Die Polizei verzeichnet "eine Steigerung der Fallzahlen im Bereich Diebstahl und Betäubungsmittelkriminalität". Foto: Burgi

Zahl der Tatverdächtigen aus Maghrebstaaten steigt auch hier deutlich an. Zahl auffälliger Syrer vergleichsweise gering.

VS-Schwenningen - Diebstahl und Betäubungsmitteldelikte: Die Zahl straffälliger und tatverdächtiger Menschen aus den nordafrikanischen Maghrebstaaten steigt seit einiger Zeit deutlich an – auch in hiesigen Gefilden.

Noch heute ist Nadine Schmidt (Name geändert) ziemlich aufgebracht, wenn sie sich an die zurückliegende Neujahrsnacht erinnert. "So was ist doch einfach dreist", sagt sie.

Um zu verstehen, was die Schwenninger Studentin sauer macht, muss man zurückblicken auf jene Silvesternacht, die durch die Ereignisse am Kölner Hauptbahnhof mittlerweile traurige Berühmtheit erlangt hat. Damals fuhr Schmidt mit ihrer Schwester und deren bester Freundin im Regionalexpress von Konstanz nach Schwenningen. Am Bodensee hatten die drei das neue Jahr begrüßt, in Clubs und Kneipen gefeiert, im Morgengrauen nutzten sie die Bahnfahrt für ein kleines Nickerchen. Plötzlich aber schreckte Schmidt hoch. Sie bemerkte, wie ein Mann in der Handtasche der Freundin ihrer Schwester wühlte und nach deren Geldbeutel griff. "Ich habe dann sofort gerufen, entschuldigen Sie, was machen Sie da?", berichtet Schmidt.

Der Mann legte das Portemonnaie daraufhin hastig zurück und ging weg. "Wir haben dann bemerkt, dass 120 Euro fehlen und sind hinterhergerannt, um das Geld zurückzubekommen." Doch der mutmaßliche Dieb hatte mittlerweile Unterstützung bekommen: Sechs, sieben junge Männer standen bei ihm, im Schutz der Gruppe fühlte sich jeder einzelne offenbar sicher: "Die haben einfach alles abgestritten", empört sich Schmidt.

Doch sie und ihre Begleiterinnen hatten auch ein wenig Glück in jener Nacht. Glück im Unglück sozusagen. Mitfahrende im Zug hatten inzwischen die Polizei verständigt, die Beamten konnten am Donaueschinger Bahnhof vier Tatverdächtige aufgreifen, ein weiterer wurde durch eine genaue Personenbeschreibung ermittelt. Wie die für Vorfälle auf dieser Bahnstrecke zuständige Bundespolizeiinspektion Weil am Rhein mitteilte, handelte es sich bei den Tatverdächtigen um Asylbewerber aus Nordafrika. Genauer: aus den Maghrebstaaten Algerien, Marokko und Tunesien.

Insbesondere mit den Diebstählen und sexuellen Übergriffen zu Silvester in Köln sind Zuwanderer aus dem Maghreb in den Fokus der Öffentlichkeit geraten.

Zahl der Insassen in Gefängnissen steigt

Die meisten Tatverdächtigen stammen aus dieser Region. Auch andere Zahlen sorgten im Nachklang der Ereignisse für Aufsehen: Wie unter Berufung auf Statistiken von Kölner Ermittlern berichtet wurde, würden 40 Prozent der nordafrikanischen Zuwanderer innerhalb eines Jahres straffällig werden. Zum Vergleich: Bei Syrern seien es lediglich 0,5 Prozent. Auch andernorts zeige sich ein ähnliches Bild: In vielen Großstädten verzeichneten Ermittler einen "dramatischen Anstieg" von nordafrikanischen Tatverdächtigen.

Aber gilt das auch für Schwenningen und Umgebung? Oder ist der Vorfall im Regionalexpress nur ein Einzelfall? Ja und nein.

Taschendiebstähle in Zügen hätten in jüngster Zeit nicht zugenommen, heißt es von Seiten der Bundespolizeiinspektion in Weil am Rhein. Gleichwohl sei im Zuständigkeitsbereich, wozu unter anderem der Schwarzwald-Baar-Kreis gehört, "eine Steigerung der Fallzahlen im Bereich Diebstahl und Betäubungsmittelkriminalität" feststellbar. "Hier", so die Polizei, "sind häufig nordafrikanische Tatverdächtige beteiligt".

Auch andere Zahlen legen nahe, dass es seit einiger Zeit zu einem signifikanten Anstieg polizeilich auffälliger Nordafrikaner kommt. In den Justizvollzugsanstalten in Rottweil und Freiburg, die zumeist für Menschen aus Schwenningen und Umgebung zuständig sind, ist die Zahl maghrebinischer Insassen angestiegen. Saßen Ende 2010 in beiden Gefängnissen zusammengenommen drei Maghrebiner ein, waren es Ende 2015 schon 24 – die meisten davon aus Algerien.

Auch der Blick auf ganz Baden-Württemberg weist in eine ähnliche Richtung: So heißt es von Seiten des Innenministeriums, dass seit 2011 "ein kontinuierlicher Anstieg von Tatverdächtigen aus den Maghrebstaaten" zu verzeichnen sei – Delikte wie unerlaubte Aufenthalte und Einreisen nicht eingerechnet. Kamen 2011 rund 2700 Tatverdächtige aus dieser Region, waren es 2014 schon 5200. Dieser Trend habe sich auch 2015 fortgesetzt. Schwerpunktbereiche der Straftaten seien Diebstähle, Schwarzfahren, Betäubungsmittel- und Körperverletzungsdelikte. "Zwar sind auch bei anderen Nationalitäten Steigerungen feststellbar", so das Ministerium, "die jedoch nicht so intensiv ausfallen".

Integration senkt das Kriminalitätsrisiko

Wie aber kommt es, dass Algerier, Marokkaner und Tunesier seit geraumer Zeit relativ oft auffallen, auch im Vergleich zu anderen Zuwanderern, etwa aus Syrien? "Wir haben keine konkreten Daten zu der Frage, warum sich die Probleme mit Menschen nordafrikanischer Herkunft derzeit zu häufen scheinen", sagt Dietrich Oberwittler, Soziologe am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg. Aus der kriminologischen Forschung aber wisse man, dass Menschen aus unterschiedlichsten Gründen einwandern. Es könne sein, so Oberwittler, dass einige Menschen die derzeitigen Migrationsbewegungen nutzten, um hier Straftaten zu verüben. "Wir wissen allerdings auch, dass bei früheren Einwanderungen die erste Generation generell eher unterdurchschnittlich kriminell wird. Das gilt vor allem für jene, die eine langfristige Aufenthaltsperspektive haben. Diese Menschen wollen ankommen und sich integrieren. Man kann vermuten, dass die Zahl auffälliger Syrer deshalb vergleichsweise gering ist. Wenn sehr viele Menschen aus Nordafrika auffällig werden, kommen diese möglicherweise aus anderen Gründen." Insgesamt, so der Forscher, zeigten verschiedene Studien, dass das Kriminalitätsrisiko vor allem durch Integrationsmaßnahmen gesenkt werden könne: "Sprache, Bildung und Arbeit schützen", sagt Oberwittler.

Nadine Schmidt wird diese Erkenntnis erst einmal nicht allzu viel nützen. In Zukunft wird sie vorsichtiger sein, der Diebstahl zu Silvester ärgert sie nach wie vor. Und es gibt noch etwas anderes, was sie ziemlich sauer macht: "Solche Taten sind auch den friedlichen Flüchtlingen gegenüber unfair", findet sie.