Der Stamm im Tannheimer Forst wird zum Totem. Foto: Huber

Trauer um tote Tochter. "Wir haben Höllenqualen durchgemacht."

Villingen-Schwenningen - Jörg Beyer und seine Frau Songül streichen über das geschliffene Holz im Tannheimer Forst und die geschnitzten Symbole. Ihr Blick verharrt bei einer Eule und einem kleinen Herz: Der liebevoll gestaltete Stamm wird zum Totem für ihre Tochter Mia, die mit knapp zwei Jahren an einem Herzleiden stirbt. "Wir haben Höllenqualen durchgemacht."

Höllenqualen erlebt "und doch Wege aus der tiefen Trauer gefunden". Das Ehepaar aus Witten an der Ruhr steht in der Nähe des vier Meter langen Tannenstamms, den das Forstamt VS dem Ehepaar zur Verfügung stellt und in Kliniknähe bereitlegt. Jörg Beyer verbringt einige Tage damit, den Stamm für das vorzubereiten, was der bekannte Kettensägenkünstler Rolf Sauer Tage später aus ihm machen wird. An zwei Nachbarbäumen hängen eine Schwarzweiß-Skizze und ein farbiger Entwurf mit den Motiven, für die Beyer Schablonen gefertigt hat, die der Alpirsbacher Künstler heraussägen wird. "Hat der Jörg super gemacht", brummt er anerkennend in seinen Bart, um sich gleich wieder seiner Arbeit zu widmen. Eine Woche und das Familien-Totem ist vollendet und wird bis zum Jahreswechsel ins 550 Kilometer weit entfernte Witten im Ruhrgebiet transportiert und soll im Frühjahr 2019 bemalt und dann aufgestellt sein.

Nackenschläge verbinden

Die Kettensäge springt an, die Späne fliegen. Wie der Familienvater aus Witten auf Sauer kommt? "Ich habe einfach gegoogelt und bin schnell auf ihn gestoßen." Ein paar Mails zwischen den beiden und der Alpirsbacher sagt prompt zu. Sauer legt die Säge zur Seite: "Ich habe ja selbst auch Nackenschläge erlebt, ich weiß, wie sich das anfühlt", sagt er und blickt kurz auf. Auch für das Forstamt VS war es selbstverständlich, "dass wir diese Form der Trauerbewältigung im Tannheimer Forst" unterstützen, erläutert Roland Brauner, stellvertretender Forstamtsleiter aus VS.

Durch den Wald schallt das ansteckend glucksende Lachen des kleinen Milan, keine zwei Jahre alt. "Er hat seine kleine Schwester Mia gerade mal um 37 Tage verpasst", erzählen die Eltern leise und kämpfen mit den Tränen. "Ein Kind zu verlieren, ist das Schlimmste, was einem im Leben passieren kann. Wir beide sind durch die Hölle gegangen", beschreibt das Ehepaar die schwärzeste Phase in ihrem Leben. Der kleine Bub umklammert das Knie seiner Mama und strahlt sie an: "Der Kleine ist unser Sonnenschein und unsere ganze Hoffnung."

Doch wohin gehen Eltern mit ihrem tiefen Schmerz, wohin wenden sie sich, wenn sie in ein tiefes Loch fallen, das sie zu verschlingen droht? Jörg Beyer und seine Frau kommen über den Sozialdienst der Uniklinik Köln auf ein Angebot der Nachsorgeklinik Tannheim: die Verwaisten-Reha. Vier Wochen lang sind sie in der VS-Gemeinde untergebracht, finden Wege aus der Trauer, die die junge Familie stabilisieren, erhalten Trost in Gesprächen mit anderen Eltern, "die wissen, wie man sich da fühlt". Unendlich wichtig wird der Tannheimer September-Aufenthalt 2017 für das Paar, "denn selbst in unserem privaten Umfeld gibt es Menschen, die mit dem Schicksalsschlag nicht umgehen können."

Ein rabenschwarzer Tag

Der 20. Dezember wird für Jörg Beyer und seine Frau Songül zu einem Tag, "der uns einen großen Teil der Zukunft nimmt". Es ist der Todestag ihrer kleinen Tochter Mia, die Ende November vier Jahre alt geworden wäre. "Sie hatte einen angeborener Herzfehler", erzählen die beiden. Bei der dritten Operation treten Komplikationen auf, das kleine Mädchen stirbt. "Und wir stehen vor dem Bett und sind einfach nur machtlos", fasst Beyer den schier unerträglichen Schmerz in Worte. "Nach dem tiefen Fall, folgt die große Leere, die Frage nach dem Warum." In Tannheim beschäftigt sich der 49-Jährige mit Schnitzen. Während dieser Zeit kommt ihm der Gedanke, die Familie und deren Geschichte auf einem Totem darzustellen.

Die Symbole für ihn, seine Frau und den kleinen Sonnenschein Milan, widerspiegeln deren indianische Tierkreiszeichen. Die Säge fährt vorsichtig in den entrindeten Stamm, Biber, Wildgans und Fischotter schälen sich heraus, darüber eine Eule, das Tierkreiszeichen von Mia, und ein Herz, das nicht nur für die Leiden der Tochter steht, sondern auch dafür, "dass sie für immer und ewig in unseren Herzen ist". Ein Totem als Symbol für "unseren inneren Zusammenhalt als Familie" nach Tradition der Indianer Nordamerikas.

Anderer Blick aufs Leben

Jörg und Songül Beyer schildern offen ihre Gefühle, ihre Trauer aber auch die Entwicklungen, die beide durchleben. Der Tod der Tochter hat viel verändert, in ihrem Blick auf das Leben und auch auf die Religion. Und der kleine Milan? Der blinzelt mit den Augen und verzieht den Mund zu seinem Sonnenschein-Lächeln. "Du kleiner Charmeur", nimmt Songül Beyer ihren kleinen Sohn auf den Arm und streichelt ihn zärtlich. Mias Tod hat viel verändert, in ihrem Blick auf das Leben und die Religion. "Wir wissen mittlerweile, was im Leben wirklich wichtig ist."