auch Juliane Röhm für ihre Bachelorarbeit untersucht, die sie im Rahmen des "studium generale" am Mittwoch vorstellte. Mit ihrer Abschlussarbeit an der Hochschule für Polizei in Schwenningen hat sie den Versuch unternommen, anhand einzelner Fallbeispiele einen Leitfaden für die Radikalisierungsprävention zu entwerfen.

Dabei gelte es vor allem schon die Entstehung zu verhindern, etwa durch Aufklärung und Bildung. Wichtig dabei sei aber auch die politische Zurückhaltung: "Forderungen etwa nach einem Burka-Verbot bergen die Gefahr, dass radikale Gruppen mehr Zulauf erfahren." Ebenfalls wichtig bei der Prävention sei das nähere Umfeld, erklärte Röhm. Dazu gehörten auch die Moscheen, die auffällige Veränderungen bei einzelnen Gemeinde-Mitgliedern der Polizei melden sollten.

Dass dies in der Praxis oft nicht einfach ist, zeigten gleich mehrere Wortmeldungen bei der anschließenden Podiumsdiskussion aus dem gut besetzten Auditorium. Dabei berichteten Muslime aus der Doppelstadt, dass der Ansprechpartner, den es eigentlich bei jedem Polizeipräsidium geben müsste, oft nicht weiterhelfen konnte oder gleich an andere Stellen verwiesen habe. Außerdem hätten im Zuge der Polizeireform die Zuständigkeiten und Ansprechpartner zu oft gewechselt.

"Wir brauchen einen zuverlässigen Ansprechpartner. Denn mehr wie den Kontakt zur Polizei zu suchen, können wir auch nicht", lautete der etwas verzweifelt wirkende Appell an die Vertreter der Sicherheitsbehörden am Ende des äußerst informativen Abends im Hörsaal der Hochschule für Polizei.