Um sich als Diakon der Seelsorge zu widmen, hat der ehemalige Oberbürgermeister Rupert Kubon auf eine Kandidatur für die dritte Amtszeit verzichtet. Als Zehnjähriger hat er geschrieben, dass er Kulturminister werden will, wie ein altes Schulheft beweist. Sein Werdegang ist mindestens so ungewöhnlich wie sein früherer Berufswunsch. Foto: Nyffenegger Foto: Schwarzwälder Bote

Portrait: Rupert Kubon hat auf OB-Posten verzichtet, um Seelsorger zu sein / Besuch bei einem 62-jährigen Diakon-Azubi

Wer nur lange genug zuhört, wenn Rupert Kubon mit seiner sehr lauten und dafür deutlichen Stimme mehr predigt als spricht, wer dann das Aufbrausen spürt, wenn der ehemalige Oberbürgermeister von Villingen-Schwenningen von einer Sache redet, die ihn wirklich wurmt, der denkt irgendwann automatisch an Don Camillo und Peppone.

Villingen-Schwenningen. Jene zwei Kontrahenten aus dem italienischen Dörfchen Brescello: Da der Pfarrer, der schlagkräftig das Wort Gottes im Zweifel auch mit den Fäusten verkündet. Und dort der Bürgermeister, dessen Ehrgeiz regelmäßig mit dem Starrsinn des Priesters kollidiert. Bloß: Auf diesem Küchenstuhl in einem Villinger Einfamilienhaus sitzt nur eine einzige Person. Und es erklärt noch lange nicht seinen überraschenden Verzicht auf eine dritte OB-Amtszeit, um sich ganz in den Dienst des Lieben Gottes zu stellen. Was aber dann?

Natürlich hat Rupert Kubon im Laufe seiner 16 Jahre an der Spitze des Rathauses seine Vorstellungen von Kommunalpolitik nicht mit der geballten Faust vertreten. Und ganz sicher ist es nicht immer so lustig zugegangen, wie in den Schwarzweiß-Komödien nach den Geschichten von Giovanni Guareschi. "Aber zu lachen gab es immer viel", sagt Kubon jetzt und grinst das verschmitzte Lächeln des Lausbuben, der als Zehnjähriger seinen Lehrern in einem Aufsatz darlegte, warum er der Richtige für den Posten des Kultusministers sei, nämlich um "den Bildungsnotstand in der Katholischen Kirche zu beheben".

Kubon verlässt rasch den Raum, während vor den Fenstern leise der erste Villinger Schnee des Jahres rieselt, und holt das alte Schulheft. Er liest: "Als Kultusminister kann ich viele Länder sehen. Auch gebe ich zu, dass es mancherlei Schwierigkeiten in diesem Beruf gibt. Aber Schwierigkeiten gibt es in jedem Beruf – sei es Arzt oder Kriminalpolizist." Über so viel Altklugheit, die da aus dem blauen Schulheft spricht, muss der Rupert Kubon von heute dröhnend-herzhaft lachen. Kultusminister ist er am Ende zwar nicht geworden. Aber schon die Sätze des zehnjährigen Knirpses lassen erkennen, dass Rupert Kubons Lebensweg kein ganz gewöhnlicher werden würde.

Geboren 1957 in Friedrichshafen, wächst er in Freiburg auf. Der Vater ist Ingenieur, die Mutter wird Schneiderin, obwohl sie viel lieber Lehrerin geworden wäre. Kubon erinnert sich, dass die Fluchterfahrungen, die seine Eltern aus Schlesien kommend gemacht haben, nicht nur sie, sondern auch ihn als Sohn prägten. Ein Umstand, der spätestens 2015 voll zum Tragen kam, als Rupert Kubon offen für die Aufnahme von Flüchtlingen eintrat. "Meine Mutter ist auf große Ablehnung gestoßen, worunter sie sehr gelitten hat." Ihr Sohn erlebt nach dem Umzug nach Freiburg ebenfalls in Nuancen, wie es sich anfühlt, nicht vor dort zu sein, wo man gerade ist. "Ich sprach nicht die Sprache, den Dialekt, meiner Schulkameraden und habe das als Abgrenzung erlebt." Und so erfährt der junge Kubon ebenfalls eine – wenn auch milde – Form von Heimatlosigkeit, studiert später Geschichte und Germanistik auf Lehramt. "Aber zu der Zeit konnten Sie die Straße mit Lehrern pflastern." Die Aussichten auf einen Job sind also entsprechend dürftig, sodass Kubon beschließt, in Geschichte zu promovieren.

Deutlich früher findet die Geburt des politischen Rupert Kubon statt. "Mit ungefähr 15 bin ich zur CDU gegangen." Zunächst in die Schülerunion, später in die Junge Union. "Damals habe ich Wahlkampf gegen Willi Brandt gemacht." Als der Sprössling einer Familie, die ihre Wurzeln hinter dem Eisernen Vorhang hat, findet er, dass Brandt und seine Ostpolitik falsch sind. Als Brandt die Wahl trotzdem gewinnt, wälzt sich der pubertierende Kubon am Wahlabend in Tränen aufgelöst vor dem Fernseher – nicht ahnend, dass er eines Tages selbst ein SPD-Parteibuch besitzen wird.

Engagement in der Friedensbewegung

Zunächst aber engagiert sich der Heranwachsende in der katholischen Friedensbewegung Pax Christi. Und natürlich ist für ihn auch deshalb klar, den Kriegsdienst zu verweigern – Ende der 1970er-Jahre eine Entscheidung, die noch mit vielen Unannehmlichkeiten verbunden ist, von der die mündliche Gewissensprüfung nur eine ist. In der Jungen Union sorgen indes zwei Funktionäre, die auch heute noch politisch aktiv sind, für die Ächtung von Rupert Kubon. "Zu der Zeit hat man erwartet, dass ein junger Mann Deutschland natürlich mit der Waffe verteidigt", erinnert sich Kubon. Für ihn Grund genug, aus der CDU auszutreten – und seine Bemühungen in der Friedensbewegung zu intensivieren. "Aber immer nur etwas zu verhindern, nur gegen etwas zu demonstrieren, war mir dann zu wenig. Ich wollte selber politisch aktiv sein."

Der junge Mann kommt bald zu Erkenntnis, dass das ohne Partei im Hintergrund sehr schwierig ist. "Und so bin ich nach dem Ausschlussprinzip auf die SPD gekommen." Es zieht ihn als parlamentarischen Mitarbeiter nach Bonn, wo er Ende der 1980-Jahre die Wendezeit im Epizentrum der politischen Macht miterlebt. Im Windschatten dieser Aufbruchsstimmung entschließt Kubon – inzwischen verheiratet – sich um die Stelle des Kultur-Abteilungsleiters in Dessau zu bewerben. Und er bekommt den Posten im noch jungen Bundesland Sachsen-Anhalt. Und außerdem eine erste Tochter, die eine Rolle dabei spielt, weshalb Kubon nach sechs Jahren frustriert das Handtuch werfen wird. Kubon erzählt die Geschichte so: Als er eines Tages in Dessau bei einem Frühstück mit seinem Mitarbeitern zusammensitzt, erzählt er, dass sein Töchterlein mit eineinhalb Jahren noch in die Windeln macht. Das quittieren die Frauen am Tisch mit einem gewissen Unverständnis und sehen die Notwendigkeit, jetzt aber etwas für die Sauberkeitserziehung zu tun. Da sagt Kubon: "Ich weiß nicht, das prägt einen Menschen doch, wenn er schon so früh zu etwas gezwungen wird." Kurze Zeit später schreibt die Mitteldeutsche Zeitung in einer Wochenendkolumne wie "Kulturreferent Rupert Kubon (Wessi) endlich herausgefunden hat, woher die Zwanghaftigkeit der Ossis kommt – nämlich von der frühen Sauberkeitserziehung." Jemand aus der Frühstücksrunde hatte ihm das Wort nicht nur im Mund herumgedreht – sondern es auch an die Zeitung weitergegeben. "Solche Erlebnisse hatte ich öfter", erinnert sich Kubon, der rasch nach weiteren unschönen Eskapaden den Entschluss fasst, dem Osten als Wessi den Rücken zu kehren.

Anzeige lenkt Interesse in den Südwesten

Einer Kleinanzeige in der Süddeutschen Zeitung wegen lenkt Kubon sein Interesse wieder in den Südwesten. Trossingen sucht zu dieser Zeit einen Bürgermeisterkandidaten. Doch der Ort ist ihm eine Nummer zu klein – und so landet er schließlich als OB-Kandidat in Villingen-Schwenningen, wo er gegen den Favoriten antritt: den Kandidaten der CDU. Dass Kubon 2002 eine realistische Chance hat, das Rathaus zu erobern, glaubt er am Anfang selber nicht. Er entschließt sich, Klinkenputzen zu gehen – und klingelt an 7000 Türen. Dass es am Ende für das Amt des OB überraschenderweise doch reicht, hat aus Kubons Sicht vor allem einen Grund: "Mein Gegenkandidat wusste, dass ich in Dessau Probleme hatte. Und hat das versucht, bei einer großen Wahlveranstaltung zum Thema zu machen." Kubon habe alle Fragen pariert – im Publikum sei indes rasch Unmut aufgekommen, weil sich niemand für Dessau interessiert habe. Die Leute hätten irgendwann sogar gerufen, sie wollten nichts von Dessau hören – sondern etwas über Villingen-Schwenningen, während der Gegenkandidat nicht davon ablassen habe können, von Dessau zu sprechen.

Dass er sich zu einer seelsorgerischen Aufgabe hingezogen fühlt, das habe er schon in seiner Amtszeit als OB gespürt: "Mein Verständnis von Politik ist, die Menschen in einem Gemeinwesen zusammenzuführen. Und das ist ein Stück weit auch für mich immer schon eine pastorale Aufgabe gewesen." Insofern stehe sein Entschluss in einer gewissen Kontinuität. Einen gewissen Hang zum Theatralen leugnet Kubon nicht – er spielte und spielt regelmäßig auf einer Laienbühne. "Das habe ich auch, wenn ich ehrlich bin, auf der Pressekonferenz genossen." Anfang 2018 gehen die Pressevertreter mit der Überzeugung zu Kubon, dass dieser seine dritte Amtszeit als Ziel verkündet. Doch davon keine Spur. "Ich habe die Bombe platzen lassen."

Viele Villinger und Schwenniger fallen aus allen Wolken. Erst recht als sie hören, dass Kubon sich künftig der Seelsorge widmen will. Dass er so entscheiden würde, hat er aber schon deutlich früher gewusst. "Als meine Mutter im Sterben lag, hatte ich das Glück, bis zum Schluss bei ihr zu sein." Da habe er eines Tages ihr gegenüber den Wunsch geäußert, Diakon werden zu wollen. "Das habe ich gewusst", habe die Mama da nur gesagt. Das bestärkt Kubon – und er nimmt berufsbegleitend und im Grunde geheim ein verkürztes Fernstudium der Theologie auf, das für sein neues Berufsziel notwendig ist. Dennoch betont er, dass er seinen OB-Posten mit viel Freude bis zum letzten Tag ausgefüllt habe.

Renate Breuning – langjährige Stadträtin und ehemalige Vorsitzende der CDU-Fraktion – glaubt indes, dass "die Stimmung für Herrn Kubon in der Bevölkerung nicht mehr eindeutig war". Einer dritten Amtszeit habe er sich nicht sicher sein können. "Und er hat daraus für sich die richtigen Konsequenzen gezogen", glaubt Renate Breuning. Darüber hinaus betont sie, Kubon als OB in Sachfragen immer unterstützt zu haben, wenn sie die Sache für richtig gehalten habe. Etwa als es um die Gartenschau ging. Nur Kritik um der Kritik willen habe es bei ihr nicht gegeben. Allerdings kritisiert sie Kubon für seinen Führungsstil im Rathaus, der bestimmte Leute bevorzugt hätte. Und die Art, wie er Stadtratssitzungen geführt habe. "Sie war geprägt von Unsicherheit. Er hat sich sehr leicht provozieren lassen." Und auch, dass Kubon den Familienpark "mutwillig kaputt gemacht" habe, trage sie ihm nach.

Nach Abschied aus Politik noch genug zu tun

Zurück in Kubons Küche. Nachdenklich blickt er zurück und denkt an seine beiden Töchter, denen der Vater oft gefehlt habe. "Wir hatten mal die Regelung, dass es immer ein Eis gibt, wenn ich in der Stadt unterwegs mit den Töchtern öfter als dreimal angesprochen werde." Das hat Kubon schnell zurück genommen, weil es einfach zu viel Eis geworden wäre. "Inzwischen kann ich ein bisschen was zurückgeben", sagt Kubon, der nach seinem Abschied aus der Politik neben der Diakon-Ausbildung noch genug zu tun hat. Als Vorsitzender des Geschichts- und Heimatvereins. Als Hobbyschauspieler. Als Leiter einer Gruppe "Mit Krebs leben". Als Leiter von Integrationskursen für Flüchtlinge. Wenn alles gut geht, wird Rupert Kubon 2022 im November zum Diakon gewählt. "Mein pastorales Feld werden die Fernstehenden sein." Damit sind jene Menschen gemeint, die mit Kirche eigentlich nichts am Hut haben – aber in existenziellen Lebenssituationen wie Krankheit, Verlust oder Tod eine Sehnsucht hätten. "Und diese Leute überlassen wir irgendwelchen Leichenpredigern?" Das will Kubon nicht einsehen. Und er will sich um eben diese Menschen kümmern. Die Tatsache, dass er bekannt sei, nutze er dafür bewusst aus. Selbst Priester zu werden – daran habe er schon früh gedacht. "Aber letztendlich hat mich der Zölibat abgehalten."

In Zukunft also mehr Don Camillo statt Peppone. Aber leise und zurückhaltend – das darf man von einem Rupert Kubon nicht erwarten. Denn einen Peppone legt man nicht so einfach ab.