Fans des VfB Stuttgart beim Heimspiel gegen den FC Bayern München Foto: Baumann

Stuttgarter Anhänger fallen zuletzt vermehrt negativ auf. Der Fanbeauftragte des VfB sieht Einzelfälle, die Polizei eine sorgenvolle Tendenz. Ein Zustandsbericht.

Den Fans des VfB Stuttgart eilt ein prima Ruf voraus. Stimmungsvolle Kurve, farbenfrohe Choreografien, stets ein volles Stadion, starker Auswärtssupport. Böse Zungen behaupten gar, die Anhänger seien das Beste, was der VfB seit Jahren zu bieten hat.

 

Doch das Bild bekommt Risse. In dieser Saison tauchen die Anhänger der Weiß-Roten häufiger im Polizeibericht auf, als der VfB auswärts punktet. Jüngstes Beispiel: Die dritte Halbzeit beim Spiel in Frankfurt (1:1). Auf der Heimfahrt lieferten sich rund 100 Fans eine Auseinandersetzung, als sie einen Sonderzug kurz hinter Frankfurt per Notbremse zum Stillstand brachten. Auf offener Strecke begaben sie sich in den Nahkampf mit Anhängern der Eintracht. Zweitrangig, von wem der Konflikt ausging, er hat auf jeden Fall eine neue Dimension. Wenn auch die Bundespolizei immerhin berichten konnte: Schwerverletzte gab es keine.

Auch nach der 1:2-Niederlage in Freiburg Anfang Februar waren Stuttgarter Anhänger auffällig geworden. Die Polizei ermittelt nach Flaschenwürfen gegen 20 Fans wegen schwerer Körperverletzung und Hausfriedensbruch. Im November in Dortmund wurden 300 Fans in einer Kneipe wegen des Vorwurfs der „Passivbewaffnung“ festgesetzt und noch vor dem Anpfiff wieder auf die Heimreise geschickt.

„Nehmen Gewalt nicht nur in Kauf, sondern suchen sie gezielt“

Die Frage drängt sich auf: Was ist da eigentlich los? Und, noch wichtiger: Hat der VfB Stuttgart ein Fanproblem?

Mit Zahlen belegen lässt sich der Verdacht nicht. Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) führt nur Strafen auf, die im Wesentlichen auf das Abbrennen von Feuerwerkskörpern zurückzuführen sind. Rund 30 000 Euro musste der VfB in der bisherigen Saison bezahlen, die jüngste Pyroshow gegen den FC Bayern noch nicht eingerechnet. Damit bewegt man sich im Mittelfeld. Zum Vergleich: Eintracht Frankfurt mit seinen selbst zum „Randalemeister“ ernannten Fans musste seit Saisonbeginn das Zehnfache bezahlen.

Vorfälle von Gewalt tauchen in keiner DFB-Statistik auf, weil sie sich meist außerhalb des Spielortes zutragen. Auch die Polizei führt nicht exakt darüber Buch. Zu dezentral ist der Apparat organisiert.

Bei der Stuttgarter Polizei spricht man mit Blick auf die VfB-Fans von einer „Tendenz, die Sorge bereitet“. Laut Vizepräsident Carsten Höfler handle es sich um ein Prozent der Fans, die polizeilich relevant seien. „Aber die beschäftigen uns massiv.“ Viele aktive Fanszenen bundesweit würden sich „in die falsche Richtung entwickeln“, urteilt der erfahrene Einsatzleiter. Ultragruppierungen würden immer häufiger danach streben, Macht zu demonstrieren. „Sie nehmen Gewalt nicht mehr nur in Kauf, sondern suchen sie gezielt.“

Fanprojekt sieht keine Häufung von Gewalt

Beim VfB Stuttgart hat man die Entwicklung im Blick. „Man muss die Geschichten jeweils einzeln voneinander betrachten“, betont der Fanbeauftragte Christian Schmidt. Die Einkesselung in Dortmund habe eine Vorgeschichte mit rivalisierenden Ultras der Borussia gehabt. In Freiburg waren es eher „normale“ Fans, die unter dem Einfluss von Alkohol und der unglücklichen Niederlage ihrem Frust freien Lauf ließen. In Frankfurt gilt eine Provokation seitens der Eintracht-Anhänger im Stadion als möglicher Ausgangspunkt der Keilerei auf den Bahngleisen.

Drei unterschiedlich gelagerte Fälle, die in Summe viel Aufmerksamkeit erregten und den Ruf des Stuttgarter Anhangs schädigen. Für den Fanbeauftragten Schmidt lautet die Frage, ob es „bei solchen Einzelbegebenheiten bleibt oder ob ein Trend daraus wird“. Dies gelte es nun zu untersuchen.

Indizien für gewisse Radikalisierungstendenzen sind nicht von der Hand zu weisen. Da wären zum einen die normalen Fans jenseits der organisierten Szene. Alkohol spielt hierbei häufig eine große Rolle. Auch in Frankfurt waren wieder viele Fans beider Lager zu beobachten, die jegliche Hemmungen verloren. Ein allgemeines gesellschaftliches Phänomen, das auch bei anderen Events wie beim Karneval zu Tage tritt. Von vielen Experten wird es mit der Coronazeit in Verbindung gebracht. Stichwort: Nachholbedarf.

Credo der Ultras: Bloß keine Schwäche zeigen

Auf der anderen Seite stehen die Ultras, eine in Stuttgart etwa 400 bis 500 Mann starke, höchst heterogene Gruppierung. Von den Gründervätern des Commandos Cannstatt im Jahr 1997 haben sich einige zurückgezogen, in den vergangenen Jahren kam es zu einem Generationenwechsel. Neue Gruppierungen wie die Südbande und die Crew 36 kamen hinzu und damit auch andere Verhaltensmuster und neue Dynamiken. Vieles wird durch Aktion und Reaktion bestimmt, durch Provokation, durch gegenseitiges Battlen, also zu zeigen, wer der Stärkere ist. Bloß keine Schwäche zeigen. Subkultur eben.

„Innerhalb aller Fanszenen wird der Gewaltbegriff sehr unterschiedlich ausgelegt“, sagt Can Mustafa vom Stuttgarter Fanprojekt. Der Sozialarbeiter sieht „keine Häufung von Gewalt und auch keine Radikalisierung“. Den Vorfall von Frankfurt hätte es in den „vergangenen 30 Jahren immer geben können“. Mitarbeiter des Fanprojekts waren in dem Sonderzug dabei und konnten dazu beitragen, die Situation im Anschluss wieder zu beruhigen.

Sorgenvoller Blick auf die Heim-EM 2024

Der Sozialarbeiter will nichts beschönigen. Zugleich verweist er auf „Dynamiken, die es auch bei der Polizei gibt“. Er beobachtet eine härtere Gangart, die statt Deeskalation oft das Gegenteil bewirke. Mit Blick auf Razzien in anderen Städten sieht Mustafa gar ein polizeiliches Vorgehen wie bei „organisierter Bandenkriminalität“. Wenn das so weitergeht, sagt er mit Blick auf die Heim-EM im kommenden Jahr, „haben wir bald ein anderes Problem.“

Doch was hilft, um aus der verfahrenen Situation herauszukommen? Härtere Strafen sind nach Ansicht von Fanforscher Jonas Gabler keine Lösung. Weder Stadionverbote noch personalisierte Tickets noch Punktabzüge würden nachhaltig etwas bewirken, glaubt er. Der Experte setzt eher auf selbstregulierende Effekte innerhalb der Szene. Dazu zählt auch die soziale Arbeit durch Fanbeauftragte und Fanprojekte. Beim VfB gibt es dafür zwei Vollzeitstellen – weniger als bei anderen Vereinen.