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Hier schlagen Retro-Herzen im schnelleren Takt. Ein Stück Musikgeschichte feiert 50. Geburtstag.

Villingen-Schwenningen - Wenn man sich tief in die braunen Schalenstühle lehnt, die Augen schließt und das Ambiente auf sich wirken lässt, hört man den Bösendorfer Flügel noch klingen und spürt man das Flair eines MPS-Studios, das einst Jazzgrößen aus aller Welt anlockte. Ein Stück Musikgeschichte wird 50 Jahre alt – und bald vielleicht zu einem echten Museum in VS.

Ein Tonband läuft im Rund, das Mischpult mit seinen unzähligen Reglern steht bereit und durch das kleine Sichtfenster schweift der Blick in einen Aufnahmeraum, der in den 70ern stehen geblieben zu sein scheint. Scheint es zunächst eine exotische Idee zu sein, ein Tonstudio unter Denkmalschutz zu stellen, verwundert das inmitten dieser Räumlichkeiten plötzlich gar nicht mehr: Hier schlagen Retro-Herzen höher.

Dicht an dicht reihen sich im Aufnahmeraum die legendären braunen Schalenstühle von Eiermann auf dem Linoleum-Boden, auf dem auch der Bösendorfer Flügel fußt. Hier haben einst der Saba-Chef Hans Georg Brunner-Schwer und mit ihm Jazz-Könner wie Wolfgang Dauner in die Tasten gegriffen. Hier wurde Musikgeschichte geschrieben. Komplett machen das seit 2010 als Kulturdenkmal eingestufte Studio der Regieraum mit seinen unzähligen Gerätschaften und Reglern und der Aufenthaltsraum mit kleinem Foyer. "Es gibt die Idee eines MPS-Museums", erzählt Friedrich Schulz vom Förderverein MPS Studio. Und die Stadtverwaltung liebäugele sogar damit, auf dem Mangin-Areal eine Straße mit dem Namen populärer Musiker, etwa Oscar Petersen, zu belegen. Das Areal, wo sich Villingen-Schwenningens Stadtverwaltung bald sammeln soll, liegt nur einen Steinwurf entfernt und damit rückt das MPS-Studio plötzlich ins Zentrum von VS – und des Interesses.

Ganz offenbar ist das komplette Studio einer Hoch-Zeit des Jazz entsprungen. An der schmalen Bar im Foyer stehen Schnapsflaschen wie von damals. Eine 50er Jahre Couchgarnitur aus braunem Leder spiegelt sich im roten Glas der Retro-Lampen darüber. Und nur die Tatsache, dass in den Stand-Aschenbechern aus Edelstahl keine Kippen mehr liegen und daraus keine Rauchschwaden aufsteigen, macht deutlich, dass auch in der Richthofenstraße 1/1 in Villingen die Glanzzeit des Jazz vorbei ist.

Angefangen hat alles mit dem großen Hobby von Hans Georg Brunner-Schwer. Sein Leben gehörte der Musik, genauer: dem Jazz. Immer wieder lud er Musiker zu sich nach Hause ein und nahm auf. Ende der 50-er Jahre wurde die erste Variante des Tonstudios eingerichtet, erzählt Friedhelm Schulz vom Förderverein MPS Studio. Recht spartanisch sei es dort anfangs zugegangen. Später wurden Regie- und Aufnahmeraum mehrfach umgebaut. Das Studio war damals noch immer Teil der Firma Saba. Erst zum 1. April 1968, als die Amerikaner in der Firma die Musik bei Saba abschaffen wollten, wurde die Musik-Sparte abgetrennt und die MPS Records GmbH – der Name stand für die Musik Produktion Schwarzwald – gegründet. Die Geburtsstunde für MPS in Villingen als erstes Jazzlabel Deutschlands hatte geschlagen. Obgleich später auch andere Musikformen zum Zug kamen und sich der Bogen bis hin zur populären Unterhaltungsmusik spannen ließ, lag der Schwerpunkt klar auf dem Jazz.

Der Besuch im Studio ist eine Reise in die Vergangenheit. Im Regieraum läuft ein Tonband. Auf solche Tonträger folgten damals schon bald die ersten Scheiben aus Vinyl. "Die Saba-Platten waren auf dem Markt schnell begehrt", erinnert sich Schulz. Viele deutschsprachige Künstler ließen aufnehmen, Eugen Cicero (der Vater von Roger Cicero), Hans Koller und wie sie alle hießen. Peter Herbolzheimer hat hier seine erste Platte veröffentlicht. Eine ganze Jazzgeneration wurde durch das MPS-Studio bekannt. Die weite Jazzwelt blickte auf das kleine Schwarzwald-Studio. Was in der Szene Rang und Namen hatte, kam zwischen 1968 und 1984 dorthin. Brunner-Schwer, Musikproduzent Willy Fruht und die Tonmeisterlegende Rolf Donner waren die tragenden Säulen.

Musik aufzunehmen war zu dieser Zeit bei weitem nicht so einfach wie heute. Es bedurfte ausgereifter Technik und noch größeren Know-hows. Beides war hier vorhanden. Und mit dem Jazzredakteur Joachim Ernst Berendt kam schließlich auch noch viel zusätzliches Vitamin B ins Spiel. Er lud weitere Künstler ins MPS-Studio ein. Die Studiotätigkeit nahm zusehends professionellere Formen an.

Parallel dazu reiften die Kontakte in der Szene. Auch, weil Brunner-Schwer in seiner Villa immer wieder Hauskonzerte veranstaltet hat. Eine ungeheuer illustre und angesagte Angelegenheit. In lockerer Atmosphäre wurde musiziert, geredet, getrunken und geraucht. Selbst schwarze, bis dato im Schwarzwald eher selten gesehene, Musiker gingen hier ein und aus, wurden von Marlies Brunner-Schwer in der Familienvilla aufs beste bekocht, fuhren mit dem Rolls Royce im Schwarzwald spazieren, und fühlten sich sichtlich wohl. "Das Saba-Label war richtig in." Untermauert wurde das mit einer Qualität, die noch heute von sich reden macht. Tontechnisch wurde der prächtigste Klang mit vielen Experimenten eingefangen. "Es klang teilweise, als säßen die Hörer direkt vor der Bühne", schwärmt Schulz über einen Sound von Musikaufnahmen, der das Markenzeichen von MPS werden sollte.

Zeiten, die längst vorbei sind. Doch von seiner Faszination hat das Studio nichts eingebüßt. Mit seiner Lage nahe am Mangin-Areal dürfte ihm eine interessante Zukunft blühen – und das Archiv etwa für eine museale Nutzung, macht Schulz deutlich, ist randvoll, "wir entwickeln viele Ideen und Räume sind genug da". "Dieses Studio ist der interessanteste Kulturartikel, den VS hat", ist er überzeugt. Einen klangreichen Einblick, was das bedeutet, gibt der Verein im September. "Jetzt arbeiten wir alle mit viel Energie auf das Jubiläum hin", doch der Gedanke an eine Zukunft, in der dem legendären Tonstudio die Aufmerksamkeit geschenkt wird, die ihm gebührt, reift weiter. Denn der Londoner Star DJ Gilles Peterson ist mit seiner Euphorie nicht alleine: "Die ganze Geschichte! All diese unglaublichen Musiker, die in diesem Studio aufgenommen haben. Das ist heilige Erde für mich!"

Info: Jubiläum vom 7. bis 9. September

7. September: Ein Abend für geladene Gäste im MPS-Studio an der Richthofenstraße mit Livemusik

8. September:

Von 10 bis 18 Uhr MPS-Plattenbörse in der ehemaligen Saba-Kantine.

20 Uhr: Jubiläumskonzert "Jazzin’ the Black Forest" im Franziskaner Konzerthaus. Mit dabei: das Brüderpaar Rolf (Klarinette) und Joachim Kühn (Piano) – zwei Altmeister des Jazz, die im MPS-Studio einst ihre Aufnahmen gemacht haben. Als Highlight kommt der amerikanische Trompeter Rob Mazurek aus Chicago mit seiner Band "Immortal Birds Bright Wings" mit avantgardistisch-experimenteller Jazzmusik.

Ab 22.30 Uhr, nach dem Konzert, werden im Jazzkeller James Braddell aka Funki Porcini und weitere DJs MPS-Titel auflegen.

9. September: Am Tag des Denkmals öffnet das Kulturdenkmal von 11 bis 18 Uhr MPS-Studio seine Pforten. Es finden mehrere Führungen statt. Abends ist ein Studiokonzert am Flügel geplant.