Diplom-Psychologe Jan Ilhan Kizilhan berichtet über die Arbeit an der Universität Dohuk.
Villingen-Schwenningen - Was macht Menschen gesund? Diese Frage stellt sich Jan Ilhan Kizilhan angesichts von Krieg, Terror und Folter im Nahen Osten. Er kennt sie alle, die grausigen Details, die die Opfer der Terrormiliz des Islamischen Staates (IS) erlebt haben.
Von kleinen Kindern, die als Soldaten ihre Kameraden erschießen und begraben mussten. Bis zu Frauen und halbwüchsigen Mädchen, die Vergewaltigung, Folter und Versklavung hinter sich haben, bevor sie den Schergen des Terrors entkamen. "Ich habe so viele Geschichten gehört, ich kann einen Roman schreiben", sagt der Diplom-Psychologe, Buchautor und Islamwissenschaftler.
Am 12. Mai ist er aus dem Irak zurückgekehrt. Diesmal stand nicht die Auswahl von Frauen und Mädchen für ein Leben in Baden-Württemberg im Vordergrund, sondern ein neues Institut für Psychotherapie und Psychotraumatologie an der Universität Dohuk im Nordirak. Das deutsche Außenministerium hat die Institutsgründung mit einer Million Euro unterstützt. Professoren für Psychologie und Psychotherapie der Eberhard-Karls-Universität Tübingen sind mit im Boot. 300.000 bis 400.000 Flüchtlinge leben noch in den Camps im Irak, schätzt Kizilhan.
Langfristig Menschen vor Ort helfen
30 Studierende aus dem Nahen Osten werden seit 2017 an dem neuen Institut der Universität Dohuk zu Traumatherapeuten ausgebildet. Sie sind Einheimische und sollen langfristig den Menschen vor Ort helfen können. Die Ausbildung in fünf Jahren ist ein Novum. Im Juli wird Kizilhan erneut in den Irak reisen. Dann werden weitere zehn bis 15 Personen für die zweite Tranche ausgewählt.
Unter Federführung von Kizilhan fand im Mai in Dohuk die erste internationale Konferenz zu Genozid und Trauma statt. 300 Überlebende des Völkermords in Ruanda, Kambodscha, Nepal, Guatemala und Bosnien nahmen neben Experten aus 16 Ländern teil, unter anderem Holocaust-Experten der Harvard und New York City University.
Ein bewegendes Erlebnis schildert Kizilhan: "Eine Christin aus Syrien schilderte, wie sie Vergewaltigung, Massenexekution und Folter erlebte. Danach beschrieb eine muslimische Bosniern die gleichen Erlebnisse. Am Ende lagen sich die beiden in den Armen. Sie wussten, jetzt geht es nicht um Religion, sondern um Terror und Gewalt." Ziel des Kongresses ist ein Trauma-Netzwerk, um den Menschen vor Ort zu helfen.
Gefragter Gesprächspartner
Der in der Türkei geborene 51-Jährige ist inzwischen ein gefragter Experte, der zu den Themen Völkermord und IS-Terror im Nahen Osten Auskunft erteilen kann. Für sein Engagement zur Rettung und Behandlung jesidischer und anderer entrechteter, sexuell missbrauchter und gedemütigter Frauen aus dem Nordirak und Syrien erhielt er 2016 den "Women’s Rights Award". Der Leiter der psychosomatischen Abteilung einer Klinik in Donaueschingen ist ein gefragter Gesprächspartner internationaler und deutscher Medien und berät Regierungen, die Flüchtlinge in ihr Land aufnehmen wollen.
Die Vereinten Nationen haben bei ihm angefragt, ob er beratend Prozesse von IS-Terroristen im Irak begleiten möchte. Das ist etwas Neues: Täter, die schon in Haft sitzen und von der irakischen Justiz verurteilt werden sollen. Vergewaltigung, Folter, Mord soll die Anklage lauten. Sicher, es gibt im Irak die Todesstrafe. Doch auf ein solches Urteil legen die Opfer keinen Wert. Es geht nur darum, dass ihnen symbolisch an diesen 20 Prozessen gezeigt wird, dass die Justiz diese Verbrechen als solche brandmarkt.
"Konflikt wird uns noch einige Jahre beschäftigen"
Optimistisch sieht der Leiter des Studiengangs Soziale Arbeit, Psychische Gesundheit und Sucht an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) in Schwenningen die augenblickliche politische Entwicklung im Irak. "Es sind alle nett zueinander. Sunniten und Schiiten. Und sie sind nett zu den anderen. Alles ist sehr liberal." Es bleibe allerdings abzuwarten, ob diese Harmonie Zukunft habe. Gewinner sei der schiitische Block, der aber auch Anderdenkende in der Regierung belassen wolle. Das bedeute Perspektiven für ethnische Minderheiten.
"Der Konflikt wird uns noch einige Jahre beschäftigen. Die Frage ist, wie schaffen wir es, den Friedensprozess einzuleiten?", sagt Kizilhan. Er selbst ist in der Tradition einer altiranischen Religion aufgewachsen. Und will in Schwenningen bleiben, obwohl ihn viele Abwerbungsversuche erreicht haben. An der DHBW dort hat er im März ein neues Institut für transkulturelle Gesundheitsforschung ins Leben gerufen. Die Frage, was Menschen gesund macht und was sie in solchen extremen Situationen überleben lässt, möchte er dort beantworten. Überlebende verschiedener Nationen werden ihre Erfahrungen berichten. Das Institut soll von momentan drei bis vier auf 50 oder 60 Mitarbeiter wachsen und ist einmalig in der gesamten Welt.