Bei der Hess AG im Werk Villingen laufen die Geschäfte weiter. Foto: Kienzler

Neuer Vorstand setzt auf Investoren. Christoph Hess weist Vorwürfe zurück. Insolvenzgeld für Mitarbeiter.

Villingen-Schwenningen - Paukenschlag am Aschermittwoch: Die Hess AG ist pleite. Der Betrieb läuft weiter. Die rund 380 Mitarbeiter erhalten die nächsten drei Monate Insolvenzgeld. Unterdessen laufen Gespräche mit einem halben Dutzend Investoren.

Christoph Hess weist Vorwürfe zurück, er habe das Unternehmen nicht retten wollen.

Gerüchte machten schon längst die Runde: Diese Woche werde die Hess AG einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens stellen. Noch am Morgen lag dem Amtsgericht in Villingen kein Papier vor. Um die Mittagszeit war es doch Fakt: Vorstand Till Becker habe pflichtgemäß einen Antrag eingereicht, teilte das Unternehmen mit folgendem Wortlaut mit: "Trotz Ausschöpfung aller Alternativen waren wir gezwungen, sowohl für die Hess AG als auch die Hess Lichttechnik GmbH wegen Zahlungsunfähigkeit Insolvenzantrag zu stellen." Ziel sei es jetzt, Hess mit den Instrumenten der Insolvenzordnung zu sanieren und dauerhaft konkurrenzfähig aufzustellen.

Für das Geschäftsjahr 2013 sei ein Verlust im hohen einstelligen Millionenbereich, in bestimmten Szenarien sogar von bis zu zwölf Millionen Euro zu erwarten. Um im laufenden Geschäftsjahr möglicherweise doch noch eine "schwarze Null" vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (EBITDA) zu erreichen, müssten kurzfristig zusätzlich mehr als fünf Millionen Euro in eine Restrukturierung investiert werden, zeigte das Unternehmen weiter auf. Gemeinsam mit der vorläufigen Insolvenzverwaltung werde er alles in seiner Macht stehende leisten, die Hess-Gruppe zu sanieren, fortzuführen und so viele Arbeitsplätze wie möglich zu erhalten, erklärte Becker. Kündigungen seien noch nicht ausgesprochen worden.

Vorstand zieht Notbremse

Besonders in dieser schwierigen Situation sei es wichtig, einen Betriebsrat zu gründen, sagte Reiner Neumeister, Erster Bevollmächtigter der IG Metall. Die Vorbereitungen laufen. Offensichtlich habe der Vorstand die Notbremse gezogen, erklärte Neumeister weiter.

"Die Fehler liegen in der Vergangenheit", machte Unternehmenssprecher Marco Walz deutlich. "Diverse Gründe" hätten das Unternehmen in diese Lage geführt. Er nennt "sehr teure Auslandsniederlassungen". Und er nennt Familieninteressen. Geld sei in Dinge gesteckt worden, wo sie nicht hingehört hätten.

Neue Investoren erwarteten effiziente Prozesse und Kostenstrukturen, teilt das Unternehmen weiter mit. Daher seien bereits in den vergangenen zwei Wochen diverse für das Unternehmen nachteilige Vereinbarungen aufgelöst worden, bei denen Familien- und Unternehmensinteressen verknüpft worden seien.

Und: Der Hauptgesellschafter, die Hess Grundstücksverwaltungs GmbH & Co. KG, habe in den vergangenen Wochen weder Forderungen der Hess AG und der Hess Lichttechnik GmbH beglichen noch sei er bereit, einen überobligatorischen Sanierungsbeitrag zu leisten, wirft der neue Vorstand Christoph Hess und Peter Ziegler vor. Dies jedoch seien grundlegende Forderungen der kreditgebenden Banken gewesen. "Somit halten die Gläubigerbanken weiterhin die Guthaben und Kreditlinien gesperrt." Überdies könne derzeit nicht ausgeschlossen werden, dass die Hess AG mit Anlegerklagen konfrontiert wird.

Christoph Hess wies gestern Nachmittag die Vorwürfe in einer über sein Pressebüro verbreiteten Mitteilung deutlich zurück. "Wir als Familie Hess haben dem Unternehmen mehrfach Hilfe angeboten. Selbst mein Vater war dazu bereit, die operative Verantwortung für das Unternehmen wieder zu übernehmen. Allerdings hat sich bei uns schon sehr bald der Eindruck verfestigt, dass unsere Unterstützung erst gar nicht gewollt wurde. Bei Gesprächen mit Banken und Investoren hinsichtlich Weiterführungsoptionen wurden wir nicht eingebunden, sondern teilweise sogar ausgeschlossen."

Und weiter: "Wir haben Hilfe angeboten, damit die fälligen Gehälter der Mitarbeiter bezahlt werden können, sahen aber keinen Sinn darin, dass diese von uns zur Verfügung gestellten Mittel für exorbitante Beraterhonorare oder Managergehälter ausgegeben werden. Das haben wir so auch der Unternehmensführung deutlich mitgeteilt. Wir wollten, dass unsere Unterstützung direkt an die Mitarbeiter geht."

Hess wehrt sich weiter: "Ich als der ehemalige CEO der Hess AG wurde vom Aufsichtsrat unter dem AR-Vorsitzenden Tim van Delden bis heute nicht nicht einmal zu den Vorwürfen gehört oder befragt. Ich hätte mich auch gar nicht qualifiziert zu den Vorwürfen äußern können, weil ich die Belege, die mich entlasten können, weder im Original noch in Kopie einsehen durfte. Offenbar ist man nicht an einer raschen und unabhängigen Aufklärung der Vorwürfe gegen mich interessiert. Eine ausführliche Stellungnahme kündigt Christoph Hess für heute an.

Chronik

-  Montag, 21. Januar: Der Aufsichtsrat der Hess AG beschließt einstimmig, die Vorstände Christoph Hess und Peter Ziegler abzuberufen. Der Vorwurf: Bilanzmanipulationen. Zum neuen Vorstand wird Till Becker berufen, einst in Diensten des Automobilbauers Daimler.

- Dienstag, 22. Januar: Christoph Hess erklärt, er könne die gegen ihn erhobenen Vorwürfe nicht nachvollziehen.

-  Mittwoch, 23. Januar: Die Staatsanwaltschaft Mannheim, spezialisiert auf Wirtschaftsstrafsachen, nimmt Ermittlungen auf.

- Donnerstag, 24. Januar: Seniorchef Jürgen G. Hess bietet an, wieder in die Geschäftsleitung zurückzukehren.

-  Freitag, 25. Januar: Der neue Vorstand Till Becker stellt sich den Mitarbeitern vor.

-  Mittwoch, 30. Januar: Beamte der Landespolizeidirektion Freiburg durchsuchen im Auftrag der Staatsanwaltschaft Mannheim die Firmenräume und nehmen Akten und Dokumente mit. Auch im Privathaus von Christoph Hess in Villingen beschlagnahmen die Beamten Unterlagen.

-  Montag, 4. Februar: Die Staatsanwaltschaft teilt mit, sie habe ihre Ermittlungen wegen des Verdachts auf Beihilfe gegen zwei Mitarbeiter der Firma ausgeweitet.

-  Dienstag, 5. Februar: Die Hess AG teilt mit, Tochtergesellschaften hätten aufgrund des Einfrierens der Kreditlinien akuten Liquiditätsbedarf. Christoph Hess und Peter Ziegler attackieren in einer Stellungnahme die neue Führung des Unternehmens heftig.

-  Mittwoch, 13. Februar: Der Vorstand entscheidet, Insolvenzantrag zu stellen.

Seite 2: Stellungnahme der Hess AG

Der Vorstand der Hess AG, Dr. Till Becker, hat beim zuständigen Amtsgericht in Villingen pflichtgemäß Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens für die Hess AG gestellt. Ebenfalls musste der Insolvenzantrag für die Tochtergesellschaft, die Hess Lichttechnik GmbH, gestellt werden.

„Trotz Ausschöpfung aller Alternativen waren wir gezwungen, sowohl für die Hess AG als auch die Hess Lichttechnik GmbH wegen Zahlungsunfähigkeit Insolvenzantrag zu stellen“, erklärt Becker. „Ziel ist es jetzt, Hess mit den Instrumenten der Insolvenzordnung zu sanieren und dauerhaft konkurrenzfähig aufzustellen.“

Die Finanzlage der Hess-Gruppe

In den vergangenen drei Wochen haben Vorstand und unabhängige Experten die aktuelle wirtschaftliche Lage des Leuchtenherstellers mit rund 380 Beschäftigten auf den Prüfstand gestellt und die Analyse wiederholt im Aufsichtsrat sowie mit den finanzierenden Banken diskutiert.

Hess hat seit 2009 Jahr für Jahr mehr Geld ausgegeben als eingenommen. Dadurch benötigte Hess fortwährend neue Darlehen und Finanzierungsmöglichkeiten, die sie zunächst über Bankkredite, dann durch die Einbeziehung eines Private Equity-Investors und schließlich über Einnahmen von privaten und institutionellen Investoren im Rahmen des Börsengangs abdeckten. Die von den ehemaligen Vorstandsmitgliedern angekündigte Strategie gründete auf Wachstumsprognosen, die sich als unrealistisch herausgestellt haben. Nach aktuellen Erkenntnissen ist die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Hess AG erheblich zu korrigieren.

Für das Geschäftsjahr 2013 ist nach heutigem Erkenntnisstand ein Verlust im hohen einstelligen Millionenbereich, in bestimmten Szenarien sogar von bis zu 12 Mio. Euro zu erwarten. Um im laufenden Geschäftsjahr möglicherweise doch noch eine „schwarze Null“ vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (EBITDA) zu erreichen, müssten kurzfristig zusätzlich mehr als fünf Millionen Euro in eine Restrukturierung investiert werden.

Neue Investoren erwarten effiziente Prozesse und Kostenstrukturen. Daher wurden bereits in den vergangenen zwei Wochen diverse für das Unter-nehmen nachteilige Vereinbarungen aufgelöst, bei denen Familien- und Unternehmensinteressen verknüpft wurden.

Kein Beitrag des Hauptgesellschafters Der Hauptgesellschafter, die Hess Grundstücksverwaltungs GmbH & Co. KG, hat in den letzten Wochen weder bestehende Forderungen der Hess AG und der Hess Lichttechnik GmbH beglichen noch ist er bereit, einen überobligatorischen Sanierungsbeitrag zu leisten. Dies jedoch waren grundlegende Forderungen der kreditgebenden Banken. Somit halten die Gläubigerbanken weiterhin die Guthaben und Kreditlinien gesperrt.

Geschäftsführer der Hess Grundstücksverwaltungs GmbH & Co. KG sind die früheren Vorstandsmitglieder Christoph Hess und Peter Ziegler, die wegen des Verdachts auf Bilanzmanipulation am 21. Januar 2013 vom Aufsichtsrat einstimmig von Ihren Vorstandsposten bei der Hess AG abberufen worden waren.

Stand der Sonderuntersuchung auf manipulierte Zahlenwerke

Die aufgrund des Verdachts der Bilanzmanipulation eingeleitete Sonderuntersuchung schreitet voran. Die derzeit vorliegenden Verdachtsmomente konnten bislang nicht entkräftet werden, sie erhärten sich vielmehr. Momentan kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Hess AG mit Anlegerklagen konfrontiert wird. Mögliche neue Investoren meiden dieses derzeit nicht kalkulierbare Risiko.

„Interessenten erwarten verlässliche, belastbare, nachvollziehbare Kenn-zahlen“, erklärt Becker. „Redlicher Weise kann ich jedoch vor Abschluss der Sonderuntersuchung keinem Interessenten sagen, ob und in welchem Umfang die von den Altvorständen zu verantwortenden Buchhaltungsunter-lagen verlässlich sind.“

Zukunft von Hess sichern

Mit über einem halben Dutzend interessierter Investoren hat der Vorstand bereits gesprochen. Becker wertet das Investoreninteresse als Bestätigung, dass die Hess-Gruppe über eine qualifizierte und motivierte Belegschaft sowie über technologisch attraktive, qualitativ hochwertige Produkte verfüge. Darüber hinaus sei Hess eine weltweit bekannte Premiummarke.

„Investoren wägen die Finanzlage des Unternehmens, das Verhalten des Hauptgesellschafters und mögliche Haftungsansprüche sehr genau ab. Eine Investorenlösung außerhalb einer Insolvenz kam angesichts der dar-gelegten Risiken nicht zustande“, so Becker. „Wir bleiben in Verbindung mit namhaften strategischen aber auch Finanzinvestoren, die bereits ihr Interesse an einer Sanierung im Rahmen eines Insolvenzverfahrens bekundet haben.“

Gemeinsam mit der vorläufigen Insolvenzverwaltung werde er alles in seiner Macht stehende leisten, die Hess-Gruppe zu sanieren, fortzuführen und so viele Arbeitsplätze wie möglich zu erhalten.

Seite 3: Stellungnahme von Christoph Hess

Villingen-Schwenningen, 13.2.2013 - Der Insolvenzantrag hat mich nicht überrascht, weil meiner Meinung nach die jetzigen Verantwortlichen der Gesellschaft von vornherein auf die Insolvenz zugearbeitet haben. Wie sonst wäre es zu erklären, dass bereits für morgen die ersten Investorengespräche (auch mit Hedgefonds) anberaumt wurden und das Management schon weit vor dem heutigen Insolvenzantrag (nach eigener Mitteilung an die Mitarbeiter) zahlreiche Termine mit Investoren vereinbart hat.

Wir als Familie Hess haben dem Unternehmen mehrfach Hilfe angeboten. Selbst mein Vater war dazu bereit, die operative Verantwortung für das Unternehmen wieder zu übernehmen. Allerdings hat sich bei uns schon sehr bald der Eindruck verfestigt, dass unsere Unterstützung erst gar nicht gewollt wurde.

Bei Gesprächen mit Banken und Investoren hinsichtlich Weiterführungsoptionen wurden wir nicht eingebunden sondern teilweise sogar ausgeschlossen.

Wir haben Hilfe angeboten, damit die fälligen Gehälter der Mitarbeiter bezahlt werden können, sahen aber keinen Sinn darin, dass diese von uns zur Verfügung  gestellten Mittel für exorbitante Beraterhonorare oder Managergehälter ausgegeben werden. Das haben wir so auch der Unternehmensführung deutlich mitgeteilt. Wir wollten, dass unsere Unterstützung direkt an die Mitarbeiter geht.

Die Zahlungsforderungen der Gesellschaft gegenüber der Hess Grundstücksverwaltungs GmbH & Co.KG konnten bis heute noch nicht nachgewiesen bzw. verifiziert werden. Ganz im Gegenteil: Die Einsicht der betreffenden Unterlagen wird mir, Christoph Hess, nach wie vor verweigert.

Selbst gestern noch scheiterte die Abstimmung der Konten im Beisein von Peter Ziegler weil die Hess AG angeblich keinen Online-Zugang zu den Buchhaltungskonten herstellen konnte. Nicht einmal die Wirtschaftsprüfer wurden eingebunden.

Ich, als der ehemaligen CEO der Hess AG, wurde vom Aufsichtsrat unter dem AR-Vorsitzenden Tim van Delden bis heute nicht nicht einmal zu den Vorwürfen gehört oder befragt. Ich hätte mich auch gar nicht qualifiziert zu den Vorwürfen äußern können, weil ich die Belege, die mich entlasten können, weder im original noch in Kopie einsehen durfte. Offenbar ist man nicht an einer raschen und unabhängigen Aufklärung der Vorwürfe gegen mich interessiert.

Eine ausführliche Stellungnahme wird für den morgigen Tag vorbereitet.

Christoph Hess