Fotos: Parage Foto: Schwarzwälder Bote

In der Geodäsie kommen Baden und Württemberg einfach nicht zusammen / Vermesser müssen bis zum Jahresende in VS vergessene Grenzpunkte setzen

Vermesser arbeiten mit modernster Technik. Dabei lohnt sich ein Blick in die Vergangenheit: Die Geschichte der Geodäsie ist spannend und hält gerade in VS ihre Tücken bereit. Im kommenden Jahr feiert das städtische Vermessungsamt 100. Jubiläum.

Villingen-Schwenningen. In manchen Abteilungen der Stadtverwaltung ticken die Uhren etwas langsamer. Das Vermessungsamt ist so eine. Aber nicht etwa, weil die Damen und Herren dort nicht auf Zack wären. Nein, im Vermessungsamt ist es eher so, dass Baden und Württemberg noch nicht zueinander gefunden haben. Christian Heine zum Beispiel leitet das württembergische Kataster, es gibt aber auch ein badisches.

Der Grund dafür reicht 200 Jahre zurück. Damals wurden die beiden Landesteile in den üblichen Maßeinheiten vermessen: dem badischen und dem württembergischen Schuh. Der Erstere entspricht 30 Zentimetern, beim Letzteren sind es nur 28,6. "Der Württemberger war schon immer sparsamer", meint Steffen Wölfel, der stellvertretende Leiter des Vermessungsamts scherzend. "Oder die Badener haben aus praktischen Gründen aufgerundet," vermutet Christian Heine.

Bei der Vermessung entstanden zugleich Koordinatensysteme – natürlich ebenfalls verschiedene. Während die Württemberger von Tübingen, nahe der Sternwarte, aus, zur Tat schritten, befindet sich der badische Nullpunkt vorm Karlsruher Schloss.

1871 sei in Zentraleuropa dann der Meter eingeführt worden. Das Schuhproblem wirkt trotzdem nach, was sich bei der Gründung Baden-Württembergs im Jahr 1952 wieder bemerkbar machte. Damals sollten nicht nur die Landesteile, sondern auch die Koordinatensysteme zusammengeführt werden. Das einheitliche Gauß-Krüger-System wurde entwickelt.

Entlang der Grenze – in VS östlich des heutigen Schwarzwald-Baar-Klinikums, beim Gasthaus "Hölzlekönig" – entstanden allerdings sogenannte Spannungen, es passte also nicht genau. Manche Orten lagen, je nach Berechnung, zehn bis 30 Zentimeter auseinander. Dass es nur so wenige sind, findet Christian Heine "sensationell". Schließlich wurden die Länder mit Stangen vermessen. Gerade m Schwarzwald ein schier unmögliches Unterfangen. Angesichts dieser Spannungen entschied man sich, gleich ein neues Koordinatensystem zu verwenden – das international genutzte UTM/ETRS.

Per Satellit finden sie den genauen Standort

Doch die Vermessung der Welt bleibt eine Herausforderung, weil sie keine perfekte Kugel ist, sondern eiert. Dennoch lässt sich durch Berechnungen jeder Ort auf der Erde bestimmen. Die Satellitengeodäsie macht dank Technik die Arbeit der Vermesser einfacher. So kommen unter anderem GPS-Systeme zum Einsatz. Bisher, erzählen Wölfel und Heine, können sie und ihre Kollegen dafür nur amerikanische oder russische Satelliten nutzen. Pro eingewählter Minute muss das städtische Vermessungsamt bezahlen, um die zehn Cent werden fällig. Um weniger abhängig zu sein und wegen der Kosten, haben die Europäer nun ihr eigenes System entwickelt, "Galileo". Im kommenden Jahr soll es mit 23 Satelliten losgehen.

Zurück in die baden-württembergische Doppelstadt: Trotz Hightech-Ausrüstung sind die Vermessungsspezialisten hier seit anderthalb Jahren unterwegs, weil die Vergangenheit sie einmal mehr eingeholt hat. Im Grunde mussten früher die Grenzpunkte zwischen allen Grundstücken markiert sein, und zwar nicht nur in den Karten, sondern auch vor Ort. Weil dies nicht überall der Fall ist, müssen die Vermessungsämter dies nun für Grundstücksgrenzen, die vor 2010 gezogen worden sind, nachholen.

Christian Heine und sein Kollege Antonio Candita sind deshalb noch bis zum Jahresende immer wieder in Schwenningen unterwegs. 486 Grenzpunkte sind hier zu markieren, um ähnlich viele kümmert sich ein weiteres Duo in Villingen. Drei Viertel ihrer Arbeit haben sie geschafft.

Kürzlich waren Candita und Heine vorm Schwenninger s’Rössle im Einsatz. Mithilfe ihrer Karten nähern sie sich den Grenzpunkten so gut wie möglich. Dann verbindet sich Christian Heines Vermessungsgerät mit dem Satelliten. Dieser "schickt" den Ingenieur schließlich zum exakten Punkt. "Wenn ich mich auf ein bis zwei Zentimeter angenähert habe, wird der Grenzpunkt vermerkt." Sprich: Antonio Candita greift zur Bohrmaschine und versenkt den Grenzbolzen. Dass diese beim ’s-Rössle-Abriss im kommenden Jahr wieder verschwinden dürften, ist durchaus zu erwarten. Ihre Abmarkungspflicht allerdings haben die Männer erfüllt.

Die gute Nachricht für Grundstücksbesitzer: Die Abmarkung ist kostenlos. Weil das nicht jeder weiß und mancher befürchtet, an den Grundstücksgrenzen könnte sich etwas ändern, werden die Vermesser mitunter kritisch beäugt, erzählt Christian Heine. Anders ist das, wenn Vermesser und Anwohner ins Gespräch kommen. "Ich diskutiere gern mit den Leuten", sagt er. Und wenn man das mit den Abmarkungen erläutert habe, dann werde man auch mal auf einen Kaffee eingeladen. Dass die Vermesser dann allerlei Interessantes über ihr Fachgebiet zu erzählen haben, kann man sich gut vorstellen.

Das städtische Vermessungsamt feiert im Juni 2019 sein 100-jähriges Bestehen. Bei der Südwest Messe, die von 15. bis 23. Juni 2019 stattfindet, ist das Amt aus diesem Anlass mit einer Ausstellung am VS-Stand vertreten. Dort wird die Geschichte der Einrichtung und der Vermessung allgemein präsentiert, historische und moderne Geräte sind zu sehen. Heute hat das Vermessungsamt rund 30 Mitarbeiter, Leiter ist Ulrich Götz. Zum Aufgabenbereich gehört das Liegenschaftskataster, die Ingenieurvermessung und das Leitungskataster. Zudem sind Grundbucheinsichtstelle und Geschäftsstelle des Gutachteraus- schusses dort angesiedelt.