Interview: Im Gespräch blicken Wolfgang Kaiser und Ulrike Salat zurück und voraus

Heute wird gefeiert. 40 Jahre Grüne – darüber sprach unsere Redaktion mit einem Mann der ersten Stunde in der Region, Wolfgang Kaiser aus Bad Dürrheim, gleichzeitig Landesschatzmeister der Grünen, sowie einer "neuen Grünen", Ulrike Salat, Stadträtin in VS.

40 Jahre Grüne – Herr Kaiser, erzählen Sie: Wie war das damals?

Kaiser: Die Situation war so, dass in den Jahren davor, ’77, ’78 und ’79, das Naturschutzthema stärker aufkam. Es gab die Studie des Club of Rome, Limits to Growth – Grenzen des Wachstums. Hier in der Region war der Bund für Umwelt- und Naturschutz Schwarzwald-Baar-Heuberg, eine Vorläufer-Organisation des heutigen BUND, ein Strang. Was damals beispielsweise schon aufkam: die Diskussion über den Wald und das Waldsterben. Die Studien des Professors Bernhard Ulrich* (*Anmerkung der Redaktion: Ulrich hatte 1981 das Sterben der ersten großen Wälder für die nächsten fünf Jahre prophezeit), datieren bis in die 70er Jahre und waren bekannt. Zudem warf der Reaktorunfall in Harrisburg im März 1979 ein erstes Schlaglicht auf die Gefahren der Atomenergie. Auch in der Region setzte man sich mit Blick auf das 1977 stillgelegte Kernkraftwerk in Wyhl im Kaiserstuhl damit stark auseinander. Ein zweiter Strang war die allgemeine Enge, es wurde sehr vieles als wenig demokratisch empfunden – Bürgerbeteiligung war weitgehend ein Fremdwort. Der Wunsch von Bürgern, mitzugestalten, wurde eher abgeblockt. Die Rolle der Frau war eine komplett andere – das war für uns Grüne von Anfang an wichtig. Die dritte Schiene war die Friedensbewegung, die damals auch aufkam. Es war ja die Zeit des Kalten Krieges und der beginnenden Nato-Nachrüstung. Aus all dem wuchs der Gedanke, das muss sich auch politisch manifestieren!

Ist das gestiegene Umweltbewusstsein damals vergleichbar mit der Stimmung heute?

Kaiser: Ja, es war eine ähnliche Aufbruchstimmung. Die Angst vor dem Schwinden der Ressourcen, vor der Atomkraft und vor dem Waldsterben, so wie heute vor der Klimakatastrophe. Wobei ein Unterschied auch darin liegt, dass es damals zum Teil Probleme waren – wie das Ozonloch zum Beispiel – bei denen man relativ gezielt gegensteuern konnte. Da gab es im übrigen auch viele Erfolge, beispielsweise dass man die FCKWs gegen Ozon rausbekam.

Frau Salat, wenn Sie hören, was die Grünen bewogen hat – Sie waren damals noch gar nicht da, oder?

Salat: (lacht) Doch! Ich bin 1972 geboren, also gerade in dieser Zeit groß geworden, von der Wolfgang gerade gesprochen hat. Meine erste Demo war tatsächlich mit meinen Eltern, als die Pershing-Raketen in Mutlangen installiert worden sind.

Wurde Ihnen das Grün-Sein also in die Wiege gelegt?

Nein, gar nicht! Meine Eltern sind sehr konservativ. Ich war aber immer schon Tier- und Naturliebhaberin, bin heute Biologin. Früher wollte ich eigentlich immer zu Greenpeace, auf die Schiffe und Walfänger bekämpfen, all sowas… In die Wiege gelegt durch meine Gene natürlich, aber meine Eltern haben mir das damals nicht vorgelebt.

Mittlerweile ist es ja "in" grün zu sein. Aber lange waren Sie Exoten, oder?

Salat: Ich glaube, da bin ich doch in einer anderen Zeit groß geworden. Bei uns war es immer in – lange Haare, anders zu sein als die anderen… Dann habe ich natürlich Biologie studiert, da war es auch normal. Und in Tübingen habe ich mich auch nicht als Exot gefühlt. Ich fühle mich eigentlich eher hier jetzt als Exot. (lacht) Kaiser: Es ist sicher so, dass es Anfang der 80er Jahre tatsächlich diese Exoten waren. Wir waren auch ein sehr bunt zusammengewürfelter Haufen. Die Leute kamen aus verschiedenen Ecken, aus links-kommunistischen Gruppen, vom Naturschutz, einzelne aber auch aus der CDU, ein paar waren Landwirte… Damit waren wir eine Ansammlung von Exoten. Und so wurden wir in den Kommunalparlamenten auch behandelt. Man konnte in den ersten Jahren fast alles sagen, es wurde abgelehnt. Eine Zeitung hat Anfang der Achtziger einmal eine Fotomontage veröffentlicht. Darauf zu sehen war Reichswehr-Oberst Kohlermann mir schräg gegenüber – aus seinem Kopf kam eine Denkblase: "Wenn der Grüne redet, sehe ich Rot." Es hat sich also viel entwickelt. Wir haben momentan sogar einen absoluten Höchststand mit 220 Mitgliedern im Kreis, wir haben uns in den letzten zwei, drei Jahren fast verdoppelt.

Der "bunte Haufen" in der Region – wieviele waren es?

Kaiser: Es waren etwa 20 Leute, die angefangen haben. Einen wichtigen Impuls haben wir durch den Wolf-Dieter Hasenclever bekommen, den Fraktionsvorsitzenden der Grünen im Landtag, der aus der anthroposophischen Ecke kam. Auch Fritz Kuhn war Gründungsmitglied und Kretschmann. Das war so die Melange.

Anfangs haben diese Leute einen Kampf gegen Windmühlen geführt….

Kaiser: Das kann man so sagen. Für Windräder, aber gegen Windmühlen.

Ab wann saßen die Grünen denn in den Gremien?

Kaiser: Ich sitze seit 1980 im Gemeinderat. Die Ersten sind 1980 reingekommen.

Und mit wievielen?

Kaiser: Ich war allein.

Ein Einzelkämpfer?

Kaiser: Ja. Das war ein hartes Brot. Da gab es durchaus von manchen damaligen Kollegen so etwas wie Feindseligkeit. Dinge, über die wir damals diskutierten, war beispielsweise, ob Mülltrennung sinnvoll ist oder nicht. Ein anderes Beispiel: Ich habe in Bad Dürrheim einen jahrelangen Kampf dagegen geführt, dass man den Wald komplett ausräumt. Der Wald musste für die Leute damals sauber ein. Ökologische Argumente über Kleintiere, Lebensräume und so, haben gefehlt. Verkehrsberuhigung, Geschwindigkeitsbegrenzungen – solche Dinge waren des Teufels. Bürgermeister Hagmann war glücklicherweise sehr aufgeschlossen, mit seiner Unterstützung wurde Tempo 30 in Bad Dürrheim flächendeckend eingeführt, das ging auf uns zurück.

Was waren in der Region Ihre größten Erfolge?

Kaiser: Oft kann man es nicht an konkreten Einzeldingen festmachen. Aber die Einführung von Stadtjugendpflegern war so ein Thema. Dass es Geschwindigkeitsbegrenzungen und verkehrsberuhigte Wohnbereiche oder Umweltbeauftragte gibt. Auch der Umgang mit Müll ist ein völlig anderer geworden. Radwege und -konzepte hatte man zuvor überhaupt nicht auf dem Schirm. Die Tatsache, dass man eine Staatsrätin für Bürgerbeteiligung und Zivilgesellschaft installiert hat nach 2011 hat bewirkt, dass man auch in der Region viel Stärker in Richtung Bürgerbeteiligung geht und denkt.

Wenn Sie, Frau Salat, diese Liste in die Zukunft fortschrieben. Was stünde darauf?

Salat: Ein wirklich ausgereiftes Mobilitätskonzept nicht nur mit Fahrradwegen außen und innen in der Stadt, sondern in dem es auch um Gerechtigkeit für Fußgänger, Radfahrer, für die neuen elektrobetriebenen Fortbewegungsmittel wie E-Roller und Autofahrer geht. Klimaschutzkonzepte natürlich. Dass wir die Flächenversiegelung nicht in diesem Maße forttreiben. Darüber müssen wir diskutieren ohne die parteipolitischen Mützen aufzuhaben. Kaiser: Wir definieren uns ja als Bündnispartei, Politik ist eben auf allen Ebenen das Bohren dicker Bretter. Wir versuchen deshalb, solche Dinge schon seit längerem gemeinsam zu entwickeln. Ein Aspekt, der zwar kein politischer Aspekt an sich ist, dennoch eine politische Wirkung hat, ist die Tatsache, dass wir nahezu paritätisch mit Männern und Frauen besetzt sind.

Grüne Themen sind angesagt siehe auch Fridays for Future. Sehen Sie eine Chance, diese Leute für die Grünen zu gewinnen?

Salat: Die Fridays sind ja nicht politisch, das wollen sie auch bleiben. Kaiser: Naja, politisch schon, aber nicht parteipolitisch. Salat: Genau. Ich selbst bin im übrigen auch erst seit 2013 parteipolitisch bei den Grünen und habe das erst spät für mich entdeckt, dass man damit Einfluss üben, etwas verbessern und verändern kann.

Zurück zu den Jugendlichen, wie kann politische Partizipation hier gelingen?

Salat: Die Jugendlichen von heute sind anders. Sie sind politischer als wir es waren. Wir früher waren hauptsächlich "dagegen", aber die Jugendlichen von heute sind entweder gar nicht oder sehr früh sehr interessiert an der Politik. Diese sehr politischen, denke ich, werden wir auf jeden Fall erreichen. Kaiser: Aktuell stellen wir den Kontakt zwischen Jugendlichen und Kommunalpolitik in ein paar Gemeinden direkt her. Über regelmäßig stattfindende Projekte zwischen Schülern, dort wo Kommunalpolitik unterrichtet wird an allen Schularten, wollen wir den Kontakt zu Kommunalpolitikern herstellen, vielleicht auch Gemeinderatssitzungen nachspielen. Das halte ich für wahnsinnig wichtig.

Sie haben vorhin das alte Zeitungszitat bemüht, "wenn der Grüne spricht, sieht er Rot". Wo sehen die Grünen heute denn Rot?

Kaiser: Ich glaube, das mit dem Rot sehen, ist heute nicht mehr so. Wir waren früher ein Stück weit aggressiver als heute, rebellischer. Auf der anderen Seite gibt es das "Menschheitsproblem Klimawandel", das ist übrigens ein Merkel-Zitat. Von vielen wird dieses Problem noch nicht erkannt. Ich sehe da zwar noch nicht Rot, aber ich sehe einen riesigen Nachholbedarf an vernetztem Denken, das leider in den Parlamenten und der Gesellschaft nicht da ist. Salat: Ich sehe Rot(h) jede zweite Woche im Technischen Ausschuss und im Gemeinderat. (lacht) Davon abgesehen ist natürlich das Thema, bei dem mir die Haare zu Berge stehen, diese Flächenversiegelung. Wir wissen, wir brauchen Wohnraum, aber das muss eben auch ökologisch ablaufen. Wir müssen überall die Ökologie mitdenken, da sind wir aber noch nicht drin. Das müsste da rein.

Früher hat man Themen mit Demos in die Köpfe gebracht. Wenn Sie heute eine Demo anzetteln müssten. Was wäre denn das Thema?

Kaiser: Ich gehe noch immer zu Demonstrationen. Bei Fridays for Future bin ich, wann immer ich Zeit habe, dabei, selbstverständlich. Und auch "meine" Demo würde in diese Richtung gehen. Das ist das zentrale Thema der nächsten Jahrzehnte. Entweder wir kriegen es in den Griff, oder es wird ganz bitter enden.

Sind die Grünen Schwarzseher?

Kaiser: Schwarzseher? Nein! Als Schwarzseher würde ich nach 40 Jahren nicht noch immer Politik machen. Salat: Mein Motto dazu ist: Die Erde braucht uns nicht, die Natur findet ihren Weg. Aber ob wir dann da noch drauf sind, das ist die Frage. Das ist nicht Schwarz sehen, das ist einfach realistisch.

  Die Fragen stellte Cornelia Spitz.