Am Stöckerbergle in Villingen befand sich der Kolonialwaren-Großhandel Martin Oberle.Foto: Bräun Foto: Schwarzwälder Bote

Wirtschaftswandel: Von früheren Firmen, ihren Inhabern und Belegschaften / Teil 9: Oberle

Einen Blick in die Aufbaujahre, die Boomjahre auch in Villingen, wirft der Schwarzwälder Bote in loser Folge in einer Firmenserie.

VS-Villingen. Einst zählten sie über Jahrzehnte zu den führenden Firmen in Stadt und Land, boten sichere Arbeitsplätze, und dennoch gab es wirtschaftliche Veränderungen, die zum Wechsel der Inhaber, zur freiwilligen Liquidation oder in den bedingten Konkurs führten.

Mit einer kollektiven Darstellung ihrer Unternehmen stellten Firmenchefs 1964/65 dereinst ihren Betrieb, Leistungen und Personal ins Licht der Öffentlichkeit: selbst finanziert, kurz und präzise. Der Sammelband aus 1964/65, eingeleitet vom Vorwort des Villinger Oberbürgermeisters Severin Kern, stellt eine "Kultur- und Wirtschaftschronik" der Boomjahre dar, als "Urkunde und Kunstwerk", das sich als "Goldenes Buch" des Kunstverlags Bühn in München "aus der Masse der stadtamtlichen Bücher heraushebe".

Ein Überblick zur 1000-jährigen Stadtgeschichte stammt vom Villinger Historiker und Studienprofessor Paul Revellio (1886 bis 1966). Die Porträts einzelner Inhaber mit acht Villinger Motiven und Skizzen zu ehemaligen Betriebs-Gebäuden schuf Gyorgy Jancovics, München.

In der neunten Folge geht es um den Kolonialwaren-Großhandel Martin Oberle. Die Adresse Stöckerbergle war für auswärtige Firmenvertreter in den 60er-Jahren nicht unbedingt gleich zu finden. Liegt doch das Bergle, benannt nach dem dort einst wohnhaften Medizinalrat Stöcker, als Sackgasse deutlich abseits vom örtlichen Verkehr, wenn auch direkt unterhalb der Schwenninger Straße. Als jedoch Martin Oberle als Seifensieder und Seiler seine beiden Werkstätten eröffnete, war Villingen noch weit entfernt von wirtschaftlicher Kraft und Stärke. Sohn Wilhelm übernahm 1873 das väterliche Erbe und gründete 1881 mit Bruder Martin eine offene Handelsgesellschaft für den angestrebten Handel mit Kolonialwaren. Doch erst vier Jahrzehnte später sollte der Neubau eines Lagerhauses ausschließlich dem Großhan del von Kolonialwaren dienen.

Als Kolonialwaren wurden zur Kolonialzeit überseeische Lebens- und Genussmittel wie Zucker, Kaffee, Tabak, Reis, Kakao, Gewürze und Tee be zeichnet. Kolonialwarenhändler importierten diese Produkte, die in Kolonialwarenläden und -handlungen verkauft wurden. Bis in die 1970er-Jahre war ein Kolonialwarenladen noch gängig; man zählte alle Grundnahrungsmittel dazu, egal woher, daneben Seife, Waschmittel, Petroleum und Haushaltsbedarf – also ein Tante-Emma-Laden. Der Namen ist bis heute in der Bezeichnung Edeka zu finden: Einkaufsgenossenschaft der Kolonialwarenhändler im Halleschen Torbezirk zu Berlin, also E. d. K..

Nach verschiedenen Änderungen der Rechtsform wurde Alois Oberle 1948 in dritter Generation alleiniger Inhaber und auch Mitglied beim Verbund "Treue im Partner" (T.I.P). Nach dessen Tod 1954 übertrug seine Witwe die Geschäfte 1957 auf den Schwiegersohn Wolfgang Werner (1932 bis 2017). Dem Diplomkaufmann gelang es zunächst erfolgreich, mehrere Einzelhandelsgeschäfte als Allkauf zu etablieren. Innerbetrieblich war zeitgleich Adam Bügler Prokurist und Chef. Seine Frau Johanna, Jahrgang 1917/18, geborene Kattler, wurde hunderten junger Kaufleute als Lehrerin für Büro, Stenografie und Maschineschreiben bekannt. Zu Adam Büglers Können gehörte auch, die Eigenmarke Emos-Kaffee zu rösten und importierte spanische Fassweine als Oberles "Stierblut" auf Literflaschen zu ziehen.

Die Konkurrenz unter den aufstrebenden Discountern führte den einstigen Kolonialwarengroßhändler Mitte der 70er-Jahre in den Konkurs.