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Angst um Grundbesitz: Verunsicherte Bürger rufen im Vermessungsamt an. "Wirres Gedankengut."

Villingen-Schwenningen - Was Ulrich Götz zum Jahreswechsel erlebte, war für den langjährigen Leiter im Vermessungsamt VS ein Novum. Verunsicherte und verängstigte Bürger rufen ihn und seine Mitarbeiter an, weil sie eine Enteignung ihrer Häuser fürchten.

Das Fazit: "Die Reichsbürger sind mit ihrer Ideologie auch im Oberzentrum angekommen. Diese lehnen nicht nur die Existenz der Bundesrepublik Deutschland ab, sondern kippen vor allem in Internetforen ihre Ideen aus."

Götz und Ralph Stoll, Leiter der Grundbuch-Einsichtsstelle, staunten nicht schlecht, als vor dem Jahreswechsel viele Doppelstädter im Amt anriefen und nach der "Mutterrolle" fragten, die die städtische Behörde doch bitte herausgeben solle. Bei Nachfragen erfuhren Götz und sein Team, dass ihre Gesprächspartner alle eine Grundangst umtrieb: "Wenn wir diese Unterlagen nicht jetzt besorgen, dann sind wir unsere Häuser los."

Die Schock-Worte "Enteignung durch den Staat" machten auch in VS die Runde. Und der Staat habe guten Grund für die Enteignung, treibt die Szene ihre Enteignungs-Hysterie auf die Spitze: Dann gebe es den dringend benötigten Wohnraum für die vielen Asylbewerber im Land. Dass die Szene im Oberzentrum für Aufregung sorgt, wurde auch durch den Haus-und Grundeigentümerverein VS bestätigt.

"Wirres Gedankengut"

Und damit sind nun auch die doppelstädtischen Verwaltungs-Mitarbeiter mittendrin im "konfusen und wirren Gedankengut" von Reichsbürgern, die in ihren Internet-Blogs und Schriften schon lange vor solchen Maßnahmen durch den Staat warnen: "Wir erlebten Anrufer, die sehr stark verunsichert waren", erinnert sich Götz, seit 26 Jahren im Amt, und sein Mitarbeiter Stoll. In den allermeisten Fällen konnten die beiden die besorgten Bürger beruhigen. Die Reichsbürger haben darauf hingewiesen, dass sich alle Bürger mit Eigentum eine Grundsteuer-Mutterrolle in beglaubigter Abschrift und damit beglaubigte Katasterauszüge besorgen sollen. Doch wie solle das Vermessungsamt etwas herausgeben, das es gar nicht gebe, reagierte Stoll.

Mitunter brauchte es ein 30-minütiges Gespräch, um einen Schlüsselsatz aus den Köpfen wieder hinauszubekommen: Wenn man die Grundrechte für Häuser und Grundstücke beim Katasteramt nicht bis zum Ende des Jahres geltend mache, "verliert Ihr Eure Häuser und Grundstücke an die EU über das Gewohnheitsrecht", heißt es in einer einschlägigen Schrift. Unter anderem beruft man sich auf Begriffe, die im 19. Jahrhundert und Anfang des 20. Jahrhundert eine Rolle spielten.

Pässe abgegeben

Was Ulrich und mit ihm auch Ralf Glück, Leiter des Bürgeramtes VS, mittlerweile erleben, ist ein bundesweites Phänomen und hat den Städtetag Baden-Württemberg bereits zu einer umfangreichen Stellungnahme veranlasst: In dem Schreiben geht es vornehmlich um den Umgang mit sogenannten "Reichsbürgern". Anlass ist nicht nur die hohe Anzahl von solchen Anhängern in Baden-Württemberg (die zweithöchste in der Bundesrepublik). Für Aufsehen sorgen diese auch durch Aktionen gegen die öffentliche Verwaltung und die Justiz: Reichsbürger bestreiten seit einiger Zeit die Geltung des Grundgesetzes und die Existenz der Bundesrepublik Deutschland.

Was dies genau bedeutet, musste auch schon das Bürgeramt und dessen Leiter Ralf Glück erfahren. Oxana Brunner, Pressesprecherin der Stadt, bestätigte, dass es öfters vorkomme, dass Bürger ihre Pässe abgeben. "Die legen ihre Ausweise auf die Theke und gehen." Da helfen auch keine Belehrungen darüber, dass man in Deutschland eigentlich einen Pass brauche. Eine wenig überzeugende Argumentation für diese Doppelstädter, da sie ja davon überzeugt seien, dass es die Bundesrepublik Deutschland gar nicht gebe.