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Ein Sommergespräch mit Landrat Sven Hinterseh

Es war ein nachdenklicher Landrat, der am Donnerstag beim traditionellen Sommergespräch den Medienvertretern gegenüber saß. In einem für Sven Hinterseh besonderen Jahr, in dem er in seine zweite Amtszeit startete, sieht er sich mit völlig neuen Vorzeichen konfrontiert in einer noch nie dagewesenen Situation.

Schwarzwald-Baar-Kreis. Pessimismus versprüht Sven Hinterseh nicht. Dabei hätte er sogar guten Grund dazu. Die Eckpunkte seiner Antrittsrede für die zweite Amtszeit im Juni hatten schon zu Jahresbeginn längst festgestanden – aber immer wieder wurde Hinterseh von einer jedes Mal neuen Realität eingeholt. Auch nach acht Jahren Landrat lernt man nicht aus – und im neunten lernt er nun, dank Corona, ganz besonders viel Ungeahntes dazu. Vieles wurde geschafft. "Die erste Welle ist überstanden – und ganz so schlecht lief’s nicht", zeigt der Landrat guten Grund zur Zuversicht.

Einschnitte aber werde es geben müssen. Das wird er später im Verlauf des Gesprächs auch gleich mehrfach deutlich machen. Denn "Corona hat alles auf den Kopf gestellt", sagt Sven Hinterseh und meint damit weit mehr als die Themen seiner Antrittsrede. Für den 2017 ehrgeizig formulierten Nahverkehrsplan beispielsweise ist der Zug zwar noch nicht abgefahren, aber das Tempo mit dem man in die Zukunft unterwegs ist, steht sehr in Frage. Man müsse sehen, wie sehr man unter den neuen Vorzeichen daran festhalten könne oder nachjustieren müsse. Auch im Bemühen, gemeinsam mit den Nachbarlandkreisen Rottweil und Tuttlingen eine Tarifreform mit attraktivem und übersichtlichem Tarifmodell durchzuführen, gelinge vielleicht nicht gleich der ganz große Wurf, nun da die Haushalte unter Druck kommen und alle geplanten Maßnahmen in Konkurrenz zu anderen Vorhaben stehen. "Wir arbeiten aber inhaltlich weiter an dem Thema", verspricht Hinterseh. "Uns eint nach wie vor der Wille, dass wir möglichst etwas Einheitliches hinbekommen wollen für diese 500 000 Einwohner." Günstig in einer großen Region mit einheitlichem Tarifmodell Bus und Bahn fahren, das ist die Idee. Das Thema sei eng verbunden mit dem Thema "Ringzug 2.0". Natürlich schmerze es ihn, wenn bei der geplanten Neuerung im Tarifbereich jetzt Einschnitte vorgenommen werden müssten – "aber wenn ich priorisieren müsste, würde ich sagen, Infrastruktur hat Vorrang". Schließlich würden damit Weichen für die Zukunft gestellt und sei eine einmal geschaffene Infrastruktur dann nachhaltig vorhanden.

Gedanken an die Zukunft hegt Hinterseh vor allem auch in puncto Digitalisierung. Sie ist eines jener Felder, wo der Landrat trotz des corona-bedingten Sparzwangs nicht nachlassen will. Bezüglich der 16 Schulen unter Trägerschaft des Landkreises und der Digitalisierung an diesen solle man die Investitionsfreudigkeit halten, findet er. "Wir sind da schon weit gekommen, aber noch lange nicht fertig." Das habe sich auch beim Lockdown gezeigt. In einem Flächenlandkreis wie diesem sei Digitalisierung umso wichtiger – nicht nur für Schulen, weshalb das Ausbauprojekt Breitband-Infrastruktur in seinen Augen unbedingt weiter vorangetrieben werden sollte, "um in fünf, sechs, sieben Jahren flächendeckend versorgt zu sein".

Heilige Kühe, an die beim Sparbemühen nach der Coronakrise nicht Hand angelegt werden darf? Hinterseh wiegelt ab. Natürlich seien Denkverbote vor einer Haushaltsstrukturkommission schwierig. "Aber es kann natürlich auch nicht sein, dass wir komplett auf Null runterfahren und gar nichts mehr investieren". Es gelte, die Balance zu halten. Im Übrigen auch, oder vielleicht sogar besonders, mit Blick auf die Corona-Pandemie. Hinterseh ist froh, dass auch hinter dem Schwarzwald-Baar-Kreis die berüchtigten fetten Jahre liegen.

Die Kreisbilanz kann sich sehen lassen: das Naturschutzgroßprojekt Baar, in dessen Rahmen der Biotopverbund zwischen Schwarzwald, Baar und Schwäbischer Alb hervorgehoben wird, der Klimaschutzmanager, der den Landkreis nun zum European Energy Award führen soll, die nun begonnene Ökologisierung des Donauzusammenflusses bei Donaueschingen oder die Drei-Welten-Card, die als einzigartiges Bonusprogramm den Tourismus in den Landkreisen Waldshut-Tiengen, Konstanz, Schwarzwald-Baar und dem Schweizer Kanton Schaffhausen ankurbeln und vernetzen soll...

Nach der Corona-Zwangspause müsse nun das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben wieder hochgefahren werden – und gleichzeitig gilt es, die Gesundheit zu schützen und eine zweite Welle möglichst zu verhindern – es ist ein weiter Spagat.

Mit Blick auf die nun anbrechende Reisezeit wird Hinterseh da schon ein wenig bange. "Es bereitet mir Sorge, dass viele dorthin in den Urlaub fahren, wo die Fallzahlen sehr hoch sind", gibt er unumwunden zu und nennt den Balkan und Mallorca als Beispiele. Wer das tut, möge die Melde- und Quarantäne-Auflagen beachten.

Trotz aller Zuversicht, sei mittelfristig mit einzelnen Infektionsherden im Schwarzwald-Baar-Kreis zu rechnen. "Wir dürfen den Erfolg jetzt nicht leichtfertig aufs Spiel setzen", gibt der Landrat zu bedenken. Und das gibt er als Chef auch den Mitarbeitern der Kreisverwaltung mit. "Wenn jemand meint, in einem solchen Gebiet Urlaub machen zu müssen, muss er die 14 Tage Quarantäne auch einrechnen – als Urlaub und nicht als gelben Zettel. Es möge jeder prüfen, wo er Urlaub macht", rät Hinterseh daher.

Und wie hält es der Landrat selbst? "Eine Woche. Im Inland", verrät er knapp. In diesem etwas anderen Sommer will sich der Landrat zur Verfügung halten – und wie wertvoll der Schwarzwald-Baar-Kreis als Urlaubsort auch rund ums eigene Zuhause ist, das hat Sven Hinterseh ja Minuten zuvor selbst eindrucksvoll geschildert. Und wenn die zweite Welle kommt? Dann werde man entsprechend reagieren, im Klinikum aber beispielsweise nicht mehr "in dieser Schnelligkeit" radikal runterfahren, sondern je nach Bedarf flexibel reagieren. Aus der ersten Welle nämlich hat man viel gelernt – wertvolles Wissen allerdings, das der Landrat am liebsten gar nicht mehr anwenden müssen will.

Wie der Schwarzwald-Baar-kreis die erste Welle der Corona-Krise gemeistert hat, das kann sich jetzt jeder Interessierte in einer kleinen Filmserie anschauen. Gemeinsam mit Joerger Media teilt der Landkreis in sozialen Netzwerken im Internet die Geschichten von Bürgern, die sich mit Mut und Empathie der Situation gestellt haben in fünf Episoden. Die erste davon gibt ab heute Einblick in die Kreisverwaltung, die Fieberambulanz, aber auch das Seelenleben eines Corona-Patienten.