Peter Ziegler hinter Glas – im Landgericht Mannheim. Foto: Eich

Mammutprozess um Leuchtenhersteller gestartet. Mehr als 600 Gläubiger sollen getäuscht worden sein.

Villingen-Schwenningen/Mannheim - Wie ein Schutzschild trug er seinen Einweg-Mundschutz während des gesamten Verhandlungstages. Den Blick auf das undurchsichtige Dickicht im Geschäft der Hess AG kurz vor dem Börsengang im Oktober 2012 aber konnte die hellblaue Stofffahne nicht verhindern.

Ist er nun verhandlungsfähig oder nicht? Diese Frage ging dem Prozessauftakt vor der Großen Wirtschaftsstrafkammer voraus. Fraglich war für Beobachter, ob der Hess-Prozess um die ehemalige gleichnamige Aktiengesellschaft nun wirklich würde verhandelt werden können. Bislang kann er – doch auch trotz bescheiniger Verhandlungsfähigkeit gesundheitlicher Einschränkungen des ehemaligen Hess-Chefs und Sprosses der Gründerfamilie, Christoph Hess, steht der Rechtsstreit unter besonderen Vorzeichen. Plagte sich die Justiz in Villingen-Schwenningen 2017 mit der damals zu eingeschränkten Verhandlungsfähigkeit von Christoph Hess, die eine öffentliche Gerichtsverhandlung unmöglich gemacht und schließlich zur Verfahrenseinstellung geführt hatte, wurde nun am Mittwoch, mehr als sieben Jahre nach dem großen Knall und Auftakt des Wirtschaftskrimis in Villingen-Schwenningen, in Mannheim vor der Großen Wirtschaftsstrafkammer Anlauf zum Hauptverfahren genommen. Doch auch hier spielt die Verfassung von Christoph Hess eine entscheidende Rolle.

Angeklagtem ist Nervosität anzumerken

Schon nach dem Betreten des Gerichtsgebäudes im Zentrum Mannheims war dem Angeklagten seine Nervosität anzumerken – er wippte auf den Fußspitzen, zog die Mund-Nasen-Bedeckung soweit wie möglich über das Gesicht, legte vor Prozessbeginn die Fingerspitzen aneinander und spielte mit den Händen. Und selbst später im Prozess, als alle anderen ihr Konterfei frei zeigten, legte er als einziger unter den rund 30, mit dem gebotenen Abstand platzierten Personen im Saal die Gesichtsmaske nie ab.

"Wie geht es Ihnen denn?", als der Vorsitzende Richter Oliver Ratzel diese Frage an den Doppelstädter richtete, war das eine entscheidende Frage. Denn die lange Reihe von Verhandlungstagen soll mit viel Rücksicht auf den 47-Jährigen gestaltet werden. "Ich habe relativ starke Kopfschmerzen", gestand Hess dann auch. Eine verkürzte Mittagspause also kam am ersten Verhandlungstag schon mal nicht in Frage.

Die ersten beiden Stunden der Verhandlung am Vormittag hatten es auch bereits in sich gehabt: Zwei Stunden lang wurde die Anklageschrift verlesen. Auffällig dabei: Steht Christoph Hess auch als bis dahin äußerst populärer Doppelstädter und ehemaliger Gönner vieler Vereine und Institutionen für viele Beobachter des Hess-Skandals besonders im Zentrum des Geschehens, so wird in der Anklage der Name des zweiten Geschäftsführers hingegen viel häufiger genannt: Peter Ziegler.

Kaum zu überblicken

Die skizzierte Geschäftstätigkeit im Vorfeld des Börsengangs ist auch nach Aktenlage kaum zu überblicken. Das Konstrukt "Hess AG" war weit verzweigt, viele Unterarme führten zu neuen Gesellschaften, hinter welchen aber bei genauerem Hinsehen immer wieder die Namen Hess und Ziegler prangten, so autark sie auch vorgaben zu agieren. Immer wieder stießen die Ermittler im Zuge der Recherchen offenbar auf Anweisungen für Zahlungen, die der ehemalige Finanzvorstand Peter Ziegler an Mitarbeiter gegeben haben soll. Rechnungen, die mit Blick auf börsenbedingte Fristen noch vor einem bestimmten Stichtag zu stellen oder Zahlungen, die zu leisten seien. Und immer wieder dieser oder ähnliche Sätze als Fazit der Ermittler: "Die Hess AG hat somit die (...) Scheinumsätze selbst bezahlt."

Kreisgeschäfte, Scheinrechnungen, Manipulationen der Bilanzen, um die Zahlen im Vorfeld des Börsengangs für potenzielle Anleger möglichst lukrativ erscheinen zu lassen, werden dem Führungsduo vorgeworfen.

Der dritte Angeklagte, ein 63-jähriger ehemaliger Geschäftsführer einer Unterfirma der Hess AG, der sich der Beihilfe strafbar gemacht und selbst Scheinrechnungen geschrieben haben soll, spielte an diesem ersten Verhandlungstag nur eine Nebenrolle. Hess und Ziegler aber haben nach Ansicht der Staatsanwälte Uwe Siegrist und Christina Arnold "spätestens im November 2011" den Beschluss gefasst, die Geschäfte der Hess AG "besser darzustellen", um allen voran den Großaktionär HPE, aber auch zahlreiche andere Anleger "zu blenden". Denn anders als dargestellt, scheinen die Hess-Aktien fast gar Ladenhüter gewesen zu sein – Mitte Oktober 2012 seien gerade einmal 1,8 Millionen statt der erwarteten 2,3 Millionen Aktien gezeichnet gewesen – nach Auffassung der Ermittler könnte das der Anstoß für einen weiteren Coup gewesen sein: die Idee, mit Geldern der Hess AG "im großen Stil" Aktien zu zeichnen, um ein größeres Interesse vorzuspiegeln.