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EU-Abgeordneter Andreas Schwab plädiert für eine Vertragsänderung / Rechtsruck und Brexit beeinflussen Arbeit im Europäischen Parlament

In Europa herrscht dieser Tage in vielen Fragen Uneinigkeit; die Europäische Union steht in der Kritik. Andreas Schwab ist seit 2004 Abgeordneter des Europäischen Parlaments. Er ist zwar vom Konzept der EU überzeugt, beanstandet aber auch bestehende Regelungen.

Schwarzwald-Baar-Kreis. Der geplante Austritt der Briten, die unterschiedlichen Meinungen bei der Flüchtlingsfrage, der zunehmende Rechtsruck – Europa zeigt sich dieser Tage tief gespalten. Die politischen Probleme sind auch im Europäischen Parlament in Straßburg nicht von der Hand zu weisen: Andreas Schwab, der unter anderem den Schwarzwald-Baar-Kreis im EU-Parlament vertritt, erlebt den Rechtstrend hautnah.

Als er vor 14 Jahren erstmals ins Parlament gewählt wurde, herrschte in Europa Aufbruchstimmung. "Im Jahr 2004 waren die zehn mittel- und osteuropäischen Staaten zur EU dazugekommen", erinnert er sich. "Man wollte Europa vertiefen und voranbringen." Das sei heute anders, die Atmosphäre von "nationalistischen Strömungen geprägt".

Allerdings: Während überall die Forderung aufkomme, die EU müsse sich verbessern, sei niemand bereit, weitere Kompetenzen abzugeben, so Schwabs Urteil. "Und darüber hinaus ist niemand bereit, in die Diskussion einzusteigen, ob der EU-Vertrag angepasst werden soll."

Italien alleine gelassen

Denn laut Vertragsregelung müssen bei Angelegenheiten, die die Mitgliedsstaaten als sensibel betrachten, Änderungen einstimmig getragen werden. In diesen Bereich fallen unter anderem die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, Bürgerrechte, EU-Mitgliedschaft oder die EU-Finanzen.

Beim Thema Flüchtlingspolitik etwa seien Länder wie Polen mit ihrer Weigerung, weitere Flüchtlinge aufzunehmen, rein formal im Recht. "Moralisch ist das natürlich verwerflich", erklärt Schwab, der eine Änderung des Vertrags befürwortet. "Wenn ein Mitgliedsstaat etwa mehr Geld will, ein anderes dafür eine Entscheidung in einer anderen Sache, wird man gegenseitig erpressbar", nennt er ein Problem der derzeitigen Regelung.

Immer wieder setzen Mitgliedsstaaten auf Konfrontation, wählen den Alleingang: Das zeigte sich nicht nur jüngst bei der Entscheidung Italiens, die Häfen für ein vollbepacktes Flüchtlingsboot zu sperren. "Italien ist in der Flüchtlingskrise sicherlich eine Weile lang alleine gelassen worden", gibt Schwab zu. "Aber das Land hat nach wie vor auch ein großes Problem mit der Spaltung von Nord und Süd. Das ist eine italienische Aufgabe, die die Politik in der Vergangenheit nicht wirklich zu lösen versucht hat." Die Kritik richte sich daher im Endeffekt nicht nur an die EU, sondern vor allem an die eigenen Verhältnisse.

Auch der Entscheid der Briten, die Union zu verlassen, treibt das Parlament naturgemäß an. Die Austrittsgespräche gestalten sich schwierig. "Ich glaube dass das, was die Briten wollen, nicht machbar ist", stellt Schwab klar. "Seinen Wohlstand auszubauen und sich gleichzeitig vollständig von der EU zu lösen – das ist nicht möglich."

Austritt als Chance

Durch den Austritt Großbritanniens wird laut Schwab erneut klar, dass Europa nur gemeinsam wettbewerbsfähig bleiben kann. "Wenn wir die großen wirtschaftlichen und politischen Interessen Chinas sehen, das Auftreten Donald Trumps oder Wladimir Putins nehmen, dann ist klar, dass wir als Deutsche nur eine Chance haben, unsere Interessen auf der Welt zu vertreten – und zwar mit unseren europäischen Nachbarn", unterstreicht er. "Dafür gibt es nichts Besseres als die EU." Denn entgegen der populären Meinung, die EU verfolge lediglich internationale Interessen, versuche man vielmehr, die nationalen Interessen gebündelt auf europäischer Ebene zu vertreten.

Probleme im Grenzgebiet

Allerdings: Was auf dem Papier gut klingt, gestaltet sich in der tatsächlichen Umsetzung oftmals schwierig. "Das ist ein wunder Punkt der EU", gibt Schwab zu. Immer wieder müsse man neue Regelungen treffen, damit alte eingehalten werden.

Die Beispiele hierfür sind zahlreich, eines davon hat Schwab erst diese Woche im Parlament in seinem Bericht über die "Verhältnismäßigkeitsprüfung vor Erlass neuer Berufsreglementierungen" vorgestellt. "Was erst mal sehr abstrakt klingt, kann sehr schnell greifbar werden", erklärt der Abgeordnete und gibt ein Beispiel: Handwerkern, die im Grenzgebiet arbeiten, werden vom Nachbarland oftmals Steine in den Weg gelegt, um den heimischen Mitarbeitern Vorteile zu verschaffen. So muss etwa ein deutscher Handwerksbetrieb seine Mitarbeiter acht Tage vor dem Arbeitseinsatz in Frankreich anmelden. Tropft die Heizung bei einem Kunden im Elsass, wird die Reparatur schwierig. Eine neue Regelung soll nun dabei helfen, dass diese Anforderungen künftig verhältnismäßig sind.

Allerdings: Dieser Vorschlag ist bereits der dritte seiner Art, zwei Richtlinien hierzu bestehen bereits. "Die Mitgliedsstaaten haben leider die Tendenz, schnell zu vergessen, was sie in Brüssel mitbeschlossen haben", sagt Schwab. "Das spricht aber nicht gegen die Regeln, sondern gegen all jene, die sie nicht einhalten." Künftig, so der Vorschlag, soll die Kommission vorab bei solchen Berufsreglementierungen mitreden können – und somit den Ablauf vereinfachen.

"Der Binnenmarkt funktioniert nur, wenn sich alle dem europäischen Elan anschließen und daher die Regeln einhalten", betont der Abgeordnete, der auch Sprecher des Ausschusses für Binnenmarkt und Verbraucherschutz ist. Doch vielen fehlt derzeit eben dieser Elan.

Hat die EU also ein Imageproblem? Schwab verneint. "Es scheint mir, es entsteht häufig eine Diskussion über ein Image, das sehr stark vom Bauch geprägt ist. Wenn wir konkret über die Probleme reden würden, dann würde man merken, dass viele dieser Probleme nicht Teil der EU sind." Europa funktioniere nur dann gut, so seine Einschätzung, wenn alle das Gefühl hätten, unterm Strich zu profitieren. Hierfür seien Kompromisse notwendig. "Politik ist immer ein Mehrheitsgeschäft", bilanziert er.

Man habe bereits viel erreicht – von der Reisefreiheit dank abgeschaffter Grenzkrontrollen über eine einheitliche Währung bis hin zur Förderung von Austauschprogrammen –, doch sehen viele EU-Bürger das mittlerweile als selbstverständlich an. Schwab resümiert: "Europa droht, Opfer seines eigenen Erfolgs zu werden."