Das Obdachlosen-Milieu in Villingen war Schauplatz dreier tragischer Schicksale. Foto: Gerten

Mann am Villinger Friedhof zusammgengeschlagen - wegen Bier und ein paar Schnäpsen. Gericht verhängt Bewährung.

Villingen-Schwenningen - "Obdachlosen auf Parkbank ausgeraubt und zusammengeschlagen" – so platt ließe sich zusammenfassen, was am 4. Juni am Rande des Villinger Friedhofs passiert ist. Doch die Gerichtsverhandlung danach, gibt einen anderen Einblick in die Tatnacht.

Eigentlich sind sie alle Opfer – ihres Schicksals, unglücklicher Wendungen, falscher Freundes- und Bekanntenkreise und ihrer Laster. Die beiden Angeklagten sind 39 und 49 Jahre alt, was sie vereint ist offenbar eine Orientierungslosigkeit im Leben, die Trunksucht und ein Treffpunkt im Obdachlosenmilieu mitten in der Nacht, auch wenn nur einer von ihnen tatsächlich wohnsitzlos ist.

Ein Verteidiger schildert das so: "Man kannte sich, trank, wer Geld hatte, kaufte Bier und Schnäpse, man gab etwas ab." Auch das Opfer dieser Tatnacht habe bei diesen sporadischen Treffen mitgemacht und mitgetrunken. Vor Gericht fehlt er als Zeuge – er sei nicht verhandlungsfähig, alkoholsüchtig, aggressiv und habe eine Persönlichkeitsstörung, heißt es im Attest, das Richter Christian Bäumler am Donnerstag im Gerichtssaal verliest.

Während es eingangs wirkt, als seien die beiden Angeklagten aus purer Habgier auf einen Obdachlosen auf einer Parkbank losgegangen, um ihm den Geldbeutel mit seinen lediglich 30 Euro abzunehmen, wird später relativiert. Bier und Schnaps seien leer gewesen. Also hätten die beiden Männer ihr späteres Opfer gefragt, ob er noch Geld für den Nachschub habe. Der Obdachlose, ebenfalls Betrunkene, habe verneint, in Wahrheit aber noch welches besessen. Sie wurden wütend. Der jüngere Angeklagte soll ihm dann eine Kopfnuss oder einen Schlag auf die Nase verpasst haben – so genau wusste das heute keiner mehr der damals nach jeweils rund zehn Bier und zehn Schnäpsen arg Betrunkenen. Jedenfalls hielten sie danach die magere Beute von 30 Euro aus dem Geldbeutel in Händen, den sie dem Obdachlosen abgenommen hatten. Geld für weiteren Alkohol.

Wie prägend die Promille in ihrem Leben sind, schildern die beiden Männer vor Gericht. Sie sehen aus wie es unterschiedlicher nicht sein könnte. Der 49-jährige wirkt verwahrlost, steht mit seinen langen strähnigen Haaren in Jogginghose und ausgewaschenem Sweatshirt vor dem Richter. Er ist abgesehen von seiner Verteidigerin völlig auf sich allein gestellt. Der 29-jährige hingegen sitzt im schicken roten Marken-Sweater auf der Anklagebank, stylish, gut gekleidet und begleitet von Mutter, Freundin und Freunden. Beide kommen direkt aus der U-Haft. Sie tragen zunächst Handschellen, die später gegen Fußfesseln ausgetauscht werden. Und beide wollen sich vom Alkohol befreien.

Nach Diebstahl, Hehlerei, Betrug, Verkehrsdelikten und sexueller Nötigung, die in seinem Bundeszentralregisterauszug stehen, wo der Alkoholmissbrauch nicht aktenkundig ist, hat der Jüngere nun einen Platz für seine stationäre Therapie in Tübingen in der Tasche. Er darf bei seiner Mutter oder seiner Freundin wohnen, und wird am Ende nach Aussetzens der Haftstrafe (eineinhalb Jahre) zur Bewährung tränenreich von Familie und Freunden in die Arme geschlossen.

Der 49-jährige hingegen lächelt zwar befreit, als er von der "Bewährungsstrafe" (ebenfalls eineinhalb Jahre) hört, und verspricht wieder einem Gericht, sein Leben auf die Reihe zu bekommen. Doch eine ellenlange Liste von Vorstrafen auch schwerer Vergehen sitzt ihm im Nacken – die Rede ist während der Verhandlung von Mord, sexuellem Missbrauch eines Kindes in Tateinheit mit Vergewaltigung, Diebstahlstaten, Drogenmissbrauch und mehrfacher Knasterfahrung. Er trinke seit seinem vierten oder fünften Lebensjahr, seit der Volljährigkeit extrem. Er hatte in jungen Jahren die Kurve nicht gekriegt und wolle jetzt, mit fast 50 die Wende schaffen, beteuert er. Zwangsweise habe er eine Entgiftung im Gefängnis durchgemacht, "ich hatte schon bissl Zeit nachzudenken", sagt er. Nach der stationären Therapie solle es weggehen von hier, wolle er seinen Bekanntenkreis von Saufkumpanen hinter sich lassen, ganz neu anfangen.