Kultur: Kabarettistin Ingrid Kappeler in Härings Kulturcafé / Erste Veranstaltung nach Corona-Zwangspause

VS-Schwenningen. Einst war es kaum denkbar, dass Kulturveranstaltungen plötzlich nicht mehr stattfinden können. Nun beschleicht umgekehrt Gäste ein seltsames Gefühl, wenn es tatsächlich wieder welche gibt. Mit Künstlern und sogar mit Zuhörern – beispielsweise mit Ingrid Kappeler am Freitag in Härings Kulturcafé. Das bei kulturellen Events gern gehörte Wort "ausverkauft!" war diesmal bereits beim 40. Gast auszusprechen.

Obwohl bei dem beliebten Schwenninger Kulturformat längst große Routine herrscht, hatte die erste Veranstaltung nach einem halben Jahr Zwangspause einen Touch des Neuen. Vor fast vier Jahren hatte sich eine Pfaffenweiler Musikkabarettistin erstmals mit einem abendfüllenden Programm vor größeres Publikum gewagt: In Härings Kulturcafé startete sie im Januar 2016 ihre Solokarriere, inzwischen agiert Ingrid Kappeler völlig souverän auf der Bühne. Längst hat sie seither verschiedene Preise abgeräumt und ist in halb Baden-Württemberg bekannt.

"Vorbeischwimmerin" benannte sie ihr erstes Programm; so war auch ihr aktuelles noch überschrieben, doch beinhaltete diesmal der Auftritt schon viele neue Lieder eines künftigen Programms. Mit im Publikum saß am Freitag wieder einer ihrer größten Fans: ihr inzwischen über 90 Jahre alter Patenonkel. Den Gästen der liedermachenden Musiktherapeutin sitzt eine Künstlerin gegenüber, welche ihre Texte samt der zugehörenden Musik selbst schreibt und an Klavier oder Gitarre auch selbst spielt. Themen entnimmt sie meist dem Alltag mit seiner oft unfreiwilligen Komik.

Im Zug, im Café: "Aufpassen, zuhören, dann gibt es Lieder fast von alleine", meint sie. Da ist beispielsweise die Beziehung zwischen Frau und Mann: Eigentlich hätte sie gerne den "Traummann" schlechthin, doch ist er da, stellt sich ein "Traummann-Trauma" ein, wenn er alles kann und in seiner Perfektion ihr die eigenen Fehler aufzeigt: "Vollkommenheit kommt in meiner Welt nicht vor!" Auch allzu große Nähe kann stören, wenn der Ehemann, nicht mehr besonders erotisch, feststellt: "Bisch halt mei A-Mi-Na-Schlupferle!". Da wünscht sie sich, er sei lieber mal still. "Deine Wärme und dein Charme brachten mich einst um den Verstand", so Kappeler, "aber der kommt nun langsam zurück!" Auch die Beziehung zwischen sich selbst und der eigenen Entwicklung ist der Sängerin manches Lied wert: Der Blick in den Spiegel lässt sie feststellen, "dass Spiegel auch nicht mehr das sind, was sie mal waren". Selbstironisch ihrem höheren Gewicht gegenüber singt sie von einer Stewardess, die mit immer größer werdendem Körperumfang Flugzeuge mit breiter ausfallenden Gängen bis hin zum Jumbo ähnlich wechselt, wie die Kleidergrößen.

Mit ausgeprägter Sensorik auf den eigenen Dialekt betrachtet die in Oberschwaben Geborene in einem Lied zwei knappe Grundsätze schwäbischer Tugend: "Mr‘ sott" und "Des tuet’s"! Bisweilen verließ die wortgewandte Künstlerin das Terrain des Kabaretts und stimmte auch melancholische Töne an. So beispielsweise mit einem Lied, in welchem sie sich ins "Gräbele" zwischen Vater und Mutter zurücksehnt. Auch hinterfragt sie in einem anderen gesellschaftskritisch den gegenwärtigen Konsumwahn, der uns "ein ödes Leben" bescheinigt, wenn wir nicht ständig konsumieren: "Fehlt nur noch der Recall oder die Händlerkarte". Gänzlich ernst wurde Kappeler im Lied "Schwabenkinder", einem Thema, auf welches sie bei einer Ausstellung in ihrer Heimat stieß. Es beschreibt damals gängige versklavende Arbeitseinsätze von Kindern ärmerer Landstriche im 19. und 20. Jahrhundert in Schwaben unter dem Deckmantel scheinbarer Hilfe. Lyrisch, nachdenklich, witzig, ernst, selbstironisch, kritisch, gefühl- und phantasievoll sind die Texte Kappelers. Die passende Musik hierzu, mal im Tempo flott auf dem Klavier oder als langsame Ballade auf der Gitarre, einmal sogar mit einer sogenannten "Hang", einer "Steel-Drum" nicht unähnlichen doppelten Klangschale, trägt sie stilsicher vor. Ingrid Kappeler hat sich in den vergangenen Jahren künstlerisch "freigeschwommen".