Bei der Rollstuhlstaffel gibt Leonie zum Schluss nochmal alles Foto: Schwarzwälder Bote

Leonie aus Obereschach nimmt regelmäßig am Rollstuhlsport teil / Spaß statt Leistungsdruck

Zehn Spieler jagen dem Ball hinterher, alle legen sich mächtig ins Zeug, um für ihr Team ein Tor zu schießen. Was hier anders ist, als bei einem herkömmlichen Fußballspiel: Die Spieler sitzen alle im Rollstuhl. Einmal im Monat treffen sich Rollstuhlfahrer mit ihren Freunden und Familienangehörigen zum Rollstuhlsport. Auch Leonie aus Obereschach nimmt regelmäßig teil.

Denn obwohl die 16-Jährige seit drei Jahren auf einen Rollstuhl angewiesen ist, ist sie eine richtige Sportskanone. Beim Rollstuhlsport ist sie eine der fittesten, drei Stunden lang schiebt sie sich und ihren Rollstuhl mit Feuereifer durch die Inlinerhalle in Geisingen (Kreis Tuttlingen).

Zum Rollstuhlsport im März hat Leonie ihre Mama, ihre Schwester Johanna und deren Freundin Ruth mitgebracht. Gäste dürfen Rollstühle ausleihen. Auch für mich, Gast vom Schwarzwälder Boten, steht einer bereit. Leonie freut sich nicht nur auf die Sportspiele, sondern auch darauf Freunde zu treffen, die sie vom Rollstuhlsport kennt, wie die 21-jährige Alicia aus dem Freiburger Raum.

Begonnen wird beim Rollstuhlsport meist mit Mannschaftsspielen: Hockey, Handball oder wie an diesem Tag Wheel Soccer. Die Regeln sind ähnlich wie beim Fußball: Statt einem kleinen Lederball muss ein großer Gymnastikball ins gegnerische Tor manövriert werden. Der Ball darf nur mit dem Rollstuhl oder mit einer Hand berührt werden. Die Teilnehmer, die nicht auf den Rollstuhl angewiesen sind, müssen ihre Beine kontrollieren. Schließlich gilt es als Foul, wenn man die Beine einsetzt. Je nach Behinderung werden die Regeln angepasst, sodass jeder gefördert wird, aber auch jeder die Chance auf Erfolge hat. Drei Teilnehmer am Rollstuhlsport sind zudem geistig behindert. Sie können nicht so aktiv am Rollstuhlsport teilnehmen wie beispielsweise Leonie, die aufgrund eines Tumors im Rücken auf den Rollstuhl angewiesen ist. Doch auch bei den geistig behinderten und stark eingeschränkten Teilnehmern bewirkt der Rollstuhlsport etwas: Sie sind stolz, wenn sie zum Mannschaftserfolg beitragen können, spüren die Gemeinschaft. Bei den drei "Spezialisten", wie Trainer Holger Kranz sie nennt, gilt es auch als Tor, wenn der Ball die Bande neben dem Tor berührt. Dann greift keiner der anderen Spieler ein, sondern feuern sie an, selbst aus der gegnerischen Mannschaft.

Auf dem Spielfeld geht es wild her. Man muss wendig und schnell sein, sich freifahren, damit der Teamkollege den Ball passen kann. Passt man einmal nicht auf, kann es zu einem Crash kommen. Alle jagen wie wild dem Ball hinterher, halten verbissen am Ballbesitz fest. Das Spiel beansprucht sowohl den Körper wie auch den Geist. Nach gut einer Stunde merkt man, wie die Oberarme zu schmerzen beginnen.

"Beim Rollstuhlsport ist man viel aktiver als im normalen Alltag", meint Leonie. Zwar beansprucht die tägliche Fortbewegung ihre Armmuskulatur ebenfalls, doch lange nicht in dem Ausmaß, wie es beim Rollstuhlsport der Fall ist. "Gerade als Rollstuhlfahrer, der den ganzen Tag sitzt und sich wenig bewegt, ist es wichtig Sport zu machen", sagt sie, selbst wenn das nur eingeschränkt gehe. Neben den Armen wird beim Rollstuhlsport vor allem auch der Rumpf stabilisiert. Das sei als Rollstuhlfahrer im Alltag wichtig und helfe ihr beispielsweise beim Umsitzen. Bei der Physiotherapie macht Leonie ebenfalls Sport, doch beim Rollstuhlsport genießt sie auch die gesellschaftliche Komponente: "Ich mag besonders den Teamsport, bei der Physiotherapie bin ich immer alleine." Bei jedem Treffen seien neue Teilnehmer dabei. Dennoch wächst die Gemeinschaft im Spiel recht schnell zusammen.

Den Rollstuhlsport hat Trainer Holger Kranz vor rund 15 Jahren ins Leben gerufen und bietet ihn seither an verschiedenen Standorten in Baden-Württemberg an. Kranz ist selbst nicht auf den Rollstuhl angewiesen, war jedoch mit einer Rollstuhlfahrerin verheiratet und kennt daher die Herausforderungen im Alltag eines Rollstuhlfahrers. Die Gruppe, die unter anderem in Geisingen trainiert, ist die Freiburger Gruppe. Einige Teilnehmer nehmen einen Anfahrtsweg von bis zu zwei Stunden auf sich, schließlich gibt es kaum Freizeitsportangebote für Rollstuhlfahrer. "Rollstuhlsport ohne Leistungsdruck gibt es so gut wie gar nicht. Die meisten Angebote sind sportartspezifisch und gipfeln letztendlich in Wettkämpfen." Bei Kranz’ Kursen geht es nicht um Leistung: "Es geht darum, dass alle Spaß haben und sich ein bisschen bewegen. Jeder bringt sich in der Form ein, wie er kann."

Leonie besucht derzeit die zehnte Klasse des St.-Ursula-Gymnasiums in Villingen. Sie ist die einzige Rollstuhlfahrerin in ihrer Schule, vom Sportunterricht ist sie befreit. Der Rollstuhlsport ist ein wenig vergleichbar mit dem Schulsport. Mannschaftsspiele ohne Leistungsdruck werden von Geschicklichkeits- und Schnelligkeitsaufgaben ergänzt. "Hier geht es darum, dass alle Spaß haben und sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten bewegen."

Da Leonie an einer Inklusionsschule ist, kommt sie in ihrem normalen Alltag nur kaum mit anderen Rollstuhlfahrern in Kontakt. Beim Rollstuhlsport hat sie Freunde gefunden, die genau wissen, mit welchen Herausforderungen Rollstuhlfahrer im Alltag zu kämpfen haben.

Doch auch im Alltag zeigt sich Leonie sportlich. Bevor sie dauerhaft auf den Rollstuhl angewiesen war, ging Leonie trotz Gehbehinderung Fechten. Nun fährt sie gerne mit ihrem Handbike zur Schule oder in die Innenstadt. Das ist eine Vorrichtung, die sie vor den Rollstuhl spannt. Damit braucht sie rund eine halbe Stunde von Obereschach nach Villingen. "Gerade beim Handbike fahren ist es schön, selbstständig irgendwo hin zu kommen, das ist ein Stück mehr Mobilität."

Der Rollstuhlsport dauert stets einen ganzen Nachmittag, etwa drei Stunden. Neben einem Teamspiel werden auch Geschicklichkeits- und Schnelligkeitsspiele wie beispielsweise Slalomfahren angeboten. Das Märztraining wird mit einem Staffellauf beendet. Jeder muss so schnell er kann eine Runde auf der Inlinerbahn durch die Halle fahren. Damit der Wettkampf der beiden Teams fair abläuft, definiert Kranz die Regeln neu. Die drei "Spezialisten" dürfen abkürzen und ihre Begleitperson mitnehmen. Zum Abschluss geben die Rollstuhlfahrer noch mal alles, es wird angeschoben bis die Oberarmmuskeln brennen, der Rollstuhl gleitet schnell über den glatten Belag. Als der letzte über die Ziellinie jubeln alle – egal wer gewonnen hat.