Das Villinger Gaswerk im Jahr 1925, dargestellt von Guido Schreiber. Repro: Bräun Foto: Schwarzwälder Bote

Historie: Vor 145 Jahren erstes Gaslicht am alten Rathaus / Villingen erlebt 1874 ein bewegtes Jahr

Bis heute sind in der Villinger Altstadt historische Gaslampen zu bewundern. Schon kurz nach deren Installation zeigten die Betreiber ein wohl ungewollt modernes Umweltdenken.

VS-Villingen. Für die Villinger Bevölkerung begann vor 145 Jahren das Kalenderjahr 1874 wahrlich mit einer verbesserten Situation: Für die Reichspost von einst eröffnete Postverwalter Knappscheider den Schalter für Pakete und Briefpost statt wie bisher am Bahnhof in der oberen Niederen Straße (neben Deichmann).

Dies bewegte im Januar die Bürger aber wohl dennoch weniger als die bevorstehende Fasnet, wollte man doch nach dem "Franzosenkrieg 70/71" wieder mal einen Umzug mit Motivwagen zu "Wallensteins Lager" veranstalten. Und weil der Maler Otto Häßler im Kostüm eines Kapuziners mit seiner "Predigt" den Gewerbelehrer und "Fortschrittsmann" Theodor Göth, seines Zeichens Modelleur und Falkenwirt, aufs Korn genommen hatte, polterte dieser öffentlich gegen das "Strählen" als Erfindung verschiedener "Mistfinken-Hansel".

Doch Göth musste sich fast gar entschuldigen, dass "des Narros Unfug der jüngeren Generation zuzurechnen sei, solche Gemeinheiten auszuüben". Doch auch dies entwickelte sich zur "Petitesse" gegen den angestrebten Bau einer Gasfabrik, die die Stadt und die Bürger zwar wollten, die Verwaltung sich aber als Investor nicht traute und man deshalb der Stuttgarter Gas-und Wasserbau-Gesellschaft die Sache überließ.

Und während im Mai der Sozialdemokrat Schröder aus Konstanz für den Reichstags-Wahlkampf ein örtliches Lokal suchte, das man dem "Wanderprediger" versagen möge, im Mai ‘74 ein Militär-Manöver mit General Werder stattfand, der in der "Blume" logierte, und Anfang Oktober des Jahres der Verleger Förderer seine Druckerei und den Verlag des "Schwarzwälder" in der Färberstraße (später Gerberstraße) an den Rottweiler Buchdrucker Linsemann verkaufte und nach schließlich noch 20 "Ganten" (Konkurse), die die Stadt bewegten, hatten die Stuttgarter bereits das Gaswerk errichtet.

Dann kam der ersehnte 18. Oktober 1874: Zum ersten Mal erhellten 95 Gaslaternen die Innenstadt und das Alte Rathaus. Dieser "Zeuge aus der Blütezeit der Zünfte" präsentierte seine Konturen mit Gaslicht aus gleich sieben Flämmchen. Und wieder ist es der streitbare "Oberlehrer" Göth, der die Neuerung keck, herausfordernd und öffentlich begrüßt: "…möge dieser Fortschritt auch zur weiteren Erleuchtung des gesamten hiesigen Publikums beitragen".

Mit 95 Laternen und Kandelabern ließen sich also die Villinger vorerst des Nachts heimleuchten, doch bald gab es einen Gas-Beleuchtungs-Kalender, bei dem die Dauer der Gasbeleuchtung mit den Mondphasen abgeglichen wurde: mal nur teilweise und stundenweise Beleuchtung innerhalb der Stadtmauern und für drei Tage um den Vollmond gar keine. Aus heutiger Sicht wahrlich sehr nachhaltig mit dem erforderlichen Gas, und man könnte städtisch betrachtet gar von einem ehemals "historischen Klimanotstand" sprechen. "Chapeau!" den Altvorderen.

Vor mehr als 200 Jahren, am 1. April 1814, wurden die ersten Gaslaternen in London eingesetzt. Aktuell ist Berlin die "Welthauptstadt der Gasbeleuchtung", denn noch 2014 wurden 42 000 Lampen in der ganzen Stadt mit Gas betrieben, so viele wie nirgends sonst. Doch hat sich das wohl bis dato geändert, denn der Senat wollte auf nur noch etwa 3000 Stück reduzieren. Nach Berechnungen der Senatsverwaltung betragen die Energiekosten einer elektrischen Straßenleuchte drei Prozent von denen einer Gaslaterne. Ersatzteile müssten aus Indien bestellt werden, weil sie in Europa nicht mehr hergestellt werden. Und eine Laterne müsse nicht schön, sondern vor allem hell sein, so das Argument.