Jan Ilhan Kizilhan ist verantwortlicher Traumatologe der baden-württembergischen Landesregierung für das Sonderkontingent zur Aufnahme traumatisierter IS-Opfer aus dem Nordirak. Foto: dpa

Psychologe hält Aschwak T. für glaubwürdig. Polizei sollte Vertrauen aufbauen.

Villingen-Schwenningen - Der Fall der Jesidin Aschwak T. aus Schwäbisch Gmünd, die nach einer unheimlichen Begegnung zurück in den Nordirak ging, wirft weiter Fragen auf. Jan Ilhan Kizilhan, Professor an der Dualen Hochschule Villingen-Schwenningen und Leiter des Sonderprogramms zur Aufnahme der Jesidinnen aus dem Nordirak und Syrien, versucht, Antworten zu geben.

Herr Professor Kizilhan, wie bewerten Sie den Fall der Jesdin Aschwak T.?

Ich war nicht überrascht, dass solche Nachrichten kommen. Seit der sogenannte Islamische Staat in der Defensive ist, muss man damit rechnen, dass IS-Kämpfer auch auf dem Weg nach Europa sind. Im Augenblick befindet sich eine größere Gruppe in der Türkei, andere harren in Nordafrika aus.

Das Bedrohungsszenario, das die junge Jesidin schildert, ist also real?

Ich habe Aschwak 2015 untersucht, als sie hierher kam. Sie ist für mich glaubwürdig. Die Frage ist allerdings, ob ihre Schilderung tatsächlich reell ist: Hat sie den Täter gesehen oder jemanden, der ihm ähnlich ist? Aus der Psychotraumatologie weiß man, dass das Gedächtnis einem durchaus einen Streich spielen kann. Ich maße mir da aber kein Urteil an. Ich kann nachvollziehen, dass sie Angst hat. Die andere Frage ist: Gibt es einen Grund, in den Irak zu gehen, weil es dort vermeintlich sicherer ist?

Ist es das?

Eindeutig nein. Seit 2014 bin ich jedes Jahr mehr als zehnmal im Irak, ich leite das Institut für Psychotherapie und Psychotraumatologie an der Universität Duhok im Nordirak. Dort werden mit Unterstützung des baden-württembergischen Wissenschaftsministeriums Psychotherapeuten ausgebildet. Von den vielen Besuchen dort weiß ich, dass die Aktivitäten des IS noch sehr stark sind, auch wenn man hier den Eindruck hat, der IS sei besiegt. Das ist nicht der Fall. Der IS ist zum Teil noch gut positioniert und das nicht allzu weit entfernt von den Flüchtlingscamps. Das Sindschar-Gebirge, Heimat der Jesiden, wird zum Teil von schiitischen Milizen kontrolliert. Es ist ein Kriegsgebiet. Dort gibt es im Vergleich zu Deutschland keine Sicherheit. Ich bedaure es, dass die Behörden und Aschwak nicht schneller zusammengefunden haben, und sie nicht das Gefühl bekommen hat, dass sie gefahrlos in Deutschland bleiben kann.

Landes-Innenminister Thomas Strobl (CDU) sieht keine Versäumnisse der Behörden.

Von früheren Fällen weiß ich, dass Polizei und Bundesanwaltschaft auf solche Hinweise tatsächlich schnell reagiert und Kontakt mit den Frauen aufgenommen haben. Es gibt auch die Neigung, Behörden zu überschätzen. Neulich sagte mir eine Jesidin: "In Deutschland muss man immer warten." Dazu muss man wissen, dass diese Menschen Erfahrungen mit einer Diktatur gemacht haben, in der die Behörden alles unter Kontrolle hatten. In der Ära von Saddam Hussein konnten sich die Menschen nicht bewegen, ohne kontrolliert und beobachtet zu werden. Das führt dazu, dass die Leute glauben, die Behörden seien allmächtig.

Kennen Sie Fälle, bei denen es zu Übergriffen auf Jesidinnen in Deutschland gekommen ist?

Zu einem tätlichen Angriff ist es meines Wissens bisher nicht gekommen. Wir wissen aber, dass es in Chats und sozialen Medien solche Bedrohungen gibt. Es kommt auch vor, dass die Frauen Anfeindungen durch radikale Muslime ausgesetzt sind. Ich kenne den Fall einer Jesidin, die im Deutschkurs einen Afghanen traf, der zu ihr sagte: "Was euch Jesidinnen passiert ist, ist zu Recht geschehen." Der Mann wurde dann aus dem Deutschkurs genommen.

Was hat der Fall Aschwak unter den hier lebenden Jesidinnen ausgelöst?

Er hat viel Unsicherheit hervorgerufen. Wenn die Frauen auf die Straße gehen, erleben sie wieder diese Unsicherheit. Sie müssen erneut stabilisiert werden. Daran müssen wir sozialtherapeutisch arbeiten. Ich würde mir aber auch wünschen, dass die Behörden jetzt stärker auf sie zugehen, sie über die Ermittlungsarbeit aufklären und ihnen Sicherheit vermitteln. Der Polizei kann ich als Psychotherapeut dringend raten, in Kontakt mit den Frauen zu treten und Vertrauen aufzubauen. Sie müssen lernen, dass die Polizei in Deutschland nicht etwa foltert, sondern für einen Rechtsstaat arbeitet.

Haben Sie direkten Kontakt zu Aschwak?

Ich bin nächste Woche dort und werde versuchen, sie zu treffen, um zu sehen, wie es ihr geht. Ich mache mir Sorgen, dass in ihrem Gedächtnis viele schlimme Erinnerungen aktiviert wurden und es ihr nach dem ganzen Rummel nicht gut geht.

Sie braucht Betreuung?

Genau. Ich werde anbieten, ihr eine Therapeutin aus unserem Institut zu vermitteln.

Aschwak hat betont, dass sie nicht nach Deutschland zurückkommen will.

Nach meinen Informationen hat die Familie einen Antrag gestellt, nach Australien auszuwandern.