Die Ansprüche sind hoch: Ein 1:1 bei Union Berlin ist vielen VfB-Fans zu wenig. Foto: Baumann

Der VfB Stuttgart setzt sich oben in der Tabelle fest. Doch viele Fans erwarten noch mehr von den Stuttgartern, bei denen sie diesmal den unbedingten Siegeswillen vermissen.

Stuttgart - Als die Partie in der Alten Försterei beendet ist, holt Simon Terodde die Säge raus. Mit angewinkeltem Arm lässt der VfB-Stürmer und Schütze der schnellen Stuttgarter 1:0-Führung (3.) die geballte Faust vor und zurück schnellen. Es gibt also keinen Zweifel: Simon Terodde ist mit dem 1:1 bei seinem Ex-Club Union Berlin zufrieden. Einem Spiel, das nach einer Stunde gekippt war, als Steven Skrzybski „nach zuvor mindestens 6:0 Chancen für uns“ (VfB-Cheftrainer Hannes Wolf) der Ausgleich für die Eisernen gelungen war.

Zehn Punkte hat der VfB trotz des 1:1 aus den vergangenen vier Spielen geholt. Das ist eine Ausbeute, für die Hannes Wolf noch Mitte Oktober, als seine Elf beim 0:5 in Dresden kräftig eingeseift worden war, „sofort und blind unterschrieben“ hätte. Der VfB bleibt nach dem Berlin-Trip Tabellenzweiter, liegt also auf einem direkten Aufstiegsplatz. Weil auch Braunschweig unentschieden spielte, ist die Tabellenspitze weiter zum Greifen nah. Nach 13 Saisonspielen hat der VfB 26 Punkte auf der Habenseite. Bleibt es bei diesem Schnitt von zwei Punkten pro Spiel stehen am Saisonende 68 Punkte zu Buche; und mit 67 Zählern ist RB Leipzig in der Vorsaison als Zweiter der zweiten Liga hinten dem Meister SC Freiburg (72 Punkte) aufgestiegen. Es ist also alles gut, oder?

Von der Nummer fünf der ewigen Bundesligatabelle wird mehr erwartet

Nein, finden viele Fans, die einfach höhere Ansprüche an ihren Herzensclub, den Deutschen Meister von 2007, stellen. Als Erstliga-Absteiger und Traditionsclub mit mehr als 48 000 Mitgliedern, als die Nummer fünf der ewigen Bundesliga-Tabelle, so finden sie, sollte der VfB sich nicht mit einem 1:1 bei Union Berlin zufrieden geben. Zumal nach einem Spiel, das man lange dominierte. „Sie machen einen ganz zufriedenen Eindruck nach Abpfiff. Zum Kotzen“, findet auf Twitter ein gewisser „Seriouz“ – und legt nach: „So gut wie die Herren im Brustring (den Gegner) wiederbeleben können, wären sie als Rettungssanitäter besser aufgehoben.“ Die Online-Blogger vom „Vertikalpass“ finden: „Individuell und spieltaktisch ist der VfB allen bisherigen Gegnern in dieser Saison überlegen, es fehlt aber der unbedingte Wille, dies auf den Platz zu bringen und zwar nicht 20 oder 30 Minuten, sondern 90 plus Nachspielzeit.“

Geht es nach dem VfB-Manager, besteht zu Selbstgefälligkeit kein Anlass. „Auch ich bin mit einer kleinen Enttäuschung nach Hause gefahren, denn wir sind weiter hochambitioniert“, sagt Jan Schindelmeiser: „Also kann ich die Emotionen vieler Fans absolut nachvollziehen. Ich habe mich selbst gefragt: Wie ordne ich dieses Ergebnis ein?“

Andererseits könne man vom VfB nicht den Wiederaufstieg mit 34 Siegen erwarten. „Die Stärken von Gegnern wie Union Berlin nicht zur Kenntnis zu nehmen“, sagt Schindelmeiser, „das wäre arrogant und wenig respektvoll gegenüber der Konkurrenz.“ Das gelte trotz des Umstandes, das der VfB zwischen St. Pauli und Sandhausen mittlerweile meist als die größte Hausnummer des deutschen Fußball-Unterhauses, als eine Art FC Bayern München der zweiten Liga, abgefeiert wird. „Die Schwaben wirkten wie ein Bundesligist, der aus Versehen im Fußball-Unterhaus vorbeischaut“, schrieb etwa der „Berliner Kurier“ nach dem 1:1 von Berlin-Köpenick: „Gedanklich schneller, agiler und einfach präsenter. Union hingegen war einfach nur ein klassischer, etwas bieder auftretender Zweitligist.“

Hannes Wolf ist mit dem Auftritt des Teams zufrieden

Sollte der VfB die Messlatte also künftig höher legen, wenn es um die eigene Erwartungshaltung geht? Muss sich der Club eine neue Attitüde zulegen, quasi als die Zweitliga-Antwort auf das bayerische Mia-san-Mia-Gefühl? „Ich hätte auch gerne gewonnen“, sagt Hannes Wolf: „Wenn man aber die zweite Liga ernst nimmt, dann darf man über das 1:1 von Berlin nicht todtraurig sein. Das ist eben der Fußball.“ Vielmehr, findet der Chefcoach, müsse man auch die spielerische Entwicklung seiner Profis in die Beurteilung einfließen lassen. Den Spielern hatte der Trainer mit dem erstmals erprobten 3-2-4-1-System auch taktisch einiges abverlangt. „Mit der Art, wie wir Fußball gespielt haben“, findet Hannes Wolf, „kann ich gut leben. Wir kommen mit den Spielern also inhaltlich gut voran.“