Karin Sauer, Professorin für soziale Arbeit an der Dualen Hochschule in Schwenningen. Foto: Wagener Foto: Schwarzwälder-Bote

Hochschule: Die Wissenschaftlerin Karin Sauer über Rassismus in der Flüchtlingsarbeit

VS-Schwenningen. Karin Sauer empfängt in ihrem Büro in der Außenstelle der Dualen Hochschule in der Schramberger Straße. Von dort aus leitet die Erziehungswissenschaftlerin den Studiengang "soziale Arbeit – Menschen mit Behinderung". Überdies forscht die 1973 in Reutlingen geborene Sauer derzeit zu einem Thema, das aktueller kaum sein könnte: die Flüchtlingshilfe. Dabei betrachtet sie unter anderem, inwieweit Rassismus in der sozialen Arbeit mit Flüchtlingen eine Rolle spielt. Ein Gespräch über Vorurteile, Engagement und die Integrationsarbeit in der Region.

Frau Sauer, Sie befassen sich wissenschaftlich mit dem Thema Rassismus in der Flüchtlingsarbeit. Können Sie kurz skizzieren, worum es bei Ihren Forschungen geht?

Es geht dabei unter anderem um die Frage, wie Akteure in der Flüchtlingshilfe sensibilisiert werden können für das, was wir in der Wissenschaft diversitätsbewusste Arbeit nennen. Wir schauen uns an, wie Menschen in der Flüchtlingshilfe mit Vielfalt umgehen, inwieweit sie, vielleicht auch unterbewusst, Stereotype reproduzieren und wie man diesen entgegenwirken kann.

Gibt es denn so etwas wie Rassismus in der Flüchtlingsarbeit?

Das hängt natürlich davon ab, wie man Rassismus definiert. Oft wird Rassismus ja als ein sehr harter Begriff verstanden, als ein schlimmes Label. Dem dominanten Verständnis nach ist Rassismus eine individualisierte Randerscheinung, die nur mit Rechtsradikalen in Verbindung gebracht wird. Wer rassistisch ist, ist demnach rechtsradikal. In der Wissenschaft haben wir da jedoch meist ein weiter gefasstes Verständnis. Wir gehen davon aus, dass wir uns alle in einem System bewegen, das von sozialer Ungleichheit geprägt ist und sozialen Gruppen pauschal bestimmte Eigenschaften zuschreibt, die selten hinterfragt werden. Jeder Mensch trägt rassistische Stereotype und Vorurteile mit sich rum, auch Sie und ich. Wir können uns kaum freimachen von Rassismen, die uns im Alltag ständig über den Weg laufen. Das gilt natürlich auch für die Flüchtlingsarbeit.

Können Sie das konkretisieren? Oder anders gefragt: Wie äußert sich das in der Flüchtlingsarbeit?

Beim Thema Migration und Flucht geht es oft darum, dass die Menschen rasch in Gruppen eingeteilt werden. Da gibt es dann "die" Nordafrikaner, die sich auf eine bestimmte Art verhalten, oder "die" Syrer, die die Dinge allesamt so angehen. Es kommt auch vor, dass Akteure in der Flüchtlingsarbeit aufgrund von einzelnen persönlichen Erfahrungen pauschale Rückschlüsse auf Gruppen ziehen. So kann es sein, dass man in einem Integrationskurs Schwierigkeiten beispielsweise mit Menschen aus Nordafrika hatte, die nicht so mitgemacht haben, wie man es erwartet hatte. Daraus wird dann manchmal abgeleitet, dass man mit Menschen aus dieser Region per se schlecht arbeiten kann, weil sie alle unkooperativ sind. Es wird also stark verallgemeinert. Und es wird nicht immer geschaut, woran es denn konkret lag, dass die Dinge nicht ideal gelaufen sind.

Wie lassen sich Vorurteile und stereotype Einstellungen abbauen?

Es ist wichtig, auf die individuelle Person zu schauen, auf das unmittelbare Gegenüber, und zu reflektieren, was die Person und man selbst an Erfahrungen und Prägungen mitbringt. Ich darf nicht von vorneweg etwas als anders oder fremd klassifizieren. Ich muss mutig sein, auch das Eigene zu hinterfragen. Und ich sollte versuchen, mich in die Lage des anderen hineinzuversetzen. Wäre es für mich normal, monatelang in einem Flüchtlingscamp zu leben, in einem Zelt, ohne Privatsphäre, mit wenigen Duschen? Wie würde ich damit umgehen? Leider hinterfragt die Mehrheitsgesellschaft nicht unbedingt, wie es ist, wenn man früher zum Beispiel in Syrien ein ganz normales Leben geführt hat und nun hier ist.

Zum Abschluss eine Frage mit einem etwas anderen Fokus: In einem großen Forschungsprojekt analysieren und evaluieren Sie Flüchtlingsprojekte im Schwarzwald-Baar-Kreis. Wie ist die Flüchtlingsarbeit aus Ihrer Sicht aufgestellt?

Es ist da unglaublich viel Dynamik drin. Wir befinden uns gerade in einer Phase der Neuorientierung, manche Projekte sind erst vor wenigen Wochen gestartet. Aber eines lässt sich jetzt schon sagen: Wenn das Engagement so groß bleibt wie bisher und der Kreis ausreichend finanzielle Mittel zur Verfügung stellt, kann das richtig gut funktionieren.

  Die Fragen stellte Fabian Wagener

VS-Schwenningen (fw). "Offene und verdeckte Rassismen in der sozialen Arbeit mit Flüchtlingen": Zu diesem Thema fand in der Dualen Hochschule in Schwenningen ein Infoabend statt (siehe auch Interview).

"Das Thema hat mehr Aktualität gewonnen, als wir erwartet hatten", sagte Barbara Schramkowski, Professorin für soziale Arbeit an der DHBW. Dabei verwies sie auf die sexuellen Übergriffe und Diebstähle in der Kölner Silvesternacht, bei denen die Tatverdächtigen vor allem aus Nordafrika stammen. Insbesondere Politik und Medien hätten in der Folge dazu beigetragen, Menschen aus dieser Region unter "Generalverdacht" zu stellen. "Es wurde suggeriert, dass sich alle Nordafrikaner identisch verhalten", sagte sie.

Hauptrednerin des Abends war Wiebke Scharatow von der Pädagogischen Hochschule in Freiburg. Sie verwies darauf, dass der Begriff Rassismus in der Wissenschaft oft anders verwendet werde als in weiten Teilen der Gesellschaft, wo dieser zumeist nur in Zusammenhang mit Rechtsradikalen auftauche. In der Wissenschaft habe man dagegen ein Verständnis, das die gesamte Gesellschaft betrifft. Man begreife Rassismus als ein System von "diskursiven, individuellen und strukturellen Praktiken", die der Unterscheidung in ein "Wir" und "Sie" dienten und Menschen aufgrund ihrer Herkunft quasi naturgegebene Eigenschaften zuschrieben. Rassismus äußere sich keinesfalls nur in offenen Beleidigungen oder Gewalt, sondern auch in subtilen und möglicherweise sogar unbeabsichtigten Handlungen.

Scharatow berichtete von ihren Forschungen mit Jugendlichen, die Diskriminierung erlebt haben. "Jugendliche sprechen selten über ihre Rassismuserfahrungen, weil sie Sorge haben, missverstanden zu werden", sagte sie. Überdies würden sie nicht immer ernst genommen, von der Gegenseite hieße es oft, "das war nicht so gemeint".

Die DHBW-Professorinnen Schramkowski und Karin Sauer schlugen am Ende den Bogen zur Sozialarbeit mit Flüchtlingen und Migranten. Wie alle Menschen seien auch Sozialarbeiter nicht vor Vorurteilen gefeit. Bei Problemen mit Deutschen, so Schramkowski, würden sie meist auf den Einzelfall blicken, bei Menschen mit Migrationshintergrund aber werde nicht selten die Kultur als Erklärung herangezogen. Man müsse aufpassen, keine "gruppenbezogenen Schubladen" zu bedienen. "Sozialarbeit ist eine extrem anspruchsvolle Profession. Selbstreflexion ist sehr wichtig."