Foto: Jaspersen Foto: Schwarzwälder Bote

Vogelexperte pickt sich Hausbesitzer heraus und fordert naturnahe Gärten

Ausgemergelte Vögel?  Für Peter Berthold  erstaunen zwar diese Fälle aus  VS, es ändert aber nichts an den generell traurigen Fakten. Der Vogelexperte aus dem  Bodenseegebiet nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn es um Ursachen des Vogelsterbens geht: Schuld seien auch die "Gärten der Psychopathen".

Villingen-Schwenningen. Das gelbe Schnäbelchen ist  weit aufgerissen, der Körper verkrampft:  Erneut wird ein Jungvogel, nur noch Haut und Knöchelchen, zur  Vogelauffangstation von Ralf und Ellen Claaßen gebracht. Auch er  übersteht die Nacht nicht. Waren  extrem schwache Jungtiere im  Frühling  2019  ein trauriges Thema,  ist das Jahr 2020 für  eine weitere Überraschung gut.  Nun hat es nach den Beobachtungen  von Ellen Claaßen auch adulte Vögel erwischt.  Auffallend sei in den  warmen  Frühjahrstagen gewesen, dass sie selbst oder andere  besorgte  Tierschützer einige abgemagerte Tiere aufgelesen hätten.    Darunter  seien nicht nur Arten gewesen, die überwintert hätten wie Rotkehlchen oder  Stieglitz, sondern auch  Vögel, die aus dem Süden zurückgekehrt seien, darunter Stare.

Überall Gefahren

Claaßen kann nur vermuten,  was hinter dieser für sie neuen Beobachtung steckt.  Denn  das Phänomen Vogelsterben ist  schon längst auch in VS angekommen. Die Ursachenanalyse für diese Entwicklung ist komplex. Laut Experten spielt  die Intensiv-Landwirtschaft eine Rolle, sowie das geänderte Zugverhalten der Vögel aufgrund des Klimawandels. Zudem   verfangen   sich Zugvögel in Fangnetzen, um später als Delikatesse verspeist zu werden.  Der BUND-Regionalverband Freiburg  hat ebenso Ursachenforschung betrieben. Fazit: Das Aufkommen der Brutvogelarten habe deutlich abgenommen. Diverse Faktoren führen zum schleichenden Vogel-Exodus. So das seit Jahren beobachtete Insektensterben. Für den Umweltschutzverband ist eine der Ursachen dafür  eine immer intensiver wirtschaftende Landwirtschaft, die die Insekten besonders stark gefährde.  Doch der kritische Blick geht immer stärker ins Private hinein, genauer gesagt in die Gärten. Ellen Claaßen schaut auf ihren,  hier ein  kleiner Laubhaufen, dort ein paar Löwenzahn-oder andere Stengel, an denen Vögel sich gütlich tun und die Samen herauspicken.   

Füttern rund ums Jahr

Doch in vielen Gärten,  ärgert sie sich, sieht  es wie "nach einer Kehrwoche aus". Alles werde platt gemacht. Mit dem Ergebnis, dass Vögel  verzweifelt  und oft ergebnislos nach Nahrung suchen. Zudem,  erläutert sie weiter,  verstecken sich in Laubhaufen auch kleine Insekten wie Spinnentiere, Leckerli für   zumindest einen Teil  der gefiederten Tierwelt. Diese  zunehmenden  toten Flächen sind für sie ein  starkes Argument  für die Ganzjahresfütterung der Vögel, aber mit dem richtigen  Futter, mahnt sie an und  verweist auf  Infoseiten.  Doch ob Vögel bessere Überlebenschancen haben oder nicht,  "das steht und fällt auch mit dem  Garten".  

Dem würde  Wolfgang Fiedler, seit März 2000 Wissenschaftlicher Leiter der Beringungszentrale an der Vogelwarte Radolfzell, nicht widersprechen. Doch auch er sieht  eine problematische Entwicklung, die sich bundesweit abzeichne: Der Trend weg von naturnahen und hin zu Gärten, in denen kaum noch Naturwiesen oder heimische Gehölze vorkommen. Für Peter Berthold, lange Jahre,  Leiter der Vogelwarte Radolfzell, einer Zweigstelle des Max-Planck-Instituts   für Ornithologie, sind  die ausgemergelten erwachsenen  Vögel aus VS eher eine Ausnahmeerscheinung.    Für ihn ist das Thema schnell abgehakt. Der Vogelexperte spricht lieber über die   Corona-Zeiten, von denen die Tiere seiner Meinung nach profitiert haben.   In der Landschaft habe wochenlang absolute Ruhe geherrscht. Auf Sportplätzen habe er herumstaksende Weißstörche beobachtet, die in aller Seelenruhe nach Mäusen suchten. "Die erlebten wirklich eine paradiesische  Zeit.“    

Spott für Schotter

Wenn  der  "Erfinder der ganzjährigen Vogelfütterung" auf das  Aussehen    einiger Privatgärten angesprochen wird, dann hört  für ihn der paradiesische Eindruck schon ganz schnell auf.    Aus dem freundlichen älteren  Vogelkundler wird ein Naturschützer, der  für  Stoppelrasen und Schotter-Schutzwälle ("das ist der Gipfel") nur noch beißenden  Spott übrig hat. "Das sind doch Psychopathen-Gärten, Horror-Gärten", schimpft er laut im  Gespräch mit dem  Schwarzwälder Boten. "Eigentlich haben  wir  eine moralische Verpflichtung,  einen vogelfreundlichen Garten  anzulegen."