Phantasievoll kritisch gegenüber dem Projekt Stuttgart 21‘ äußerte sich die Villingerin Elisabeth Pflüger vor zehn Jahren bei Demonstrationen. Ihr grüner Bollenhut steht derzeit im Haus der Geschichte. Foto: Trenkle Foto: Schwarzwälder Bote

Kultur: Landeseigenes Museum zeigt mit "Hut ab!" auch ein Villinger Exponat / Demo gegen Stuttgart 21

"Was der Mensch auf seinem Kopf trägt, setzt Zeichen", so das Haus der Geschichte Baden-Württemberg. In seiner aktuellen Ausstellung "Hut ab!" gibt das Museum "Einblicke in ein kompliziertes und widersprüchliches Zeichensystem." Auch die Kopfbedeckung einer Villingerin ist in der Ausstellung zu sehen.

VS-Villingen/Stuttgart. Wahrzunehmen – oder eben auch nicht: Die Corona-Krise brachte auch die Stuttgarter Ausstellung durcheinander. Eigentlich sollte sie vom 20. Dezember bis zum 2. August in der Konrad-Adenauer-Straße 16 täglich mit Ausnahme des Ruhetags Montag zu besuchen sein. Das Virus zwang auch diese Museumseinrichtung des Landes zur vorläufigen Schließung.

Weniger "auf dem Kopf" als vielmehr vor ihm trägt der Mensch fast weltweit aktuell Atemschutz-Masken. Die Behauptung des Ausstellungs-Kurators, dass auf/mit am Kopf getragenen Gegenständen Zeichen gesetzt werden, wird damit umso deutlicher. Wobei: Eine Atemschutzmaske fehlt in der Ausstellung; dass gerade ein solches Ding mal ganz extrem wichtig für das physikalisch nahe Zusammenleben der Gesellschaft werden würde, konnte bei der Ausstellungsplanung 2019 keiner ahnen.

Neben Macht, Kultur, Historie widmet sich die Ausstellung auch dem Widerstand. Zu sehen ist in diesem Zusammenhang beispielsweise ein "Pussyhat", eine rosa Mütze mit angedeuteten Katzenohren, welche nach der Amtseinführung von US-Präsident Donald Trump im Kontext mit dessen despektierlichen Äußerungen, zum Symbol gegen Frauenfeindlichkeit und Rassismus wurde.

Hinter Glas ebenfalls zu sehen – wäre das Museum denn geöffnet –, ist das Kopftuch von Lehrerin Fereshta Ludin, welche nach ihrem Referendariat in Plüderhausen bis vor das Bundesverfassungsgericht zog, da das Land mit Ermahnung zur Neutralität ihr die Übernahme in den Schuldienst verweigerte. Sie selbst sieht die Kopfbedeckung jedoch als Teil ihrer Identität.

Kugeln von LGS in VS

Protest drückt sich auch im vom Museum aufgenommenen Villinger Beitrag aus: Elisabeth Pflüger, seit 1968 Bürgerin der Stadt, bastelte sich 2010 einen markanten Schwarzwälder Bollenhut aus grünen Plastikkugeln um das Motto der Widerstandsbewegung gegen das Bahnprojekt Stuttgart 21 zu unterstützen: "Oben bleiben." Die Kugeln entstammten einer Kugelbahn aus der damalig in der Doppelstadt kurz davor beendeten Landesgartenschau.

Kaum hatte die Villingerin ihren markanten Protest-Hut bei einer "Oben-Bleiben-Demonstration" aufgesetzt, wurde sie in der Landeshauptstadt fast im Sekundentakt angesprochen und kräftig gelobt für ihre phantasievolle Unterstützung des Protests gegen das Großprojekt. Der Schwarzwälder Bote berichtete – wie auch ein Fernsehteam der Sender RTL, ntv und VOX.

Unweit von Pflügers grünem Bollenhut steht das wertvollste Exponat der Ausstellung: ein lederner Dreispitz-Reisehut des Dichterfürsten Friedrich Schiller.

Wie sehr Kopfbedeckungen auch Machtsymbole darstellen können, als Ausdruck dessen, wie Menschen gesehen werden wollen oder sollen, zeigt neben vielen Polizeihelmen und -mützen das Orginal eines blutroten Jakobinerhutes aus dem Pariser Revolutionsjahr 1795. Die Jakobiner mit ihren markanten Kopfbedeckungen hatten nach Absetzung des Königs unter Robespierre eine jahrelange Schreckensherrschaft mit willkürlichen Hinrichtungen errichtet.

Elisabeth Pflüger sagt zu

Echte Demokratie schätzt hingegen auch Kritiker ihrer Entscheidungen – so beispielsweise jene Baden-Württembergs: Da demonstriert eine Villingerin gegen die Landesentscheidung in Sachen Hauptbahnhof. Jahre später ruft jedoch der Kurator eines Landesmuseums bei der Demonstrantin zu Hause an und frägt nach, ob der hierbei getragene kulturhistorisch interessante Gegenstand in eine Ausstellung aufgenommen werden dürfe. Pflüger sagte Ja. Ein paar Tage später kam Kurator Sebastian Dörfler persönlich vorbei und nahm das Objekt mit weißen Handschuhen im Empfang – vermutlich nicht weniger vorsichtig, als den Dreispitz Friedrich Schillers.

Bericht über Hecker-Hut

Vom Baden-Württembergischen Haus der Geschichte auf dessen Homepage gewürdigt wird auch die Berichterstattung des Schwarzwälder Boten hinsichtlich des ebenfalls in der Ausstellung vertretenen "Wolfacher Heckerhuts" – einem Symbol für die Badische Revolution, bei der 1848 viele hundert Bewaffnete unter Führung von Friedrich Hecker nach Karlsruhe zogen, um die Monarchie zu stürzen. Ein halbes Jahr später wurde der Protest von preußischen Truppen blutig niedergeschlagen.

Der Hut ist einer der letzten Heckerhüte, gleichzeitig jedoch eines der ältesten noch erhaltenen Festspielrequisiten Wolfachs. Zwar scheiterte der Aufstand, aber die markante Kopfbedeckung Heckers ist bis heute ein Symbol für die republikanische Gesinnung. Indem die Wolfacher Narren 1849 einen Heckerhut in ihrem Fastnachtsspiel auftreten ließen, machten sie ihre Unterstützung für die Ziele der Revolution deutlich.

Leider geriet die erste Fastnachtsveranstaltung mit Heckerhut völlig außer Kontrolle: Nach einem großen Musikerball im Rathaussaal Wolfachs war mitten in der Nacht in der Vorstadt ein Brand ausgebrochen. Noch in ihren Kostümen, hasteten die Bürger zur Brandstätte, löschten, so gut sie konnten ohne Feuerwehr und verhinderten dennoch nicht, dass 24 Gebäude, die gesamte obere Vorstadt Wolfachs, in Schutt und Asche gelegt wurde.

Trotz aktuellem Besuchsverbots aufgrund der Corona-Pandemie ist die Ausstellung "Hut ab! Pickelhaube, Pussyhat und andere Kopfgeschichten" im Stuttgarter Haus der Geschichte wenigstens virtuell zu besuchen: https://www.hdgbw.de/ausstellungen/hut-ab/ausstellung/