14 Menschen aus fünf Nationen mit unterschiedlichsten Muttersprachen haben seit gut eineinhalb Jahren ein gemeinsames großes Ziel: Deutsch zu lernen, sich zu integrieren und später auch eine Arbeit in der neuen Heimat zu finden. Ein Besuch beim Alphabetisierungskurs der VHS in Nagold.
Doch im VHS-Alphabetisierungskurs, kurz Alphakurs genannt, geht es für die Teilnehmenden nicht nur darum, Deutschkenntnisse bis zum europaweit standardisierten Niveau A2/B1 zu erreichen, sondern die meisten von ihnen haben auch in ihren Herkunftsländern oder Muttersprachen weder lesen noch schreiben gelernt.
So bedeutet der im Herbst 2023 begonnene, auf 12 Module à 100 Unterrichtsstunden angelegte Kurs nicht nur für Kursleiter Frank Müller eine große Herausforderung, sondern ganz besonders für die Teilnehmenden, die in Nagold, aber auch umliegenden Gemeinden wohnen.
Prüfung für das A1-Niveau abgelegt
Suzan und Semir aus Syrien, Hayattullah aus Afghanistan, Oleksandr und Olga aus der Ukraine haben zusammen mit ihren Kurskollegen vor kurzem die Prüfung für das A1-Niveau abgelegt, das heißt „bewiesen“, dass sie sich auf Deutsch in einfachen Sätzen über vertraute Themen äußern, grundlegende Informationen verstehen und Standardformulare ausfüllen können.
Im Gespräch mit den Teilnehmenden wird die hohe Wertschätzung für ihren Kursleiter deutlich, aber ebenso, wie weit für jede und jeden einzelnen der bisherige Weg war - und noch sein wird - von der Muttersprache Arabisch, Ukrainisch, Kurdisch, Pashto oder Dari zum Lesen, Schreiben und Verstehen der völlig neuen Sprache Deutsch.
In den Heimatländern gibt es oft mehrere Sprachen
Latifa aus Afghanistan erklärt, dass es in ihrem seit Jahrzehnten gebeutelten Heimatland sogar 18 Sprachen gebe. Offiziell sind allerdings Pashto, Dari (oder Farsi) neben Usbekisch und Turkmenisch die Amtssprachen. Mamadou aus Guinea spricht die Ortssprachen Fula und Malinke, versteht aber auch Französisch.
Und der gebürtige Togolese Mohammed beherrscht neben der Amtssprache Französisch ebenso Haussa und andere in seinem Ursprungsland geläufige Sprachen. Seine aktuelle Situation ist zwiespältig, erläutert er mit Hilfe des Kursleiters: Zum einen soll er sich laut Jobcenter um Arbeit bemühen - und hat deshalb kürzlich zum allerersten Mal seit Kursbeginn zwei Tage gefehlt -, zum anderen gilt seine Duldung wiederholt nur wenige Monate, was potenzielle Arbeitgeber zögern oder eine Bewerbung ablehnen lässt: eine Zwickmühle. Madima und Latifa aus Afghanistan eint die Erfahrung, dass Frauen in ihrem Herkunftsland der Zugang zu Bildung, auch aus Traditionen heraus, meist verwehrt bleibt.
Ethnologe und Religionswissenschaftler
Und die syrischen Kursteilnehmenden wie Elif, Ibrahim, Ziyad oder Amin, die im Alphakurs gemeinsam mit den anderen drei Tage in der Woche um Akkusativ, Dativ, die Präpositionen oder Verbformen im Deutschen kämpfen, verbindet, dass ihnen als Kurden in ihrem Herkunftsland als so genannte Minderheit sogar der Umgang mit der eigenen Sprache verweigert wurde und somit auch die Schulbildung.
Weil sich der studierte Ethnologe und Religionswissenschaftler Frank Müller, seit rund 20 Jahren Deutsch unterrichtend, durch besondere Qualifikationen und weitere Prüfungen für Alphabetisierungskurse spezialisiert hat, ist er aktuell in Nagold der einzige, der „Alphakurse“ unterrichtet – die Warteliste potenzieller Teilnehmer ist derzeit lang.
Die Warteliste ist lang
„So ein Kurs“, meint Frank Müller, „bedeutet eben lange Bindung und Kontinuität, denn es heißt, die Menschen etwa zweieinhalb Jahre zu begleiten.“ Andererseits schätzt er an seiner Arbeit, dass er mit „seiner“ Klasse weiterwachsen und immer wieder neue Fortschritte bei den Teilnehmenden sehen darf.
Nach dem Ende der zwölf Module für den „Alphakurs“ im Frühjahr 2026 wird noch ein weiteres draufgesetzt, nämlich der Orientierungskurs Politik, Kultur, Geschichte, ehe die Teilnehmenden dann - übrigens unter gleichen Bedingungen wie Teilnehmende regulärer Integrationskurse - ihre Prüfung angehen werden.
Drei intensive Kurstage à vier Zeitstunden pro Woche und dann Feierabend? „Nein“, meint Elif lachend, „wir haben immer Hausaufgaben, und wir wollen weiterlernen“.