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Mehrheit der Gemeinderäte entzieht sich der namentlichen Abstimmung / Streit im Gremium um Rückgrat der Mandatsträger

Muss ein Gemeinderat eigentlich bereit sein, mit seinem Namen im Protokoll einer Gemeinderatssitzung für seine Entscheidung einzustehen? Und ist ein Feigling, wer das nicht möchte? Diese Diskussion treibt den Gemeinderat um, seit einer die anderen "Feiglinge" nannte.

Villingen-Schwenningen. "Dann ist der Beschluss bei einigen Enthaltungen mehrheitlich angenommen", so oder so ähnlich formulieren es Oberbürgermeister Rupert Kubon oder Bürgermeister Detlev Bührer in der Regel, wenn ein Mehrheitsbeschluss in einer Gemeinderatsdebatte ergangen ist. Doch wenn eine Entscheidung auf der Kippe steht und von ihr viel abhängt, kommt es immer wieder vor, dass aus dem Gremium heraus eine so genannte namentliche Abstimmung gefordert wird. Soll heißen: Dann wird auch im Protokoll für die Nachwelt namentlich festgehalten, welcher Stadtrat für oder wider eine Sache gestimmt hat.

Der SPD-Gemeinderat Bernd Lohmiller beantragte eine solche Art der Abstimmung am Mittwoch bei der Debatte um die Sanierung der Schwenninger Curling-Eisfläche. Schließlich war klar: Wenn die Bahn nicht saniert wird, muss der Curling-Club wohl sterben. Es folgte die Abstimmung über die Art der Abstimmung und sie endete mit einer Vielzahl von Gegenstimmen – die beantragte namentliche Abstimmung war damit klar abgelehnt.

Doch einem Gemeinderat platzte der Kragen. "Feiglinge!", rutschte es deutlich hörbar aus ihm heraus. So laut, dass es auch gegenüber im Lager der CDU, wo viele Gegner der namentlichen Abstimmung saßen, gehört worden ist. Dort fühlte sich offenbar der Christdemokrat Klaus Martin angegriffen und reagierte seinerseits lautstark und emotionsgeladen: "Das hat nichts mit Feigling zu tun! Wir sitzen hier alle in einer öffentlichen Gemeinderatssitzung, jeder kann sehen, wie wir abstimmen!"

Das kurze Intermezzo ist verhallt, die Diskussion bleibt: Muss von Mandatsträgern erwartet werden können, dass sie zur namentlichen Abstimmung bereit sind? Für Bernd Lohmiller, der die namentliche Abstimmung beantragt hatte, ist das im Falle von brisanten Entscheidungen wie beim Curling-Club, wo unklar war, "ob es für die Sanierung der Curling-Halle eine Mehrheit geben würde", offenbar so. Der Feigling-Rufer aber war er nicht.

Und auch für Dirk Caroli (FDP), der in derselben Ecke sitzt und sehr deutlich für die namentliche Abstimmung votierte, ist klar: "Eine solche Abstimmung müsste wirklich namentlich und öffentlich sein", sagte er im Gespräch mit dem Schwarzwälder Boten. Es habe sich zwischenzeitlich "eingebürgert, dass sich viele Räte enthalten, um am Ende nicht schuld zu sein", erklärt er seine Haltung. Sicherlich könne man mal falsch entscheiden, "das ist menschlich", aber man muss sich entscheiden, meint Caroli. Optimal wäre in seinen Augen die elektronische Abstimmung. Doch die ist nach einer Pannenserie mit fehlerhaften Ergebnissen und noch laufender Fehlersuche bei der Stadtverwaltung Villingen-Schwenningen ja erstmal auf Eis gelegt (wir berichteten).

Nach der Sitzung am Mittwoch trieb eine Frage viele Gemeinderäte um: Wer war es, der die Gegner der namentlichen Abstimmung als "Feiglinge" beschimpfte? Bei der Recherche des Schwarzwälder Boten verwahrten sich viele Gemeinderäte gegen den Verdacht, sprachen gar von "Unterstellungen", wenn man bei ihnen anklopfte, ob sie der Feigling-Rufer gewesen seien, und wollten den wahren Urheber keineswegs enttarnen.

Doch der gab sich bei direkter Ansprache durch unsere Redaktion dann ganz frei und ungeniert zu erkennen: Edgar Schurr, der Fraktionssprecher der SPD war’s.

"Das Wort Feigling war meinerseits eine emotionale Äußerung, da ich mich darüber ärgerte, dass die Mehrheit, was ich als Demokrat akzeptierte, offensichtlich namentlich nicht zu ihrer Entscheidung stehen wollte", erklärt der Sozialdemokrat unserer Zeitung. Für ihn ist klar, warum die namentliche Abstimmung so wichtig ist: Dann ist im Protokoll jederzeit zu entnehmen, welcher Gemeinderat tatsächlich für oder gegen etwas abgestimmt hat". Und das wiederum sei für die Nachwelt "unter Umständen nicht uninteressant und jederzeit belegbar."

Es ist schon verwunderlich, dass sich die Mehrheit der Gemeinderäte gegen die namentliche Abstimmung entschieden hat. Sie alle hatten einmal den großen Mut, sich in einer Kommunalwahl dem Votum der Bürger zu stellen. Sie gingen mit Ideen, Vorstellungen und Zielen in den Wahlkampf und wollten für diese im Gemeinderat einstehen. Nun sitzen sie da, mitten im Gremium, und sollen mit ihrem Namen für ihre Entscheidung einstehen. Und plötzlich ist nichts mehr übrig von der einst im Wahlkampf gezeigten Courage? Wo ist sie hin? Natürlich lässt sich darüber streiten, ob eine hier üblicherweise langwierige namentliche Abstimmung in einer ohnehin fast fünfstündigen Gemeinderatssitzung noch sein muss. Sich als von Bürgern gewählter Mandatsträger einer namentlichen Abstimmung aber zu entziehen, zeugt nicht von Rückgrat!