Gitarren statt Gewehre: Dieter Brandes, ehemaliger evangelischer Stadtpfarrer, erneut in Afrika unterwegs / Projekt erfolgreich

"An ihren Taten werdet ihr sie erkennen", heißt es im Neuen Testament. Mit dem klischeebesetzten klassischen Lehnstuhl für Rentner kann er nichts anfangen: Dieter Brandes, der ehemalige Schwenninger Stadtpfarrer, schritt in diesem Jahr mit seinen 72 Jahren wieder kräftig zur Tat.

VS-Schwenningen. Einen Monat war er in Afrika unter anderem für das Projekt Healing of Memories (HoM) unterwegs. Im ehemaligen Bürgerkriegsland Ruanda ist es inzwischen halbwegs friedlich. Dort war Brandes in der zweiten Reisehälfte. Zuvor besuchte er Projekte in der noch immer sehr gefährlichen Demokratischen Republik (DR) Kongo. Demokratisch ist sie vorwiegend nur auf dem Papier. Reisen dorthin sind alles andere als harmlose Spaziergänge. Wer Bürgerkriegselend erlebt hat und Geschichten kennt, die Überlebende erzählen, verliert offenbar die Angst vor "kleineren" Bedrohungen. "Ich würde mit meinen 72 Jahren nur nicht mehr in den Busch gehen", so Brandes. Neben einer kurzen Visite in Sambia stellte Bukavu in der DR Kongo die erste Station der vom Lions Club Schwenningen mitfinanzierten Reise des Pfarrers dar.

Die evangelische Kirchengemeinde Schwenningen unterstützt dort seit mehreren Jahren ein Ausbildungsprojekt mit niederschwelligen Kursen für ehemalige Kindersoldaten und Bürgerkriegsflüchtlinge. Begleitet wurde Brandes diesmal von der Berliner Sozialpädagogin und Therapeutin Corinna Kärnbach, einer Expertin für Trauma-Folgenforschung. Brandes hatte sie in Wien auf einer Konferenz des Projekts Healing of Memories kennengelernt.

Was Spenden bewirken können, ist in Bukavu beispielsweise im Projekt Gitarren statt Gewehre unmittelbar zu sehen. Unter anderem auch durch die mediale Unterstützung des Schwarzwälder Boten kam bei einer Spendenaktion zur Weihnachtszeit 2016 in der Kirchengemeinde die Rekordsumme von 26 000 Euro für das vom evangelischen Entwicklungsdienst Brot für die Welt zentral geförderte Ausbildungsprojekt zustande. Mit einem Benefizkonzert in der Schwenninger Johanneskirche sammelte die Kirchengemeinde im März erneut für das Projekt (wir berichteten).

Geführt wurde Brandes in Bukavu von Vital Mukuza, dem Direktor des Projekts CAPA (Centre d’Apprentissage Professionnel et Artisanal). Dort lernen die einstigen Kindersoldaten handwerkliche Berufe – unter anderem Instrumentenbauer. Mukuza hatte vor zwei Jahren sogar die unterstützende Schwenninger Kirchengemeinde besucht. Wie wichtig neben der Befriedung auch der Aufbau fachlichen Wissens ist, zeigte sich bei der Weiterfahrt auf dem Kivu-See nach Goma dem Schwenninger Pfarrer im "Un"-Ruhestand. "Der See ist etwa fünfmal so groß wie der Bodensee und es herrschen dort chaotische Zustände. Oft stoßen Schiffe zusammen", so Brandes. Nur zufällig wurde das von ihm genutzte Schiff von einem ausgebildeten Kapitän gefahren – die Lehre absolvierte dieser im unterstützten Bukavu-Hilfsprojekt.

Zentraler Ansprechpartner in Goma (ebenfalls noch DR Kongo) war für Brandes eine dortige Universität. Brandes gab an der Hochschule erneut Kurse für Mediatoren des großen seelsorgerlich-therapeutischen Projekts Healing of Memories (Heilen von Erinnerungen), in welchem er seit Jahren als Koordinator weltweiter Projekte tätig ist. Auch traf er sich mit früheren Teilnehmern zur Erörterung des von diesen inzwischen als Vermittler Geleisteten. Als ein "ganzes Generationen-Trauma" sieht Brandes das, was neben der körperlichen Gewalt an psychischer Zerstörung entstand. "Ich nenne sie Kinder des Genozids", so Brandes mit Bezug auf jene Menschen, welche in Ruanda die schreckliche gegenseitige Abschlachtung von Tutsis und Hutus um das Jahr 1993 er- und überlebten.

Mitglieder der verfeindeten Gesellschaftsschichten wieder zusammen zu bringen, ist eine der größten Aufgaben, die sich in der Region tätige Hilfsorganisationen zur Aufgabe gemacht haben. Dass Konzepte wie Healing of Memories greifen, zeigt sich besonders dort: Verfeindete Menschen werden in der Aufarbeitung ihrer Traumata unterstützt, gemeinsame Aufgaben zu erfüllen, wie beispielsweise der Bestellung von Land oder dem gemeinsamen Halten von Vieh. Großer Wert wird auch auf die Ausbildung junger Menschen gelegt.

Der einst völlig zerstörte Bürgerkriegsstaat scheint auf einem guten Weg zu sein. "Ruanda ist das einzige Land in Afrika, in welchem es 100-prozentigen Schulbesuch gibt", so der Wahl-Schwenninger. Brandes, der bei seinem aktuellen Ruanda-Besuch Ureinwohner traf wie auch Vorträge vor Intellektuellen des Landes hielt. Er sieht die Aufarbeitung der Traumata in Ruanda als besonders gelungen an: "Es gibt beispielsweise keine Todesstrafe. Die Täter müssen stattdessen in ihre Dörfer zurück und sich vor Ort integrieren. Dies sei schwierig, aber es gelinge meist und erzeuge nicht erneut schwere Wunden. Es geht schließlich um das Heilen der Wunden."

Ähnliches wird vermutlich in Syrien notwendig werden. Aber selbst nach sieben Jahren Bürgerkrieg scheint die Möglichkeit einer Befriedung dort aktuell noch immer äußerst weit entfernt zu sein.

Bei einem weiteren Meeting in Ruanda traf Brandes sogar Gäste aus der Neckarstadt: Die Duale Hochschule Villingen-Schwenningen unterhält seit 2016 eine Kooperation mit der Protestant University Ruanda (PUR) in Huye. Im Rahmen eines Stipendium-Förderprogramms der Baden-Württemberg-Stiftung existiert ein gegenseitiger Studenten-Austausch. Brandes traf einige Schwenninger Studenten. Aktuell sind umgekehrt einige Studenten aus Ruanda in Schwenningen.

Zurück in Schwenningen kümmerte sich Brandes gleich um die Austausch-Studenten aus Afrika und nahm sie mit zum jüngsten Benefizkonzert. Dann allerdings ging es für den 72-Jährigen auch schon weiter nach Hermannstadt/ Sibiu in Rumänien an die orthodoxe Fakultät – natürlich in Sachen Healing of Memories.