Derzeit wird viel darüber diskutiert, ob eine bessere Videoüberwachung an öffentlichen Plätzen dabei hilft, Straftaten oder gar Terrorakte zu verhindern. Eine Studie von Schweizer Wissenschaftlern hat Erstaunliches dazu beigetragen.
Zürich - Wachsam sein – so lautet die Devise für Reisende, die am Bahnsteig auf ihren Zug warten: Gepäckdiebe greifen oft aus einer Menschenmenge heraus zu und verschwinden mit der Beute sofort wieder in ihr. Das macht es schwer für Polizisten, sie zu fangen. Die Ordnungskräfte hätten bessere Chancen, wenn sie die Gauner in spe wenigstens ein paar Sekunden vor der Tat erkennen würden. Nun kann man nicht alle paar Meter einen Aufpasser postieren. Aber vielleicht lässt sich die Vorbereitung der Straftat ja auf dem Bild einer der Überwachungskameras entdecken, wie sie zahlreich an öffentlichen Orten installiert sind. Ob das geht und wer es kann, hat die Psychologin Corinne Koller von der Universität Zürich untersucht – im Rahmen eines Forschungsprojekts mit der Kantonspolizei Zürich, das ihre Kollegin Franziska Hofer leitet.
Polizisten mit gar keiner und viel Erfahrung wurden getestet
Das Forscherteam suchte zwölf bis zu zwei Minuten lange Aufzeichnungen von Überwachungskameras des Flughafens Zürich aus. Sie zeigten den Abfertigungsbereich oder das Shoppingcenter mit Hunderten von Menschen. Unter ihnen befanden sich 23 verschiedene Diebe, die einzeln oder in Gruppen auf Beutezug waren. 315 Freiwillige mit unterschiedlicher polizeilicher Vorerfahrung sollten sie auf den Videos ausmachen, bevor sie zuschlugen.
Alle Videos endeten einen Moment bevor die Diebe lange Finger machten. Das Ergebnis: Waren die Polizisten ganz am Anfang ihrer Ausbildung, tippten sie wild auf irgendwelche Personen. Doch schon nach einem Jahr Training entlarvten Polizisten jeden dritten Dieb. Die erfahreneren Kräfte lagen noch besser. Lief die Aufzeichnung noch etwas weiter, holten die Gruppen mit wenig bis gar keiner praktischen Polizeierfahrung auf. Am Schluss erkannten sie jeden zweiten Kriminellen vor der Tat. Corinne Koller vom Forscherteam war überrascht, dass selbst die Laien im Vergleich zu den erfahrenen Kräften gar nicht so schlecht abschnitten.
Woran lassen sich Gepäckdiebe und Terroristen schon vor der Tat erkennen?
Woran aber erkennen die Spezialisten und bis zu einem gewissen Grad sogar die Laien die Täter schon vor der Tat? Als die Forscher die Beamten befragten, stellte sich heraus: Die erfahrenen Kräfte wissen zumindest unbewusst ein Stück weit, wie ihre kriminellen Kunden vorgehen. Das wollte das Team an Schweizer Wissenschaftlern weiter untersuchen: Wieder wurden Videos von Gepäckdieben den Probanten vorgeführt. Diesmal ging es aber auch um die Frage, ob sich womöglich sogar Terroristen erkennen lassen, bevor sie zuschlagen. Dazu bekamen Sicherheitsleute den Auftrag, an Bahnhöfen und Shoppingcentern eine Pseudobombe so zu deponieren, dass sie im Ernstfall möglichst viele Menschen töten würde. Natürlich kann man nicht sicher sein, dass sie sich wie wirkliche Terroristen verhielten. Andererseits verfügen zumindest selbst radikalisierte Täter ebenfalls über keine Ausbildung und einschlägige Vorerfahrungen. Die falschen Terroristen wurden gefilmt. Zum Vergleich mussten sie auf den Überwachungsvideos einen Mann mit grüner Schultertasche suchen. Denn es mag ja einfach sein, Kriminelle bei der Tatvorbereitung und müßig Herumschlendernde auseinanderzuhalten. Sicherheitskräfte müssen Täter aber auch von denen unterscheiden, die einen anderen, harmlosen Plan verfolgen.
Typische Kennzeichen: Bewegungen, Geschwindigkeit, Blickwinkel
Bei der Auswertung der Videos zeigten sich tatsächlich einige Auffälligkeiten. Sie entlarven noch niemanden als gefährlich, aber sie geben Sicherheitsleuten Hinweise, worauf sie achten können: Gepäckdiebe verändern ihre Position öfter als Passanten und vielleicht auch als unschuldig Suchende, die Terroristen dagegen verlassen seltener ihren Platz. Außerdem ändern Diebe ihre Richtung sowie ihre Geschwindigkeit häufiger und machen mehr Kopfbewegungen als Unschuldige, während Menschen auf der Suche nach dem idealen Versteck für eine Bombe sich wesentlich unauffälliger umschauten.
Die Forscher überprüften auch, ob die Terroristen besonders viele nervöse Verhaltensweisen zeigen, wie Kriminalisten es in Gesprächen behaupteten. Das bestätigte sich nur teilweise. Während der Suche nach einem guten Ort für eine Bombe fuhren sich die Gefilmten nicht öfter mit der Hand übers Gesicht oder ihren Körper und sogar besonders selten durchs Haar. Vielleicht unterdrückten sie solche Gesten der Aufregung, gerade weil sie sogar Laien als verdächtig gelten. Dafür vergaßen sie aber, andere auffällige Verhaltensweisen zu kontrollieren: Sie spielten verdächtig viel mit Gegenständen herum, etwa ihrem Smartphone.
Auch bei der Prävention vor Terrorakte kann eine Videoüberwachung hilfreich sein
Möglicherweise lassen sich auch echte Terroristen mit einer gewissen Treffsicherheit aus der Menge herauspicken, etwa wenn sie schon vor der Tat das Gelände sondieren. „Wir glauben, dass wir das erkennen können“, sagt Corinne Koller. Allerdings wird dazu noch Forschung nötig sein. Das von der Kantonspolizei Zürich und dem Bundesamt für Zivilluftfahrt finanzierte Projekt des Schweizer Forschungsteams allerdings läuft aus, und die Suche nach neuen Geldgebern gestaltet sich schwierig.
Private Überwachung – Was ist erlaubt?
Was darf überwacht werden? Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass private Videokameras öffentliche und fremde private Flächen nicht erfassen dürfen (Az.: V ZR 265/10). Das gilt auch für einen gemeinsam mit anderen genutzten Zugang zum eigenen Grundstück. Denn die Beobachtung verletzt Betroffene in ihrem Persönlichkeitsrecht. Jeder soll selbst bestimmen können, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über ihn weiß. Das Interesse am Kamerabetrieb muss also sehr wichtig sein, damit es stärker wiegt. Ein Beispiel wäre ein nicht anders abwendbarer und schwerwiegender Angriff.
Wie darf überwacht werden? Nicht erlaubt sind Kameras, die man mit einer Fernsteuerung unbemerkt aufs Nachbargrundstück oder auf den öffentlichen Raum richten kann. Problematisch sind auch Kameras mit einer blickdichten Abdeckung. Grund dafür ist der weitreichende Persönlichkeitsrechtsschutz. Das bedeutet: Bereits den Verdacht, beobachtet zu werden, muss niemand hinnehmen. Auch Veränderungen bei der Kameraausrichtung müssen Außenstehende immer erkennen können. Ob man tatsächlich aufgezeichnet oder jemand unmittelbar am Bildschirm beobachtet wird, spielt dabei keine Rolle. Denn die Gerichte bewerten den Überwachungsdruck in beiden Fällen gleich. Das gilt im Übrigen auch für Kamera-attrappen, deren Funktionsfähigkeit Betroffene nicht erkennen können.
Wozu darf überwacht werden? Jeder darf seinen eigenen Grund und Boden auch überwachen. Davon Betroffene müssen aber erkennen können, dass sie ein Grundstück nicht einfach so betreten dürfen. Wer filmt, muss also eine erkennbare Absperrung oder entsprechende Hinweise für Außenstehende anbringen.