Anschläge: Oliver Reimer erlebt im Stade de France den Terror-Freitag. Gespenstische Rückkehr ins Hotel.

Villingen-Schwenningen - In der zweiten Halbzeit starrte er nur noch aufs Handy. Der Gedanke zementierte sich: "Werfen die jetzt Granaten ins Stadion?" Oliver Reimer erlebte die Terrornacht im Stade de France in Paris.

Es war der Abend der ungeheuren Vorfreude auf das Länderspiel Frankreich gegen Deutschland und auf den Besuch einer der schönsten Metropolen der Welt. Für den 35-jährigen Oliver Reimer und seine Begleiter wurde der 13. November zum Symbol für die wohl schrecklichste Nacht ihres Lebens: "Irgendwann hatte ich nur noch einen Gedanken in meinem Kopf. Ich möchte einfach überleben und an einen sicheren Ort gelangen", berichtet der 35-Jährige im Gespräch mit dem Schwarzwälder Boten.

Sechs Fußballfreunde, von denen ein paar bereits mit einem Bussle zum Länderspiel gegen Schottland gereist waren, wurden an diesem Abend zu einer Schicksalsgemeinschaft in einem abgeriegelten Fußballstadion mit rund 80 000 Fans. Zunächst haben sie sich noch über einige alkoholisierte deutsche Fans im Block in der obersten Reihe amüsiert, die sich kaum noch auf den Beinen halten konnten und mit der deutschen Fahne wedelten. Dann, kurz nach Anpfiff, die erste Explosion und die Vermutung: "Das war irgendein Kanonenschlag." Nach der zweiten Detonation machte zunächst im Stadion die Runde, dass Gasflaschen explodiert seien.

Aufs Handy kam wenige Minuten später der Bericht von einer Explosion in Paris mit bis zu 18 Toten. Irgendwann sickerte durch, dass die Spitzenpolitiker Hollande und Steinmeier aus dem Stadion evakuiert worden seien. "Dann wurden wir unruhig." Sekunden später die ersten SMS aus Deutschland "Bitte passt auf euch auf." Nach der 60. Spielminute die dritte Explosion und die entsetzte Frage: "Was geht denn da draußen eigentlich vor? Diesmal war auch die Druckwelle zu spüren." Das Spiel war nebensächlich geworden. "Wir starrten nur noch auf die Handys und verfolgten die Infos über die Anschlagsserie. Wir fragten uns, werden wir hier jetzt alle in die Luft gesprengt, wirft einer Granaten in die Menge?"

Verstörte Menschen und Selfies mit der Tricolore

Ein Alptraum begann für den Diplombetriebswirten, den viele in VS unter dem Spitznamen Riegelolli kennen, weil er sich mit dem Vertrieb von Energieriegeln einen Namen gemacht hat. Um ihn und seine Kumpels herum verstörte Menschen; weinende, am Boden kauernde Stadionbesucher, aber auch Fans, die Selfies mit der Tricolore machen.

Draußen verteilten sich teils vermummte Polizisten, die meisten mit gezogener Waffe. "Wir fragten sie, ob die Métro sicher sei." Die Antwort: "Da sind Sie sicherer als auf der Straße." Sie folgten dem Rat. "Doch dann sahen wir die Menschenmassen und machten kehrt." Aus Angst vor weiteren Anschlägen. Sie liefen durch ein fast gespenstisch wirkendes Quartier, vorbei an verriegelten Hotels, hörten auf ihrem Weg die vierte Detonation und schafften es mit Hilfe von algerischen Portiers, eines der wenigen Taxis, die noch fuhren, zu organisieren. Stunden später kamen sie im Hotel im Süden von Paris an. Dort erfuhren sie von der Gewaltspirale, die nach Spielbeginn begonnen hatte. Und hörten die erschütternde Nachricht von über 100 Toten. "Eigentlich wollten wir Paris verlassen." Doch der Hotelier winkte ab "Vergessen Sie es." Die Rückfahrt am nächsten Morgen? "Wir saßen die ersten Stunden schweigend in unserem Bus."

Ruhig und mit fester Stimme erzählt der SERC-Spieler (zweite Mannschaft) von den Ereignissen der Terrornacht. So ruhig und besonnen, wie er und seine Freunde in der Nacht reagiert und gehandelt haben. Holen ihn die Bilder nicht ein? "Bislang nicht. "Ich habe viele Berichte und Analysen über die Anschläge gelesen, um das zu verarbeiten." Lähmt ihn das Erlebte? "Nein, ich werde weiterhin zu Spielen gehen...nur nicht in Frankreich. Ich fühle mich dort nicht mehr sicher. Ich denke auch, dass mittelfristig noch weitere Anschläge folgen, nicht nur in Frankreich." Was zieht er aus dem Erlebten? "Die Gewissheit, in dieser Ausnahme–Situation einen klaren Kopf zu behalten."