Eva Mendelsson-Cohns Zeitzeugenbericht über die Nazigräuel gegen Juden füllte am Dienstagabend das Villinger Martin-Luther-Haus bis zum Rand. Foto: Heinig Foto: Schwarzwälder-Bote

Die 83-jährige Eva Mendelsson-Cohn berichtet über die Nazi-Gräuel

Villingen-Schwenningen (bn). "Ihr sollt aufmerksam und wachsam sein, damit so etwas nie wieder passiert." Eva Mendelsson-Cohn, 83-jährige Zeitzeugin der Nazigräuel gegen Juden, sprach anlässlich des Gedenktages für die Opfer des Hitlerregimes.

Unverblümt bezog sie ihre Zuhörer dabei ein in die Frage der Schuld an Millionen Tote: "Ihr könnt nichts dafür, aber ihr müsst daraus lernen", forderte sie ihre Zuhörer auf. Der Arbeitskreis Christlicher Kirchen, die katholische und die evangelische Erwachsenen-bildung hatten eingeladen, und der große Saal im Martin-Luther-Haus drohte aus allen Nähten zu platzen – Zuhörer saßen sogar auf dem Boden.

"Hitler hat versucht, uns auszurotten, doch heute zählt unsere Familie wieder 20 Personen" – fast triumphierend schloss Eva Mendelsson-Cohns die Erzählung ihres Lebens, "eines zerstörten Lebens", wie sie betonte.

Mit zwei älteren Schwestern lebte sie in Offenburg, bevor sie nach drei Monaten in der ersten Klasse zusammen mit ihrer Mutter und ohne den Vater ins französische Gurs deportiert wurde. Ihre an Kinderlähmung erkrankte Schwester Esther sah sie nie wieder, sie wurde in Theresienstadt vergast, die Mutter 1942 in Auschwitz. Eva und Myriam Cohn wuchsen in französischen und Schweizer Kinderheimen auf, bevor sie der Vater nach Kriegsende nach England holte. Erst 1947 sei sie "kein Flüchtlingskind, keine Ausländerin, kein Jüdin, nicht länger benachteiligt, sondern endlich Eva" gewesen. 1954 heiratete sie, bekam drei Kinder, hat heute sieben Enkel und lebt in London.

"Wir hatten ein schönes Leben, bis Hitler kam", erzählte sie und unterstrich die Normalität mit Bildern einer einst glücklichen Familie. Ganz langsam schlichen sich die Animositäten nichtjüdischer Freunde und Nachbarn in ihren Alltag. "Wer uns sonst immer besucht hatte, wechselte plötzlich die Straßenseite, um uns nicht grüßen zu müssen".

In der sogenannten Kristallnacht am 9. November 1938 wurde der Vater verhaftet und kehrte nach Wochen abgemagert und mit rasiertem Kopf zurück. Darüber sprechen, was ihm wiederfahren war, durfte er nicht. Im Riesenlager von Gurs musste ein mit Stroh gefüllter Schlafsack als Sitz und Liege in einer fensterlosen Holzbaracke dienen. Unterernährung, Krankheiten, Ungeziefer, Kälte und Langeweile quälten, jeden Tag wurden die Toten herausgeschafft. Ein französisches Kinderhilfswerk rettete viele der Kinder in Heime, so auch Eva und ihre Schwester Myriam. "Wir hatten dort auch ein besseres Leben", berichtete die Zeitzeugin, "blieben aber interniert und waren allesamt ohne Familie."

Lange habe sich nicht über diese Jahre sprechen können, sagte Eva Mendelsson-Cohn. Erst 1986 nahm sie ihre inzwischen regelmäßigen Vortragsreisen nach Deutschland auf. Man habe ihr dabei "die Hand ausgestreckt" und sei "bereit zur Wiedergutmachung".

Gefragt nach den "Stolpersteinen", sagte sie, sie wolle sich nicht vorstellen, dass Menschen wieder auf ihre Mutter und Schwester treten. Doch habe sie schon beobachtet, wie ein Stolperstein andächtig blank geputzt worden sei – "ein versöhnliches Bild".