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Hartmut Kersten wendet sich aus Haft an Mitglieder. Feindliche Übernahme geplant?

Villingen-Schwenningen - Er tut sich schwer damit. Und doch zieht Hartmut Kersten, der erste von zwischenzeitlich fast 17.000 Stadtflüsterern von VS, die Reißleine: Er gibt das Amt des Vorsitzenden des gleichnamigen Vereins ab und mehr noch. Er empfiehlt, den Verein und die Internetplattform voneinander zu lösen.

Am heutigen Freitagabend trifft sich der Verein um 19 Uhr zur außerordentlichen Mitgliederversammlung in der Schwenninger Gaststätte "Wildpark" – ein Name, der Programm werden dürfte, denn die Neuigkeiten werden Zündstoff für Diskussionen unter den Mitgliedern sein. Hartmut Kersten, der wegen einer privaten Angelegenheit seit einigen Monaten in einer Justizvollzugsanstalt sitzt, hat hinter Gittern hart mit sich gerungen und teilte nun in einem Brief an die Redaktion des Schwarzwälder Boten seinen Entschluss mit: "Ich werde mein Amt als erster Vorsitzender des Vereins Stadtgeflüster VS e. V. niederlegen und zur Verfügung stellen." Den Vereinsmitgliedern empfiehlt er zudem, den Verein aufzulösen.

Mit der Vereinsgründung im Jahr 2018 war Hartmut Kersten etwas Einzigartiges gelungen: Zum ersten Mal schaffte eine virtuelle Bewegung aus VS den Sprung ins reale Leben, wurde aus einer doppelstädtischen Internetplattform heraus ein eingetragener, gemeinnütziger Verein gegründet, der es sich zur Aufgabe gemacht hatte, Gutes zu tun, sozial zu wirken. Was also bewog Kersten, der immer für den sozialen Vereinszweck gebrannt hat, nun zu diesem krassen Schritt?

Er schreibt, wie er offen eingesteht, als "trauriger, enttäuschter und wütender" Vereinsvorsitzender und schildert seine Beweggründe sehr detailliert. Niemals habe er bei Gründung der Facebook-Gruppe "Stadtgeflüster VS" vor einigen Jahren erwartet, "dass daraus so eine große Sache werden könnte mit der man so viele tolle Dinge zum Wohle unserer Stadt, deren Einrichtungen und Vereine und auch deren Bürger tun kann".

Ganz persönlich habe er darin auch eine Möglichkeit gesehen, seine "offene Rechnung mit dem Leben" zu begleichen. Er habe zwar nie vorsätzlich oder absichtlich etwas Kriminelles getan, trotzdem laste ihm eine Dummheit, "eine Nachlässigkeit" noch nach über 20 Jahren an und sei Teil seines Lebens. Durch seine haftbedingte Abwesenheit tangierte seine eigentlich ganz eigene, private Angelegenheit plötzlich die Stadtgeflüster-Gruppe und den Verein. Und das, wie sich zwischenzeitlich zeigte, nicht nur, weil der Vorsitzende inhaftiert war, sondern auch, weil plötzlich Neid, Missgunst und Intrigen den Verein zu regieren schienen.

Es seien Whatsapp-Gruppen gegründet und Treffen arrangiert worden, "um sich für eine mögliche Übernahme des Vereins zu positionieren", schildert Kersten die jüngsten Entwicklungen. Menschen, die helfen wollten, seien beleidigt und an den Pranger gestellt worden. Als Anführer dieser Vorgänge machte er einen Mann aus dem Stadtgeflüster-Umfeld aus, der im Streit mit einem Vorstandsmitglied der Stadtflüsterer voller Neid und Missgunst sei und ein ausgeprägtes Aufmerksamkeitsbedürfnis habe. Mit Schrecken beobachte er, dass dieser weitere Menschen für sich gewinne.

Und noch während unserer Recherche zum Thema meldet sich Vereinsmitglied Martin Weidinger, der mit dem Führungsduo Kersten-Caroli schon länger im Clinch liegt, telefonisch bei unserer Redaktion. Er sei der Mann, den Kersten als Anführer bezeichne, sagt er und erzählt offen von seiner Skepsis gegenüber dem Vereinsvorstand – vieles liege im Argen, Spender fragten sich, wo ihre Spendengelder geblieben seien, Belege von Aktionen des Vereins fehlten, so Weidinger. "Es ist alles dubios", fasst er zusammen und betont, stellvertretend für eine Gruppe von etwa zwölf Personen zu sprechen. Kritische Fragen wolle er bei der außerordentlichen Mitgliederversammlung am Abend stellen, auch "die Vertrauensfrage an Dirk Caroli". Selbst bei Weidinger und Co. ist eine Vereinsauflösung Thema. "Wir gehen alle aus dem Verein", kündigt er an. Dirk Caroli habe in der Einladung zur Versammlung bereits seinen Rückzug aus dem Vorstand angekündigt, aber: "entlasten tun wir ihn auf jeden Fall nicht", prophezeit Weidinger.

Ansehen und tagtäglich tausende Klicks

Worum es dem einen oder anderen im Machtkampf rund ums Stadtgeflüster gehen könnte, liegt auf der Hand: Annähernd 17 000 Internetnutzer, die der Gruppe beigetreten sind, sorgen tagtäglich für viele Klicks – diese Reichweite eröffnet Möglichkeiten. Werbeeinnahmen beispielsweise, aber auch ganz profane Annehmlichkeiten wie Einladungen zu Veranstaltungen und Ereignissen in der Stadt, Freikarten für Events, Ansehen und Kontakt zu vielen "wichtigen und großen Menschen", wie Kersten es umschreibt, auch wenn er selbst das nie geplant habe.

"Der tolle soziale Verein ist durch das unsoziale und intrigante Verhalten einiger Leute gescheitert", so sein bitteres Fazit. Mit "solchen Leuten" könne er nicht mehr zusammenarbeiten, denn er selbst wolle mit dem Stadtgeflüster Gutes tun und es "nicht als große Bühne nutzen". Neben Kersten wollen nach Informationen unserer Zeitung auch weitere Vorstandsmitglieder ihre Posten räumen, was die Auflösung des Vereins noch wahrscheinlicher macht. Aktuell besteht der Vorstand aus Harmut Kersten als Vorsitzendem, Dirk Caroli als Stellvertreter, der Kassierer-Posten ist seit Monaten vakant, als Schriftführerin wurde Petra Neumann kooptiert, im erweiterten Vorstand sitzen Sascha Gabriel, Alexandra Blien und Dieter Sirringhaus.

Keine Verflechtung mehr von Gruppe und Verein

Sollte der Verein trotz seiner Empfehlung zur Auflösung fortbestehen, will der noch amtierende Vorsitzende die Mitglieder per Brief vor die Wahl stellen, den Namen des Vereins zu ändern.

"Je nach Entscheidung der Mitglieder, werde ich dann die Facebook-Gruppe umbenennen – oder eben nicht." Die Co-Existenz von Facebook-Gruppe und Verein aber werde er definitiv auflösen, kündigt Kersten an.