Familie Gideon aus den USA freut sich auf den Spuren der Großeltern und Eltern in Villingen zu gehen, hier vor dem großelterlichen Anwesen in der Niederen Straße 43. Foto: Klatt Foto: Schwarzwälder Bote

Erinnern: Werner Gideon führt seine Familie zu seiner Herkunft / Erinnerungen einer jüdischen Familie

Wie nahe Emotionen und die eigenen Wurzeln beieinander liegen, bewies die Reise von Werner Gideon aus Chicago. Mit seiner Frau Sheila und den drei Kindern besuchte er erstmals gemeinsam Orte seiner Jugend.

VS-Villingen. Neben Horb gehört auch die Adresse Niedere Straße 43 zu diesen Orten, wo Werner Gideon Jahre seiner frühen Kindheit verbracht hat. Strahlender Sonnenschein beleuchtet das schlohweiße Haar des überaus rüstigen 83-Jährigen, als er mit funkelnden Augen und fröhlicher Stimme erzählend vor dem denkmalgeschützten Haus in der Niederen Straße 43 – just vor dem Katzenbrunnen – zu erzählen beginnt. Es ist einer der Lebensläufe, die für die Zeit des Nationalsozialismus so typisch sind. Bürger jüdischen Glaubens gerieten in das Räderwerk der Machthaber und erlitten unsägliches Leid, das oft mit dem Tod in den Konzentrationslagern oder mit dem Verlust der Wurzeln des eigenen Seins verbunden war. So auch Familie Gideon.

Werner Gideons Vater Robert heiratete am 23. Januar 1933 Elsa Bloch und fand somit in Villingen eine neue Heimat. Familie Bloch war seinerzeit in Villingen sehr angesehen und das Ehepaar Gideon hatte beste Voraussetzung für ein auskömmliches Leben in der Stadt. Aus der Ehe gingen zwei Kinder hervor, Helga und Werner.

Bereits 1933 bekam Vater Robert die Härte des Antisemitismus zu spüren, wurde er doch zur Umerziehung nach Dachau gebracht. Hier legte man ihm und zahlreichen anderen jüdischen Bürgern nahe, das Deutsche Reich zu verlassen. Je enger sich die Schlinge der Staatsmacht um die jüdischen Bürger zuzog, desto eher sah ein Teil nur noch die Flucht als Ausweg. Verwandtschaftliche Beziehungen in die Schweiz veranlassten die Eltern Gideon ihre beiden Kinder nach Olten zu verbringen.

Einmal pro Woche fuhren die Eltern an die Grenze bei Basel, um ihre Kinder zu sehen. Im August 1939 entschlossen sich Elsa und Robert Gideon zusammen mit dem Großvater Michael Bloch nach Amerika auszuwandern. Unter schwierigsten Umständen konnte die Familie nahe New York Fuß fassen. Werner Gideon erinnert sich mit flammenden Worten an seine Kindheit, in der seine Mutter die deutsche Lebensweise bis ins kleinste Detail bewahrte. Deutsche Küche, deutsche Lieder, der schwäbische Dialekt, den Werner Gideon noch heute beherrscht, bestimmten das familiäre Leben. Als Tellerwäscher und Putzfrau sorgten die Eltern für ein Auskommen, das Werner eine gedeihliche Ausbildung ermöglichte. Der rüstige Besucher studierte damals Pharmazie und betrieb einige Apotheken in den USA.

Erstmals 1972 kehrte er nach Deutschland zurück, besuchte die Stätten seiner Jugend und hoffte, dass er diese auch seinen Kindern Jerry, Randy, Laurel und Michel zeigen könne. "Die Zeit war aber noch nicht reif für einen Besuch hier!", so Werner Gideon nicht ohne Wehmut. Im letzten Jahr hatten sich dann seine Kinder bei ihm gemeldet und darum gebeten, dass der Vater sie zu den Wurzeln der Familie begleiten wolle. "Dass ich heute mit meinen Kindern hier vor dem Haus meiner Großeltern stehen darf, ist für mich sehr, sehr wichtig!", gesteht der gebürtige Stuttgarter mit Tränen erstickter Stimme, und weiter: "Nun war die Zeit reif für einen Besuch!"

Da Vater Robert Gideon auch Mitglied der Narrenzunft in Villingen war, staunten die vier Kinder nicht schlecht, dass das großelterliche Haus heute hinter einem Brunnen mit einer Fastnachtsfigur steht. "Meine Mutter wäre so gerne nach Deutschland zurückgekommen, sie hat praktisch nie die englische Sprache lernen wollen!", erinnert sich der Senior nicht ohne Schmunzeln. Auf die Frage, mit welchen Gefühlen er die vergangenen 80 Jahre durchlebt hat, antwortet er ohne Nachdenken: "In den ersten Jahren in Amerika hatte ich einen Groll auf Deutschland, ich vermied es gar, deutsche Waren zu kaufen. Heute bin ich weise und spüre, dass Deutschland viel gegen den Antisemitismus tut. Das ist sehr gut so!"

Der Besuch in Villingen wurde vom Verein Pro Stolpersteine Villingen-Schwenningen begleitet. Heinz Lörcher und Friedrich Engelke haben ein umfangreiches Programm für die Familie zusammengestellt. Auch ein Besuch im großelterlichen Haus sowie im Franziskaner Museum, wo Möbelstücke aus dem Bloch’schen Besitz lagern, stand auf der Agenda. Der recht kurzfristig anberaumte Besuch in Villingen ermöglichte einen Kontakt mit dem neuen Oberbürgermeister Jürgen Roth sehr zum Bedauern der Organisatoren leider nicht.