Geisterkulissen kennen die VfB-Profis schon aus ihren Heimspielen in der Europa League, doch der Gesichtsausdruck von Christian Gentner verrät: In Rom wird es richtig trostlos. Foto: dpa

Europapokal ohne Fans, das ist wie Linsen ohne Spätzle – zum Vergessen. Dabei steht für den VfB gegen Lazio Rom viel auf dem Spiel. Wie sollen die Spieler dabei Motivation und Konzentration hoch halten? Reine Kopfsache, sagen Ex-VfB-Profis, die es wissen müssen

Stuttgart/Rom - Wer einmal eine prickelnde Europapokal-Nacht live erlebt hat, der möchte dieses Hochgefühl nie mehr missen. Volle Hütte, Emotionen, Tore, Euphorie und/oder Niedergeschlagenheit. Das ist mehr, als das normale Leben in 90 oder 120 Minuten zu bieten hat. Es sind unwiederbringliche Momente, auf die der VfB an diesem Donnerstag (21.05 Uhr/Kabel 1, Sky) verzichten muss, wenn er bei Lazio Rom zum Achtelfinal-Rückspiel in der Europa League antritt.

Wegen ein paar Rassisten unter den Lazio-Anhängern hat die Uefa ein Geisterspiel angeordnet. Ein Spiel ohne Zuschauer. Für die VfB-Profis ist das neu, für den VfB nicht. 1992 musste der Verein gegen Leeds United in ein Entscheidungsspiel in Barcelona. Im Stadion Camp Nou, das 120.000 Fans fasst, verloren sich 8000 Zuschauer. Auch das war Geisteratmosphäre pur. „Du kommst aus dem Spielertunnel ins Stadion und läufst ins Leere“, sagt der damalige Stürmer Fritz Walter. „Das ist eine Stimmung, als ob du im Trainingslager in Belek gegen Wladiwostok spielst“, erinnert sich Ex-Mittelfeldspieler Andreas Buck. Ex-Verteidiger Guido Buchwald sagt: „So eine Kulisse passt nicht zur Bedeutung des Europapokals. Da fällt es unheimlich schwer, sich zu konzentrieren.“

Das gilt für den VfB jetzt genau so wie für die Generation 1992. Wobei die Umstände damals alles brisanter machten. Der VfB war der erste gesamtdeutsche Meister und voller Euphorie. Nach einem 3:0 im Neckarstadion verlor er das Rückspiel in Leeds mit 1:4, aber er war für die neu geschaffene Champions League qualifiziert – dachten alle, bevor eine Horror-Nacht anbrach.

Keiner kannte das Regelwerk

Im Überschwang der Gefühle übersah der Busfahrer die Dachkonstruktion am Stadion. Mit einem Loch in der Heckscheibe fuhr er die Mannschaft quer durch Mittelengland zum Flughafen in Manchester, doch das war das kleinste Übel. Unterwegs begannen die Tuscheleien: War alles mit rechten Dingen zugegangen? Natürlich nicht. „Wie ist das jetzt mit den vier Ausländern?“, fragte einer. Keiner kannte das Regelwerk, nur die Betroffenen. Irgendwann war klar: Trainer Christoph Daum hatte kurz vor Schluss den Vertragsamateur Jovo Simanic eingewechselt – und damit den vierten Ausländer. Erlaubt waren damals drei. Die waren im Isländer Eyjölfur Sverrisson, im Serben Slobodan Dubajic und im Schweizer Adrian Knup aber schon auf dem Platz gestanden. Nun war guter Rat teuer. Was tun? Auf dem Rückflug herrschte Grabesstille, eine gespenstische Stimmung.

Guido Buchwald und Eberhard Trautner hatten Kopfhörer übergestülpt, Thomas Strunz, Fritz Walter, Günther Schäfer und Maurizio Gaudino spielten Karten, spontan brüllte Walter: „Gibt’s doch nicht.“ Daum kauerte am Fensterplatz und döste, Manager Dieter Hoeneß beriet sich mit Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder. Mittendrin eröffnete der ahnungslose Flugkapitän Terry Butscher die Bordbar: „Wir gratulieren dem VfB. Bedienen Sie sich, bis nichts mehr da ist. Ich kümmere mich schon ums Fliegen.“

Günther Schäfer: „Wie du mit Geisterspielen zurechtkommst, ist reine Kopfsache“

Das Ende vom Lied: Die Uefa wertete das Rückspiel mit 3:0 für Leeds. Dank der Intervention des Uefa-vernetzten Mayer-Vorfelder erhielt der VfB ein Entscheidungsspiel – eben jene Partie in Barcelona. Am Vorabend schauten sich die Spieler im Stadion Camp Nou die Partie FC Barcelona gegen Teneriffa an – vor 100.000 Zuschauern. Was für ein Kontrast: Beim Spiel des VfB verloren sich tags darauf 8000 Fans in der 120.000-Mann-Arena. Es war nicht der einzige psychologische Nachteil. „Mit dem 1:4 hatten wir ja eigentlich die nächste Runde erreicht“, erinnert sich Ex-Verteidiger Günther Schäfer, „Leeds war im Vorteil, weil sie nur gewinnen konnten.“ Was sie auch taten – 2:1. Der VfB war draußen. Daums Psycho-Trick hatte nicht gewirkt. Der Trainer hatte jeden Spieler Gründe aufschreiben lassen, warum der VfB gewinnen würde. Die las er vor versammelter Mannschaft ohne Namensnennung vor. „Plötzlich waren alle überzeugt, dass wir gewinnen“, sagt Andreas Buck.

Und diesmal in Rom? „Wie du mit Geisterspielen zurechtkommst, ist reine Kopfsache“, findet Günther Schäfer. „Die leeren Ränge rauben dir als Spieler die Spannung und Konzentration“, sagt Buchwald – weshalb Andy Buck rät: „Die Spieler müssen sich immer wieder die Bedeutung der Partie in Erinnerung rufen.“

Damals ging es schief. Der VfB kam vom Kurs ab, Daum und Hoeneß beäugten sich fortan misstrauisch. „Dieses Spiel in Barcelona hat einen Bruch erzeugt“, sagt Schäfer, „da sind bei uns viele Dämme gebrochen.“ Was das für diesen Donnerstag bedeutet? „Ich habe das Spiel noch nicht abgehakt“, sagt Fritz Walter, „wenn früh das 1:0 fällt, ist alles möglich.“ Sogar ohne Zuschauer.