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Achtlos hingeworfene Hinterlassenschaften sind Gefahr für Mensch und Tier. Stadt sagt Unterstützung zu. Mit Kommentar

Villingen-Schwenningen - Der kleine Sperling ist reglos: Orangefarbene Fäden schnüren die Kehle zu, die Füße des Vogels verheddern sich in einem starren Netz, in dem zuvor Mandarinen eingetütet waren: Achtlos in eine Hecke gepfeffert, wird der Mini-Müll dem Tier zum Verhängnis. Eine immer größere Schar an Ehrenamtlichen hat genug von dem achtlos hingeworfenen "Dreck" und räumt auf.

Vier ehrenamtliche Müllsammler sitzen an einem kleinen Tisch in einem Villinger Café. Sie bilden den kleinen Ausschnitt einer immer größer werdenden Gruppe, denen die "wilde Müllentsorgerei" in der Stadt schon längst auf die Nerven geht. Viele lassen sich über das soziale Netzwerk "Stadtgeflüster VS" und damit von Ralf und Ellen Claaßen inspirieren, die sich in ihrem Wohnquartier dazu aufmachten, die Hinterlassenschaften ihrer Mitbürger wegzuräumen und in mitgebrachte Tüten zu stopfen. Dabei fängt alles mit einer kleinen Aufforderung der Claaßens im Frühling an: "Mal was in Sachen Naturschutz. Betrifft Villingen und Umgebung-alle Grünflächen. Leider reicht die Aktion Saubere Landschaft nicht aus. Wer macht mit, wer hat Ideen, wohin mit dem Müll?"

Mit Sack und Türe raus

Die Resonanz sei sehr groß gewesen, erinnern sich Ralf Claaßen und seine Frau Ellen. "Bin dabei... aber bitte Samstags. Man sollte Flyer in den Schulen aushängen. Die Schüler, die freitags demonstrieren, kommen sicherlich auch gerne. Backe auch gerne Zopf", schreibt eine Userin.. "Kleine Gassi Runde entlang des Steppachs", schreibt ein anderer und stellt das Ergebnis seiner "kleinen" Runde ins Netz: ein prall gefüllter großer Müllsack. Mittlerweile, berichtet Claaßen, gebe es sehr viele, die einfach losziehen, mit Tüten, Taschen oder Müllsäcken in der Hand und Schutzhandschuhen an den Fingern.

So zum Beispiel auch Familie Beiter-Lorenz. Der Ehemann von Nicole Beiter-Lorenz weiß ganz genau, was t auf ihn zu kommt, wenn seine Frau ihn frägt: "Gehen wir eine Runde spazieren?" Spazierengehen heißt für das Ehepaar, über Stunden hinweg den Abfall einzusammeln an Wegen und Grünflächen, den andere achtlos in die Gegend schmeißen. Ihre Nebensitzerin im Café, Ann-Kathrin Labor, könnte kein besseres Vorbild für ihre kleine Tochter sein. Ihre Mutter tütet nicht nur Windeln oder Pappbecher ein, weil ihr das Wegwerfverhalten mancher Leute gewaltig "stinkt", die Fünfjährige hat sich an einer weggeworfenen Scherbe die kleinen Füße blutig geschnitten. "Und auch mein Hund hat sich beim Planschen in einem Bach gehörig die Pfote aufgeschlitzt."

"Ärgern bringt nichts"

Petra Haller nimmt nicht ihren Mann zum Müllsammeln mit, sondern ihr Pferd Paj. "Das mache ich seit Jahren so", erzählt sie. Tetrapacks, Dosen, Chipstüten, Ölkanister...und schleppt das Sammelgut nach Hause. "Sich nur zu ärgern bringt ja nichts, ich habe immer eine große Tüte dabei", berichtet sie, die schon als Kind mit ihren Eltern zur "Waldputzete" ging. Immer wieder lädt sie zu einer Müllsammel-Aktion mit Kindern: "Damit möchte ich ihnen ein bisschen Bewusstsein für Tiere, Umwelt und Natur mitgeben."

Fataler Fund

Ellen Claaßen sieht in dem achtlos weggeworfenen Müll noch ein anderes Problem: Sie denkt nicht nur an den kleinen Vogel, der sich strangulierte. "Weil bei uns mittlerweile alles so leer geräumt ist", beobachtet nicht nur sie, "picken Vögel zum Nestbau auch Plastikmüll auf, Folien oder Zigarettenschachteln beispielsweise". Doch im Gegensatz zu natürlichen Materialien wärmen Kunststoffabfälle die kleinen Vögel keineswegs: "Sie erfrieren", so Ellen Claaßen, die mit ihrem Mann Ralf die Vogelstation Villingen betreut. "Vögel räumen das ab, was sie noch finden." Eine fatale Suche.

Wohin bringen die Ehrenamtlichen den fremden Müll? Viele füllen ihre eigenen Mülltonnen damit auf, "aber eigentlich sollte das nicht sein", so der Tenor. Vielleicht könnte die Stadt ihre engagierten Bürger unterstützen, Mülltüten ausgeben oder zumindest dafür sorgen, "dass wir die Säcke kostenlos entsorgen können", spinnt Ellen Claaßen den Gedanken weiter. "Die Ehrenamtlichen könnten sich ja registrieren lassen", regt Beiter-Lorenz an.

Botschaft kommt an

Die Botschaft kam bei der Stadtverwaltung an. Auf die Ideen der Müllsammler angesprochen, reagierte die Stadt prompt. Pressesprecherin Oxana Brunner betonte, dass es eine Amtsleiterbesprechung diesbezüglich gegeben habe. Das Ergebnis dürfte die Sammler freuen: Nicht nur, dass das Engagement der Bürger als "eine super Sache" gelobt worden sei. Die Sammler erhalten auch Unterstützung. Mit Jürgen Epting haben die Doppelstädter einen Ansprechpartner bei den Technischen Diensten TDVS, Telefon: 07721/82-2400. Dort können diese unter anderem klären, wo sie Müllsäcke bekommen und wo sie die Abfälle abgeben können. "Wir schauen jetzt mal, wie sich das Ganze entwickelt", so Brunner. "Generell ist der Einsatz eine tolle Sache."

Kommentar: Respektabel

Von Eva-Maria Huber

So sieht nicht jeder Spaziergang im Wald und auf der Heide aus! Handschuhe über den Fingern, Tüten in der Hand und dann raus aus dem Haus, um volle Windeln, Ölkanister oder Pappbecher einzusammeln. Und damit den ganzen Dreck von Mitbürgern aufzulesen, deren Sozialkompetenz sich entgegengesetzt proportional zu ihrem Wegwerfverhalten entwickelt hat. Der größte Respekt gilt denen, die sich regelmäßig dazu aufmachen, um nicht nur ins Grüne zu gehen, sondern näher hinzuschauen, was im Gebüsch liegt. Doch wohin mit dem teils zum Himmel stinkenden Krempel? Die Stadt reagiert auf eine Anregung ehrenamtlicher Müllsammler und bietet Unterstützung an: Eine respektable Reaktion auf respektables Bürgerengagement. Denn es kann nicht sein, dass diejenigen, die für andere den »Dreck« wegsammeln, darauf auch noch sitzen bleiben.