Konstanz/Villingen-Schwenningen - Sicherheitsstufe Rot. Rein darf am Donnerstagmorgen im Landgericht Konstanz nur, wer die Sicherheitsschleusen passiert und sein Mobiltelefon dort abgibt. Mit Fußfesseln werden nacheinander, streng bewacht, drei der sechs Angeklagten aus dem Raum Villingen-Schwenningen, Rottweil und Waldshut-Tiengen in den Saal Nummer 37 geführt. Sie kommen direkt aus dem Gefängnis. Seit Februar sitzen sie dort. Die drei weiteren Beschuldigten sitzen schon auf der Anklagebank, sind aber ansonsten auf freiem Fuß.

Kein Blick, kein Wort, keine Geste verrät, dass sie sich kennen. Drei der Angeklagten schweigen komplett, einer verrät lediglich Fakten zu seiner Person, nur zwei machen Angaben zur Sache. Mühsam dröseln der Vorsitzende Richter Arno Hornstein und Staatsanwalt Ulrich Gerlach die Verbindungen der Angeklagten zueinander auf. Schließlich wird auch vor Justitia klar, was schon Tage nach dem Anschlag verkündet wurde: Es ging nie um Fremdenfeindlichkeit. Aber um einen Haufen Geld.

Das Geschäft mit der Bewachung von Flüchtlingen blühte in Villingen-Schwenningen und Donaueschingen (Schwarzwald-Baar-Kreis). Beiderorts waren Erstaufnahme-Einrichtungen für Asylbewerber eingerichtet worden. Ein lohnendes Geschäft für Sicherheitsfirmen, vor allem in Villingen. Über 247.000 Euro hat das Sicherheitsunternehmen, das zwei der Angeklagten in Villingen-Schwenningen betrieben, laut Anklageschrift im Jahr 2015 für die Bewachung der Flüchtlinge in Villingen und Donaueschingen kassiert. Einnahmen, die der Firma dieser beiden Angeklagten, so Staatsanwalt Ulrich Gerlach in seiner Anklageschrift, weggebrochen seien, nachdem ihr Kompagnon – der Dritte im Bunde, auf den auch die dritte Initiale im Firmennamen zurückgehe – das Weite gesucht habe. Ausgerechnet zur Konkurrenz, einem Security-Unternehmen in Tuttlingen, soll er übergelaufen sein. Inklusive einiger Mitarbeiter und des lohnenden Auftrags zur Bewachung der Flüchtlinge in Villingen-Schwenningen.

Rache als Motiv? Das steht für den Mann, der zugibt, die Handgranate besorgt zu haben, außer Frage. "Die wollten den Auftrag zurück", gab er an. Seine Glaubwürdigkeit war nach zig verschiedenen Versionen dieser "Story" bei den unzähligen polizeilichen Vernehmungen während der vergangenen Monate zwar deutlich erschüttert, doch davon ist auch die Staatsanwaltschaft überzeugt.

Kumpelhaft, schnodderig – bisweilen duzt er das Gericht sogar – schildert der 24-jährige Angeklagte, wie es zu den Geschehnissen in der Nacht auf den 29. Januar im badischen Stadtteil Villingen-Schwenningens gekommen sein soll. Nach dem Verlust des Auftrags und dem Zerwürfnis mit dem dritten Begründer der Villinger Sicherheitsfirma hätten die beiden heute 27 und 38 Jahre alten Mitangeklagten auf Rache gesinnt. Sie stifteten ihre Kollegen zu einem Anschlag auf die Konkurrenz an. Zunächst habe es einen harmloseren Plan gegeben. "Aber die Sache mit dem Pfefferspray hat nicht geklappt" – man habe Flüchtlinge mit Pfefferspray besprühen wollen, um die Unfähigkeit der neu angeheuerten Bewachungsfirma zu demonstrieren, auf dass diese ihren großen Auftrag bald wieder los wäre.

Vor erstem Versuch bekam Trossinger kalte Füße

Bei den weiteren Beratungen – immer wieder an konspirativen Treffpunkten, Tankstellen, bei Bäckereifilialen oder in Bahnhofsnähe – habe schließlich der 23-jährige Angeklagte aus dem Raum Rottweil die Idee mit der Handgranate auf den Tisch gebracht. Der aussagende 24-Jährige, ebenfalls aus Rottweil, habe zwei solche – echte – Kriegsgeräte nämlich besessen, weil er sie leeren und damit seinen gläsernen Wohnzimmertisch dekorieren wollte, wie er erzählte.

Die Handgranate gelangte in der Folge jedoch nicht unter Glas, sondern in die Hände des 23-Jährigen. Er habe zunächst einen weiteren Angeklagten, einen 25-jährigen Trossinger, angeheuert. Doch der bekam nach dem ersten Versuch, die Handgranate abzuwerfen, einige Tage zuvor, aus Angst vor Entdeckung kalte Füße. In der Nacht auf den 29. Januar also Versuch Nummer zwei mit der Handgranate: Sie flog tatsächlich. Doch nicht der 23-Jährige, der die Idee dazu hatte, soll sie geworfen haben – "Ich habe doch gesagt, das macht der nie!", plaudert der Handgranaten-Beschaffer.

Nein, es sei ein weiterer Angeklagter gewesen, ebenfalls 23 Jahre alt, ebenfalls aus dem Raum Rottweil. Er wurde anscheinend dazu überredet, das Kampfgerät zu werfen. Die Granate landete etwa fünf Meter neben dem Container der Wachleute auf dem Gelände der Bedarfserstaufnahmeeinrichtung. Sie explodierte nicht. Warum?

Das ist unklar. Und es ist noch immer eines der größten Rätsel im Villinger Handgranatenprozess: Verfügte die Waffe über einen Splint oder nicht? Wenn nein, warum war der Handgranaten-Beschaffer dann so sehr davon überzeugt, "dass wir alle am Arsch sind, wenn wir auffliegen"? Und taugt eine nicht explosive Granate zur ernsthaften Einschüchterung?

Zwei andere könnten das wissen, die schweigenden, mutmaßlichen Strippenzieher: ein 26-jähriger Angeklagter aus Villingen-Schwenningen, der 4000 Euro für die Erledigung des Anschlags für die beiden 23-jährigen Rottweiler locker gemacht haben und der Mann für das Geld in der Sicherheitsfirma gewesen sein soll. Und sein 38-jähriger ehemaliger Geschäftskollege aus Waldshut-Tiengen, der mit undurchdringlichem Blick ständig nickend die tschechischen Übersetzungen der Dolmetscherin auf dem Platz neben sich zur Kenntnis nimmt. Ist er der Boss im Hintergrund, der das dicke Geld einsteckt, sich aber an der Basisarbeit die Finger nicht schmutzig macht?

Es bleiben noch viele Fragen – und drei weitere Verhandlungstage bis zum für den 7. Oktober erwarteten Urteil.

Seite 2: Granate vom Typ M52

Bei dem Anschlag am 29. Januar auf dem Gelände einer Flüchtlingsunterkunft in Villingen-Schwenningen haben die Täter eine jugoslawische Granate vom Typ M52 geworfen. Nach Angaben von Experten des Landeskriminalamtes handelt es sich bei dem eiförmigen Sprengsatz um eine absolut tödliche Waffe. Solche Handgranaten werden normalerweise in Kriegen eingesetzt. Die tödliche Wirkung erstreckt sich den Angaben zufolge auf ein Umfeld zwischen 10 und 20 Metern. Nicht nur der Druck durch den Sprengsatz gilt als verheerend, sondern auch die Splitter. Durch die Druckwelle können auch Fenster bersten. Als scharf gelten Granaten nur, wenn sie neben dem Sprengstoff auch einen Zünder haben.