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Im Gespräch mit einem Landrat im Krisenmodus

Schwarzwald-Baar-Kreis. Wie geht es einem Landrat im Krisenmodus? Darüber sprachen wir mit Sven Hinterseh.

Man fragt es oft beiläufig, fast schon gleichgültig. Aber es interessiert mich und sicherlich auch unsere Leser wirklich: Wie geht es Ihnen, Herr Hinterseh?

Vielen Dank der Nachfrage. Mir geht es gut, auch meiner Familie, dafür bin ich dankbar. Und ich wünsche mir natürlich, dass es all Ihren Lesern auch gut geht und dass wir diese Krise möglichst schnell überwinden.

Hatten Sie geglaubt, eine Situation wie diese jemals erleben zu müssen?

Nein! Die Bundeskanzlerin hat ja, zurecht, wie ich finde, formuliert, dass das die größte Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg ist. Der französische Staatspräsident hat sogar eine andere Terminologie gewählt. Es ist eine riesen-, riesengroße Herausforderung und wir alle müssen nun, jeder an seiner Stelle, einen Beitrag leisten, dass wir diese Krise möglichst gut meistern und überwinden werden. Natürlich hätte ich nicht geglaubt, dass wir jemals, ausgelöst von einem Virus in allerkürzester Zeit, weltweit in eine solche Situation kommen. Das kommt einem fast ein bisschen vor wie in einem Albtraum.

Wenn Sie zurückblicken auf die letzten 14 Tage, gab es eine Entscheidung, die Ihnen am meisten abverlangt hat, und wenn ja, welche war das?

Nein, eine solche Solo-Entscheidung gab es bislang nicht. Es gab noch keine Entscheidung, die existenziell gewesen wäre. Wir sind seit mindestens 14 Tagen im Krisenmodus und haben uns natürlich auch davor schon mit diesem Thema beschäftigt. Diese Zeit war sehr dynamisch, die Situation hat sich von Tag zu Tag zugespitzt, bis es zu Entscheidungen wie Schulschließungen, der Reduzierung von sozialen Kontakten und all den Maßnahmen kam, die eingeleitet worden sind. Dafür arbeiten wir Hand in Hand insbesondere mit dem Schwarzwald-Baar-Klinikum und den niedergelassenen Ärzten über die Kassenärztliche Vereinigung zusammen. Alle sind außerordentlich motiviert und bringen vollen Einsatz. Und auch unsere vielen Rehakliniken möchte ich erwähnen, die alles tun, um den Akutbereich bestmöglich zu entlasten, und so neue Kapazitäten schaffen.

Grenzen sind für manche schon erreicht. Dennoch müssen sich die Bürger doch sicherlich auf noch weitere Verordnungen einstellen. Gibt es dennoch berechtigten Grund zur Zuversicht?

Natürlich hat man immer Grund zur Zuversicht, das ist völlig klar! Ich will das auch ein bisschen zurechtrücken: Wenn der eine oder andere sagt, die Grenze ist schon erreicht, dann mag das bei einigen mit dem individuellen Freiheitsdrang zu tun haben oder auch mit wirtschaftlichen Auswirkungen. Aber was die Gesundheit der Bevölkerung insgesamt angeht, stehen wir erst am Beginn eines Ereignisses.

Was glauben Sie, können Einzelne beitragen, um dieses Ereignis abzumildern?

An dieser Stelle muss ich natürlich auf das Robert-Koch-Institut verweisen und bitten, die Sozialkontakte zu reduzieren. Vor allem sollten aber auch Ältere und Vorerkrankte ganz massiv auf ihren eigenen Schutz achten und Hilfesysteme in Anspruch nehmen, Einkaufsservices zum Beispiel. Sie müssen ihre Sozialkontakte massiv herunterfahren, um diese, aktuell vielleicht noch abstrakte Gefahr zu reduzieren, die sich sonst unter Umständen auch sehr schnell konkretisieren kann.

Bund, Land, Region und Kommune, alle sichern zu, Bürger und Unternehmen in der Krise besonders zu unterstützen. Lässt sich so eine Pleitewelle abwenden?

Das hoffe ich sehr! Und das muss auch gelingen! Es gibt ja Volkswirtschaftler, die sagen, wir könnten im April/Mai, wenn die Zahlen es hergeben, vielleicht schon erste Lockerungen erreichen, und dass dann auch die Wirtschaft wieder beginnt, sich langsam zu erholen. Ich hoffe, dass wir in einem solchen Fall eine Dynamik erleben, so dass gegen Ende des Jahres in einem Rückblick gesagt werden kann, ›es kam dann doch nicht so schlimm, wie wir es heute, Ende März, befürchtet hatten. Aber letztlich ist das natürlich eine Hoffnung. Ich glaube, erkennen zu können, dass Bund, Länder, aber auch die Europäische Union wirklich alles mögliche versuchen, dass diese Pleitewelle abgewendet werden kann.

Und was bedeutet all das für den Landkreis – müssen nun längst geplante, kalkulierte und beschlossene Projekte vielleicht doch noch abgeblasen werden?

Das schließe ich natürlich nicht aus. Wir haben einige Projekte einfach mal auf Eis gelegt, die Pause-Taste gedrückt. So etwas geht natürlich auch an einem Landkreis und seinen Projekten nicht spurlos vorbei. Aber es wäre jetzt viel zu früh, am Beginn dieser Phase, jetzt schon zu spekulieren, was da noch alles kommen kann. Für mich steht außer Frage, dass das auch auf unsere Kommunalpolitik Auswirkungen haben wird.

Erlauben Sie uns bitte einen Blick in Ihr Privatleben: Wie hat das Coronavirus den Alltag bei Familie Hinterseh verändert?

So wie bei vielen Familien: die Kinder, die normalerweise morgens aus dem Haus gehen, sind zu Hause. Und Mama und Papa – ehrlicherweise die Mama mehr als der Papa – versuchen mitzuhelfen, dass die Schulaufgaben, die ja übers Internet und andere webbasierte Anwendungen kommen, erledigt werden können. Unser Ältester bereitet sich gerade auf das Abitur vor. Ansonsten haben wir einen eingeschränkten Alltag, so wie andere Familien auch.

Und was nehmen Sie – nachhaltig – aus dieser Ausnahmesituation mit?

Dass wir demütig sein müssen! Keiner hätte sich vorstellen können, dass in der Kürze der Zeit ein Virus solche Auswirkungen auf unsere Welt haben kann. Ich glaube schon, dass wir als Gesellschaft uns vielleicht ein bisschen zu mächtig gefühlt haben. Uns ging es wirtschaftlich gut, wir waren schon sehr selbstbewusst, dachten, nichts kann uns etwas anhaben. Nun sieht man, wie fragil, wie verletzbar so etwas ist. Wir haben vorhin über wirtschaftliche Situationen gesprochen – alles hängt mit allem zusammen. Das macht einen nicht nur nachdenklich, sondern auch demütig.

Vielen Dank, Herr Hinterseh, und: Bleiben Sie gesund!   Die Fragen stellte Cornelia Spitz