Eine Bewohnerin des Seniorenzentrums im Villinger Welvert war völlig dehydriert in ihrem Rollstuhl kollabiert. Der Notarzt musste kommen. Foto: Reinhardt

Branche schreit nach Veränderung. Nach Vorfall im Villinger Welvert schrillen Alarmglocken.

Villingen-Schwenningen - Sie sind am Anschlag, gehen oft ans Limit oder gar darüber hinaus. Der Pflegenotstand hat die Pflegekräfte fest im Griff. Passiert ein Notfall, wie jüngst im Welvert, schrillen daher die Alarmglocken besonders schnell und schrill.

Der Notarzt musste kommen. Eine Bewohnerin des Seniorenzentrums im Villinger Welvert war völlig dehydriert in ihrem Rollstuhl kollabiert. Nachlässigkeit? Überforderung der Pflegekräfte? Laut den Verantwortlichen weder noch. Doch schnell werden im Umfeld der Einrichtung Spekulationen angestellt. Und selbst geht man dort erstaunlich offen damit um. Es wird nicht unter den Teppich gekehrt und auch nicht geleugnet. Stattdessen stellt sich Harald Dubyk, der so genannte "Funktionsbereichsleiter Kommunikation" bei den Zieglerschen, zu welchen die Seniorenresidenz gehört, ganz offen den Fragen unserer Zeitung. Ja, bestätigt er die Informationen unserer Zeitung, einen solchen Vorfall habe es gegeben. Intern sei schnell reagiert worden, und die Einrichtung habe aus eigenem Antrieb sofort Kontakt zur Heimaufsicht aufgenommen und den Fall dargelegt.

Trotzdem bleiben offenbar Fragen: Laut Dokumentation im Computerprogramm habe die Seniorin ausreichend Flüssigkeit zu sich genommen. Auch die Heimleitung habe das versichert, erzählt Dubyk im Nachgang. Warum sie dennoch mit Flüssigkeitsmangel in ihrem Rollstuhl zusammengebrochen ist, liege nach wie vor im Dunkeln. Ein Vorfall, der also Raum für Spekulationen lässt und den Blick auf ein Thema lenkt, das die ganze Branche flächendeckend strapaziert: den Pflegenotstand.

Blickt man in die Einrichtung im Villinger Welvert mag man meinen, dort sei der Pflegenotstand noch gar nicht ausgebrochen. "Wir haben derzeit alle Stellen besetzt", sagt Dubyk und freut sich in diesem Zusammenhang auch über die Note 1,0, welche die Einrichtung bei der jüngsten unangemeldeten Kontrolle am 14. November durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) Baden-Württemberg erhalten habe. Doch im weiteren Verlauf des Gesprächs lässt Dubyk tief blicken. Der Pflegenotstand, sagt er nämlich, "betrifft alle". Deshalb seien auch bei den Zieglerschen eigentlich ständig Stellen ausgeschrieben – Vollbesetzung hin oder her.

Das diakonische Unternehmen mit Hauptsitz im oberschwäbischen Wilhelmsdorf, das unter anderem Kliniken, Seniorenzentren und Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen betreibt, führt 23 solcher Einrichtungen in Baden-Württemberg. Das Haus im Villinger Welvert mit seinen 90 Plätzen ist eines der größeren in diesem Verbund, und kümmert sich um Bewohner der Pflegegrade eins bis fünf. Auf einen Pflegefall kommen 1,72 Personalstellen, "das ist ein recht hoher Schlüssel", sagt Dubyk mit Blick auf den Personalschlüssel in Baden-Württemberg und ist froh, dass diese Quote auch erfüllt werden kann.

Trotzdem: Ausreichend ist manchmal lange nicht genug. Wie alle in der Branche müssen auch die Zieglerschen auf Personal von Leiharbeitsfirmen zurückgreifen. "Das ist branchenüblich", erzählt Dubyk. Anders könnten vorhandene Lücken kaum geschlossen werden. Personal auf Leihbasis, "das ist ein richtiger Markt, der sich da entwickelt hat", schildert der Sprecher die Situation und weiß: "darauf müssen mittlerweile alle Träger in Deutschland zurückgreifen". Für einen bestimmten Zeitraum, mal ein paar Wochen, mal ein paar Monate, wird das Personal eingekauft und in der Einrichtung eingesetzt. Dann kommen häufig wieder neue Leihkräfte und bleiben ebenfalls für eine begrenzte Zeit dort.

Eine Entwicklung, die nicht unproblematisch ist: "Das kann natürlich auch zu Lasten der Beziehung zu den Bewohnern gehen", räumt Dubyk ein.

Und auch eine Pflegekraft schildert im Gespräch mit dem Schwarzwälder Boten das Dilemma. Der zwischenmenschliche Kontakt zu den Senioren bleibe auf der Strecke, eine Vertrauensbasis könne gar nicht erst entstehen. "Kaum haben sich die Bewohner an einen Pfleger gewöhnt, ist er auch schon wieder weg" – das Stammpersonal aber bleibt, auch in unbequemen Zeiten und zu Diensten an Wochenenden, Brücken- und Feiertagen, um die das Leihpersonal gerne einen Bogen mache.