VfB-Trainer Bruno Labbadia ärgert sich darüber, als Mahner oder Bremser dargestellt zu werden. Worüber er sich noch ärgert - oder freut? Klicken Sie sich durch unsere Bildergalerie. Foto: Pressefoto Baumann

Zuletzt gab es Irritationen, ob Bruno Labbadia bereit ist, die Aufbruchstimmung beim VfB Stuttgart zu teilen. „Ein Trainer hat das Recht zu sagen: So sieht es aus. Realismus ist keine schlechte Eigenschaft für einen Trainer“, sagt er im großen StN-Interview.

Stuttgart - Zuletzt gab es Irritationen, ob Bruno Labbadia bereit ist, die Aufbruchstimmung beim VfB Stuttgart zu teilen. „Ein Trainer hat das Recht zu sagen: So sieht es aus. Realismus ist keine schlechte Eigenschaft für einen Trainer“, sagt er.

Herr Labbadia, Stuttgart ist zurzeit ein heißes Pflaster. Wie sehr beeinträchtigt die Hitze Ihre Trainingsarbeit?
Bei intensiven Spielformen machen sich die hohen Temperaturen schon bemerkbar. Da musst du reduzieren und den Spielern immer wieder Pausen geben. Es kostet bestimmt 30 Prozent mehr Substanz, um den gleichen Effekt zu erzielen wie bei normalem Wetter. Aber da müssen wir durch.
Wo steht die Mannschaft zum Bundesligastart?
Wir sind wahrscheinlich noch nicht bei 100 Prozent, sonst hätten wir die Belastung eine Woche früher drosseln müssen. Das konnten wir uns aber nicht erlauben, weil wir auch die gesamte Vorrunde im Blick haben müssen. Mit vier Wochen war die Vorbereitung ohnehin sehr kurz. Ich habe aber das Gefühl, dass wir gut im Plan liegen. Und ich bin zuversichtlich, dass wir eine richtig gute Saison spielen werden.
Spielerisch lag bei den Auftritten in der Europa League und im DFB-Pokal manches im Argen.
Schauen Sie, im Pokal sind vier Bundesligisten ausgeschieden, viele gute Mannschaften haben sich richtig schwer getan. Wir reden nicht alles schön. Wir wissen, wie die Verfassung unserer Spieler derzeit ist.
Wie denn?
Zum Beispiel fehlen Cacau nach seiner langen Verletzungspause einige Prozent an Spritzigkeit, trotzdem hat er eine gute Vorbereitung gemacht. Gotoku Sakai stieg als Letzter ein, ihn mussten wir heranführen, Arthur Boka zuletzt etwas herausnehmen. Konstantin Rausch und Mohammed Abdellaoue müssen sich an die Intensität und an unsere Spielweise gewöhnen, Moritz Leitner fehlt es noch an Spielpraxis.
Der VfB hat im Sommer nur für Mohammed Abdellaoue eine Ablöse gezahlt. Aber gerade er sitzt nun auf der Bank.
Er hat im Trainingslager ein paar Tage gefehlt, zurzeit sind andere weiter vorn. Das ist aber nur eine Momentaufnahme. Wir haben den Kader jetzt endlich so verstärkt, wie es für den VfB Normalität sein sollte. Jetzt müssen wir von der Denkweise wegkommen, dass wir elf Stammspieler haben. Das ist ein Umdenken, das momentan in der ganzen Bundesliga zu beobachten ist. Das sollte eine Selbstverständlichkeit werden.

„Ich habe die höchsten Ansprüche beim VfB“

Sportdirektor Fredi Bobic hat hohe Saisonziele genannt, Präsident Bernd Wahler weckt hohe Erwartungen, die Fans sind froh über die Aufbruchstimmung. Nur bei ihnen klingt das etwas anders.
Ein Verein ist doch immer irgendwie im Aufbruch. Wir haben keine unterschiedlichen Zielsetzungen, schon gar keine konträren. Ich will ja selbst in die Situation kommen, dass ich meine eigenen Ansprüche umsetzen kann. Aber man muss mir das Recht schon zubilligen, dass ich manche Dinge anspreche, die ich sehe.
Sie klingen aber wie ein Mahner – als wollten Sie die Ansprüche des Vereins nicht teilen.
Man kann Dinge so oder so interpretieren. Ich habe keine Angst vor zu hohen Erwartungen, ganz im Gegenteil: Ich habe doch die höchsten Ansprüche beim VfB. Die Ansprüche können nie hoch genug sein, sie sollten aber der tatsächlichen Situation angepasst sein.
Gut, Sie mussten zweieinhalb Jahre Zugeständnisse machen. Aber was hindert Sie jetzt daran?
(Lacht süffisant) Da fällt mir der Abend ein, als mich Jürgen Klopp (Trainer von Borussia Dortmund, Anm. d Red.) angerufen und mir gesagt hat, dass er Julian Schieber gerne verpflichten würde. Sie können sich vorstellen, dass ich mich darüber nicht gefreut habe. Von dieser Art gab es in den vergangenen zweieinhalb Jahren viele Dinge, die ich hinnehmen musste, weil die Rahmenbedingungen des Vereins so vorgegeben waren. Wir konnten einige Verpflichtungen, die wir gerne getätigt hätten, aus den genannten Gründen nicht umsetzen.
Trotzdem, Bernd Wahler sagt: Um Platz sechs zu erreichen, muss man Platz fünf anpeilen.
Das ist doch gut, dass er das sagt.
Sie erwidern aber: Wir haben doch nicht Messi verpflichtet.
Weil ich die Dinge einordnen muss. Damit aber keine Missverständnisse entstehen: Ich freue mich über die Neuzugänge. Ich stehe zu jedem einzelnen. Wir haben gut agiert als Verein. Aber das haben die Vereine, die die gleichen Ambitionen haben wie wir, auch.
Warum kommt es dann bei Ihnen anders herüber?
Die Menschen sind unterschiedlich. Vielleicht bin ich tatsächlich zu defensiv in der Öffentlichkeit. Vielleicht ist das ein Fehler. Aber ein Trainer hat das Recht zu sagen: So sieht es aus. Und Realismus ist keine schlechte Eigenschaft für einen Trainer.

„Ich trage auch die Euphorie“

Sie fühlen sich nicht korrekt beurteilt?
Es ärgert mich natürlich, dass ich als Mahner und als Bremser dargestellt werde. Das sehe ich anders. Ich bin zweieinhalb Jahre beim VfB alles mitgegangen. Haben sie je gehört, dass ich Forderungen an den Verein gestellt habe? Ich habe alles hingenommen ohne Murren. Deswegen bremse ich auch nichts.
Wie sehen Sie sich in der Außenwahrnehmung, wie sehen Sie ihre Rolle in der Öffentlichkeit?
Ich habe manchmal das Gefühl, man sieht das so: Hier ist der Verein, und dort ist der Trainer. Dabei habe ich bewiesen, dass ich absolut loyal zum Verein stehe und alles mittrage. Keine Sorge: Ich trage auch die Euphorie. Aber das ist kein Automatismus, den man verordnet. Was die vergangene Bundesligasaison angeht, gebe ich den Kritikern Recht. Die Saison zuvor haben wir ja teilweise begeisternden Fußball gespielt. Und glauben sie mir: Ich würde gerne voll im oberen Drittel der Tabelle mitspielen.
Aus Ihren Aussagen klingt viel Frust raus.
Nein, aber ich habe mir zuletzt Gedanken gemacht. Ich habe doch meinen Vertrag im Winter verlängert, weil ich die Früchte unserer Arbeit ernten will, von der wir überzeugt sind.
Hören wir da eine gewisse Amtsmüdigkeit heraus?
Nein, auf keinen Fall. Ich freue mich auf die neue Saison. Ich habe auch hier schon gesagt, dass ich überzeugt bin, dass wir eine geile Saison spielen.
Aber Sie empfinden es so, als müssten Sie Übermenschliches leisten und bringen.
Übermenschliches? Nein, das ist ein Kampf, den man jeden Tag führen muss. Aber eigentlich bin ich entspannt. Manchmal kommt bei mir nur der Gerechtigkeitsfanatiker durch.
Wie können wir Ihre Stimmung ein wenig aufhellen? Indem wir über Timo Werner sprechen, der mit 17 Jahren gute Ansätze zeigt?
Sie brauchen meine Stimmung nicht aufzuhellen, da meine Vorfreude auf die Saison schon sehr groß ist. Timo hat eine sehr ordentliche Vorbereitung gemacht, er hat die Gunst der Stunde genutzt. Wir hatten schon im Winter daran gedacht, ihn zu den Profis hochzuholen. Da hätte er aber noch nicht spielen dürfen, weil er zu jung war. Ein Profi muss laut Statuten so alt sein, dass er mindestens im ersten Jahr bei der U 19 spielen könnte.

William Kvist muss wieder Gas geben“

Vergangene Saison standen sie in der Kritik, weil Sie nach dem Geschmack vieler Fans zu selten auf die Talente gesetzt haben. Spüren Sie jetzt dank Werner Genugtuung?
Ich brauche keine Genugtuung. Diese Diskussion ging in die falsche Richtung. In Raphael Holzhauser und Antonio Rüdiger haben bei uns zwei 19-Jährige gespielt, und zwar regelmäßig. Das ist eine Top-Ausbeute. Aber mit der Geduld wird es immer schwerer, auch bei den Spielern selbst. Schauen Sie Thiago (Neuzugang des FC Bayern) an. Wo kommt der her: aus der B-Mannschaft des FC Barcelona. Mit 23 Jahren! Generell würde wahrscheinlich kein Talent dieser Art mehr in der U 23 spielen, weil vor allem die Geduld nicht mehr vorhanden ist. Da reicht es anscheinend schon nicht, wenn ein 19-Jähriger 27 oder 28 Spiele bei den Profis bestreitet.
Sie sagten damals, ein Talent müsse besser sein als ein etablierter Spieler.
Ich habe gesagt, ein Junger darf nicht nur ein- oder zweimal besser sein als ein älterer Spieler. Die Jungen erhalten kaum noch Zeit zum Wachsen. Sie machen ein paar Spiele, und man wähnt sie bereits auf der Höhe eines Topspielers. Aber das Training bei den Profis ist auch eine Schule für die Jungen. Als Profi muss man sich wehren und gegen Widerstände ankämpfen können. Das müssen sie in jungen Jahren lernen, und es wird ihnen in ihrer Karriere weiterhelfen. Und man muss sich in einem Kader, wie auch im normalen Berufsleben, seine Sporen verdienen. Aber junge Spieler heranzuführen reicht oftmals nicht mehr.
Und dagegen wehren Sie sich?
Schauen Sie, Timo Werner hatte im Testspiel gegen Piräus seinen schlechtesten Tag in der ganzen Vorbereitung. Das war unser Härtetest vor dem wichtigen Europa-League-Hinspiel, und trotzdem haben wir ihm gegen Plovdiv von Anfang an das Vertrauen geschenkt, weil er es sich verdient hat. Ich würde mir wünschen, dass man mehr Vertrauen in unsere Beobachtungsgabe hat, da wir die Spieler jeden Tag sehen.
Sie bauen weiter auf Timo Werner?
Ich freue mich, mit ihm zu arbeiten. Er macht nächstes Jahr sein Abitur. Wir müssen beobachten, wie er beides in Einklang bringt. Da hat die Schule Vorrang, das ist mit ihm so besprochen.
William Kvist ist nur noch ein Mitläufer. Bekommen Sie ihn noch mal in die Verfassung, in der er in seiner Anfangszeit war?
Unsere Mannschaft und unser Spiel haben sich entwickelt, und einige haben ihn auch überholt. Jetzt muss er versuchen, sich wieder heranzukämpfen. Er verhält sich vorbildlich und gibt im Training Gas.
Müssen wir uns Sorgen um Sven Ulreich machen? Gegen Plovdiv hat er das 1:1 verschuldet, indem er den Ball in die Mitte abgewehrt hat. Das ist man von ihm nicht mehr gewohnt. Und im Pokal hatte er einen bösen Querschläger drin.
Er hat gegen Plovdiv bis auf die eine Aktion ein sehr gutes Spiel gemacht. Über den Pass hat Ulle hinterher gesagt: Trainer, Sie wollen doch immer, das wir das Spiel von hinten heraus aufbauen, Das fand ich gut (lacht).