Die Beratungsstellen im Kreis sind im Alarmmodus. (Symbolbild) Foto: © Siam – stock.adobe.com

Gefangen in den eigenen vier Wänden. Beratungsstellen in Alarmmodus. Auch Männer Opfer?

Villingen-Schwenningen - Schon wieder gab es Streit, wie so oft in letzter Zeit. Schon wieder hat er ihr eine Ohrfeige gegeben und die Kinder haben sich verängstigt verdrückt. Doch als sie anrufen wollte, kam ihr Mann plötzlich ins Wohnzimmer und sie musste schnell auflegen.

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Erleben wir in Zeiten der Krise einen dramatischen Anstieg häuslicher Gewalt? Sicherlich, heißt es aus Beratungskreisen. Und wer Gewalt in diesen Tagen erfährt, hat es noch schwerer als zu "normalen" Zeiten. Ist gefangen in den eigenen vier Wänden.

Schaut sich Birgitta Schäfer, Anwältin und Mitglied im Vorstand des Vereins "Frauen helfen Frauen" die puren Telefonatszahlen an, spiegelt sich darin kein Anstieg von häuslicher Gewalt.

Trügerische Sicherheit

Doch für sie wie auch Jochen Link, Leiter der Außenstelle der Opferschutzorganisation Weißer Ring im Kreisgebiet, ist das eine trügerische Sicherheit. Beide gehen davon aus, dass die Gewalt in Zeiten von Kontaktsperren, Kurzarbeit oder gar Arbeitslosigkeit deutlich gestiegen ist: "Die Frauen haben nur wenig Möglichkeiten ans Telefon zu gehen und anzurufen. Die Männer sind viel häufiger zuhause." Die Gewaltspirale dreht sich, je länger Familien "deutlich mehr Zeit miteinander zu Hause verbringen müssen".

Unter den Konfliktsituationen leiden vor allem auch die Schwächsten im Familienverbund, die Kinder, da sie aus dem Kita- und Schulleben herausgerissen sind und damit möglicherweise aufmerksamen Augen entgehen. Ein Erzieher, der seinen Namen nicht in der Zeitung sehen möchte, pflichtet bei: "Die Dunkelziffer bei häuslicher Gewalt ist ohnehin extrem hoch, jetzt dürfte sie noch deutlich höher sein."

Frauenhaus voll belegt

Wie sieht die Belegung im örtlichen Frauenhaus mit insgesamt 16 Plätzen aus? "Dort ist alles belegt", erläutert Birgitta Schäfer. Deshalb ist der Verein auf der Suche nach individuellen Möglichkeiten, um Frauen und ihren Kindern einen schützenden Unterschlupf zu bieten. Link führt aus: In Frage kämen auch Ferienwohnungen, in Härtefällen dürften Eigentümer diese nach der Corona-Verordnung vermieten. "Und dieser Härtefall wäre ja bei Gewalt gegeben."

Doch die Angst vor der nächsten Schikane, den nächsten Schlägen wird manchmal von einer anderen, fast größeren Furcht überlagert: der Angst, es alleine mit den Kindern nicht zu schaffen. Das hört auch Jochen Link in Gesprächen manchmal heraus. Doch es sind nicht nur die Prügel und Schläge, unter denen Kinder und Erwachsene leiden, sondern auch psychische Gewalt.

Hilfe suchen Betroffene, wenn sie psychische Gewalt erfahren, ihnen ihr Selbstwertgefühl nach und nach zerstört wird, ihnen das Gefühl vermittelt wird: "Du bist nix, du kannst nix."

Auch Männer Opfer?

Sind nur Frauen die Leidenden? Wie sieht es mit den männlichen Opfern aus. Aus Fachkreisen heißt es, dass hier die Dunkelziffer recht hoch sei. Gewalt gehe zwar in vielen Fällen von Männern aus, so die Erfahrungen von Schäfer und Link, aber auch Männer sind Betroffene. Mit einem großen Unterschied: Männliche Opfer werden in der Gesellschaft nach wie vor nicht ernst genommen und teils lächerlich gemacht. Und damit haben diese auch ein Problem damit, Beratungsstellen aufzusuchen oder gar eine Anzeige zu machen. Zudem üben Frauen anders Gewalt aus, eher in psychischer Form, sie zermürben ihren Partner und nehmen ihm jegliches Selbstwertgefühl. Mit solchen Erfahrungen nach außen zu gehen, damit tun sich Männer sehr schwer. Vielfach hören sie: "Dann hau halt mal auf den Tisch!"

Auch für die Polizei ergibt sich beim Thema häusliche Gewalt ein klares Bild: "Im überwiegenden Fall riefen Frauen an und teilten der Polizei mit, von ihrem Partner/Ehemann geschlagen oder bedroht worden zu sein", erläutert Jörg Kluge von der Pressestelle des Polizeipräsidiums Konstanz. Teilweise habe es auch häusliche Gewalt zwischen Jugendlichen und den Eltern gegeben, Sohn oder Tochter werden gegenüber der Mutter handgreiflich. Anrufe von betroffenen Männern seien eher die Ausnahme, "eventuell aber auch, weil diese aus Scham die Polizei nicht verständigen".

Freunde und Arbeitgeber können unterstützen

Was also tun, wenn Familienangehörige immer wieder Schläge einstecken müssen oder psychisch regelmäßig fertig und niedergemacht werden und ein Anruf von zu Hause aus nicht möglich ist? "Betroffene können sich über ihren Arbeitgeber bei uns melden oder auch über Freunde", zeigen Link und Schäfer auf. "Uns", das sind einige Beratungsstellen, die ihre Hilfen gerade zu Krisen-Zeiten anbieten. Im Notfall habe ein Hilferuf bei der Polizei auch einen Platzverweis zur Folge. Und wenn die Beweislage eindeutig sei, ergänzt Link, käme auch das Mittel der Wohnungszuweisung ins Spiel: Das bedeutet, der Gewalttäter müsse seiner Partnerin und den Kindern Wohnung oder Haus alleine überlassen.

Wichtig ist beiden in Zeiten von Kontaktsperren und Beschränkungen auch noch anderes. Wenn ein dringender Verdacht auf Gewalt vorliege, dann sollten Nachbarn oder Bekannte nicht davor zurückscheuen, bei einer Beratungsstelle oder auch der Polizei anrufen. "Das hat nichts mit Denunziantentum zu tun, sondern damit, dass wir die Menschen nicht aus den Augen verlieren, die Hilfe benötigen."

Der Erzieher aus der Region ergänzt und ermutigt das private Umfeld, ob Nachbarn, Freunde oder Bekannte, dazu, "noch achtsamer und feinfühliger zu werden". Man könnte, bei Verdacht auch einfach mal bei den Müttern oder Ehepartnern nachfragen: "Ist alles in Ordnung bei euch?"

Durch alle Schichten

Eskalieren Streit und Auseinandersetzungen zu Corona-Zeiten vermehrt in beengten Wohnverhältnissen? "Das ist ein Trugschluss", erläutern Link und Schäfer. Häusliche Gewalt ziehe sich durch alle Gesellschaftsschichten. Ängste und Verunsicherung heizen die aggressive Stimmung an, "egal, ob die Menschen in beengten Zwei-Zimmer-Wohnungen leben oder in der Riesenvilla mit Garten".

Kaum noch Kontakte zu den möglicherweise durch psychische wie physische Gewalt gefährdeten Schülern: Das ist das große Problem auch von Alfred Zahn vom örtlichen Kinderschutzbund, der selbst als Lehrer arbeitet. "Wir wissen nicht, was in den Häusern passiert, aber es dürfte einiges sein", so Zahn, der seit vielen Jahren im Kinderschutzbund tätigt ist. Um so mehr wartet auch er auf eine Öffnung, auf dass Sozialarbeiter wieder zu und in die Familien dürfen. Bis dahin sein Appell: Wer eindeutige Zeichen von Gewalt sehe, blaue Flecken oder auffälliges Verhalten (verstörte Kinder zum Beispiel), der sollte solche Fälle auch melden.

Eigentlich bestätigt das Polizeipräsidium Konstanz indirekt die Vermutungen von Frauen helfen Frauen, Opferschutzverband und Erzieher. Während sich im Schnitt eine minimale Steigerung abbilde, seien im Schwarzwald-Baar-Kreis (mit der Stadt VS) die Fallzahlen sogar leicht zurückgegangen, erläutert Jörg Kluge von der Pressestelle des Polizeipräsidiums Konstanz. Vereinzelt kam es auch zu Maßnahmen, zu Wohnungsverweis und Beschlagnahme des Wohnungsschlüssels, auch zu Einweisung durch einen Arzt in eine psychiatrische Klinik. Manchmal, schreibt Kluge, "wurden die Parteien vorübergehend getrennt, bis sich die Gemüter beruhigt hatten".

Beratungstellen

Folgende Beratungsstellen helfen unter anderem bei häuslicher Gewalt:  

Frauen helfen Frauen Schwarzwald-Baar, Telefon 07721/5 44 00.  

Weißer Ring, täglich, von 7 bis 22 Uhr, Telefon 07721/50 72 13,  Grauzone, Online-Beratung unter: marion.hirt@grauzone-ev.de, Telefon 0771/41 11.  

Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen", täglich unter 08000 11 60 16.  

Hilfetelefon für Kinder und Jugendliche, www.nummergegenkummer.de, Montag bis Samstag, von 14 bis 20 Uhr Montag, Mittwoch und Donnerstag, von 10 bis 12 Uhr, unter 11 61 11.