Ein Leitbild soll für Villingen-Schwenningen der Wegweiser in die Zukunft sein. Foto: Archiv

Jetzt geht Arbeit los: Gemeinderat gibt grünes Licht. Für Sparpapier hagelt es herbe Kritik. Mit Kommentar

Villingen-Schwenningen - Das Leitbild für VS ist nun beschlossene Sache. Am Mittwoch gab der Gemeinderat grünes Licht für das Papier, mit dem sich die Doppelstadt identifizieren soll. Doch die Stellungnahmen vieler Räte zeigten vor allem Eines: Von der Notwendigkeit eines solchen Papiers sind nur wenige überzeugt.

In einer Sondersitzung widmeten sich die Gemeinderäte am Mittwoch im Villinger Münsterzentrum zwei Papieren, für die das Oberzentrum richtig Geld in die Hand nahm: 150.000 Euro kostete das Leitbild, eine Art Zukunftsplan für Villingen-Schwenningen, an dem man sein Handeln und seine Politik künftig ausrichten will, und 130.000 Euro war ihm das zweite Papier wert, ein Plan mit Einsparvorschlägen, erarbeitet von der KGSt (Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement). Während man Letzteres nur zur Kenntnis nahm, wurde das Leitbild beschlossen. Nun soll es veröffentlicht werden und als Grundlage für das weitere Handeln der Stadt in Zukunft dienen.

Markus Ewald und Julian Petrien des Hamburger Büros Urbanista, welches das Leitbild in einem am Ende eineinhalbjährigen Prozess mit Bürgerbeteiligung, Diskussionen, Fragebogen-Auswertungen, Beteiligungswerkstätten und einem Zukunftscamp erarbeitet hat, stellten es in groben Zügen vor. Vier Leitziele sind die Hauptsache: "Villingen-Schwenningen ist eine Stadt für alle", "Villingen-Schwenningen ist eine ökonomisch prosperierende Stadt", "Villingen-Schwenningen ist eine Stadt, die ihre natürlichen Ressourcen achtet" und "Villingen-Schwenningen ist eine Stadt, die an einem Strang zieht".

Aber: Sind das nicht Ziele, die zu haben jede Stadt bejahen würde? "Es ist so allgemein gehalten, dass es keinen Grund gibt, dem nicht zuzustimmen", goss die CDU-Fraktionssprecherin Renate Breuning als Erste Wasser in den Wein, mit dem man eigentlich auf die Vollendung des lange Unvollendeten hätte anstoßen können. Schließlich war es nach 135 Einzelanmerkungen, zähem Ringen um unzählige Formulierungen und vielen Besprechungen vollbracht: Auf 116 Seiten lag das Leitbild für VS nun vor. Vor allzu großen Erwartungen warnte Renate Breuning und stellte klar: Der spannendste Teil steht dem Oberzentrum noch bevor – das Leitbild nämlich soll in die Erstellung eines Integrierten Stadtentwicklungskonzepts (Isek) münden, welches unter anderem von Förderstellen des Landes gefordert wird, um bei der Verteilung von Zuschüssen als Kommune zum Zug kommen zu können. Und so ein Isek, so Breuning, "darf eine Kommune nicht fesseln", Chancen wie etwa die Rössle-Nachfolge oder auch plötzlich auftretende Aufgaben, die ohne Zeitverzug angepackt werden müssen, müssten möglich bleiben.

Rudolf Nenno von den Freien Wählern glaubt, eine Oberstufenarbeit eines Gymnasiums hätte dasselbe Ergebnis gebracht – zudem beiße sich das Leitbild in Teilen mit den Zielen, die für VS bei der Fusion der beiden Stadtteile erarbeitet worden seien. Für Martin Rothweiler (AfD) war es gar ein teures Brainstorming, für dessen Finanzierung er den Steuerzahlern dankte. Und Jürgen Schützinger (DLVH) sah sich außer Stande, das Leitbild zu beschließen, wo er noch gar nicht wisse, was die daraus resultierenden Projekte einmal kosten werden.

Die SPD jedoch stimmte mildere Töne an: "Da steckt sehr viel Arbeit drin", lobte Pfarrer Frank Banse und ist sich sicher: "Wer keine Utopien hat, ist kein Realist." Auch die Grünen sind laut Fraktionssprecher Joachim von Mirbach zufrieden: Die Darstellung des Nachhaltigkeitsfaktors in dem Papier sei gelungen.

Dass das Leitbild oberflächlich ist, hat für Frank Bonath (FDP) einen tieferen Sinn: "So ein Leitbild darf nicht konkret werden", es markiere lediglich den Startpunkt für wichtige Entwicklungen zur eminenten Frage: "Werden wir ausbluten zum ländlichen Raum oder haben wir die Chance, ein urbanes Zentrum zu werden?" "Ob das Leitbild in der Schublade verschwindet und nichts passiert, oder ob es lebt, hängt an uns."

So oder so, bei sieben Gegenstimmen von den Freien Wählern und Schützinger sowie zwei Enthaltungen von Martin Rothweiler (AfD) und Bernd Hezel (CDU) sagten die Gemeinderäte mehrheitlich Ja zu dieser Zukunftsvision von VS.

Ganz anders war die Stimmungslage, als es um das Sparpapier der KGSt ging: Für das 170 Seiten starke Gutachten hagelte es herbe Kritik. "Wozu haben wir die KGSt überhaupt geholt?", fragte sich gar Frank Bonath (FDP), er verstehe nicht, warum die Gemeinderäte so eifrig an Formulierungen gefeilt und vieles verändert haben, "wenn wir es jetzt eh nicht beschließen". Es sei schade, dass man den ursprünglichen Weg hin zu zielführenden Beschlüssen verlassen habe. Doch getreu dem Motto, die Hoffnung stirbt zuletzt, war er trotzdem zuversichtlich, dass im nächsten Schritt – einer Beschlussfassung eines städtischen Konsolidierungspakets vor der Sommerpause, doch noch "etwas Großes" auf den Weg gebracht werde.

"Diese Kenntnisnahme ist ausdrücklich keine zustimmende Kenntnisnahme", verwehrte sich auch Renate Breuning (CDU) gegen die Annahme, ihre Fraktion stehe hinter dem Papier. Sie hätte es gar abgelehnt, wenn es am Mittwoch statt um die bloße Kenntnisnahme um eine Beschlussfassung gegangen wäre – der Auftrag der KGSt sei erst dann erfüllt, wenn der Wunsch nach konkreten Einsparungen für den Verwaltungshaushalt erfüllt sei. "Genau darauf warten wir jetzt."

Für Rudolf Nenno (Freie Wähler) hatte das Gutachten "schon noch einige Lücken", die einer zustimmenden Kenntnisnahme entgegen stehen. Frank Banse (SPD) hoffte, dass die erwarteten Einsparvorschläge nicht schwerpunktmäßig den Kulturbereich betreffen werden, dann nämlich, könne die SPD dem nicht zustimmen. Und Joachim von Mirbach (Grüne) hätte sich in Teilen fundiertere Aussagen gewünscht, etwa zum ÖPNV, denn dass man diesen zu Lasten des Individualverkehrs stärken müsse, sei eine Binsenweisheit. Jedoch: "Wenn man mit 40 Stadträten einen Konsens sucht, kommt genau das raus: ein Papier, das man zur Kenntnis nehmen kann (...), das ist ein bisschen wenig."

"Ob ich’s will oder nicht, ich nehme es zur Kenntnis", gab sich Martin Rothweiler von der AfD geschlagen und auch Jürgen Schützinger (DLVH), der sich über 130.000 "verpulverte" Euro und völlig austauschbare Allgemeinplätze, ärgerte, war klar: "Ich kann ja nur etwas ablehnen, was ich vorher zur Kenntnis genommen habe."

Ein versöhnlicher Vorschlag kam am Ende von OB Rupert Kubon: Man könne die Anregungen der Gemeinderäte ja als Protokoll mit aufnehmen – er finde in dem Gutachten "durchaus manch neue Erkenntnis" und natürlich finde sich in so einem Papier auch immer wieder etwas, das auch Zielsetzung einer politischen Gruppierung sei.

Kommentar: Maßstab

Von Cornelia Spitz

Eine Stadt für alle, ökonomisch prosperierend, die natürlichen Ressourcen achtend und an einem Strang ziehend – es stimmt schon, nahezu 100 Prozent aller Städte würden diese Ziele wohl ebenso unterschreiben – wenngleich das Ziehen an einem Strang auf Villingen und Schwenningen in mehrfacher Hinsicht wie die Faust aufs Auge passt. Ein eineinhalbjähriger Prozess ging nun mit der Veröffentlichung des Leitbildes für die Doppelstadt zu Ende. Mit Spannung wurde es erwartet, dabei geht es doch jetzt erst richtig los! Nur wenn das Leitbild in konkrete Projekte mündet, ist am Ende doch mehr gewesen als nur Spesen – bislang hat das Leitbild weder Schelte noch überschwängliches Lob verdient. Doch die Gemeinderäte und die Stadtverwaltung, die es sich nun mit ihrer Stimmung zu eigen gemacht haben, müssen sich daran nun künftig messen lassen.