Die Heimspiele des VfB sind derzeit unabhängig vom Gegner schon Wochen im Voraus ausverkauft. Das hat natürlich mit der sportlichen Erfolgsserie zu tun – aber nicht nur.
Für Kurzentschlossene sind die Zeiten nicht gerade rosig. Wer in diesen Tagen ein Bundesliga-Spiel des VfB Stuttgart live im Stadion verfolgen möchte, muss seinen Besuch langfristig planen. Sämtliche Partien sind Wochen im Voraus ausverkauft – selbst gegen Mannschaften wie zuletzt Darmstadt 98, die nicht gerade einen Ruf als Publikumsmagnet haben. Der VfB zieht, völlig unabhängig vom Gegner. Und er bietet seinen Fans in dieser Saison im heimischen Stadion ja auch richtig viel. Drei Spiele, drei Siege, 13 Tore. Die Euphorie in Bad Cannstatt kommt nicht von ungefähr.
Aber: Der Boom ist älter als die derzeitige Erfolgsserie, zumindest in seinem Ursprung. Schon vor der Saison vermeldete der VfB einen neuen Dauerkarten-Rekord mit 33 200 verkauften Stammplätzen, auch die Zahl der Mitglieder steigt und steigt und hat mit 85 000 unlängst ebenfalls einen neuen Höchstwert erreicht.
Beide Werte hängen zusammen: Mitglieder erhalten ein Vorkaufsrecht für Tickets – für viele Anhänger ein gewichtiges Argument für den Jahresbeitrag von 60 Euro, da es für mehrere Partien gar keinen freien Verkauf mehr gibt. Alleine in der vergangenen Saison sind rund 10 000 neue Mitglieder beim VfB eingetreten.
Nachholbedarf nach der Coronapandemie
Das ist fraglos eine Menge Holz für ein Jahr im Dauerabstiegskampf – und ein Stück weit auch auf die Coronapandemie zurückzuführen. So fern die Geisterspiele heute auch scheinen mögen, lange her sind sie nicht: Noch zu Beginn des vergangenen Jahres empfing der VfB in der Bundesliga RB Leipzig vor 500 Zuschauern. „Es gab einen Nachholbedarf“, sagt Daniel Memmert von der Sporthochschule Köln. „Die Coronadelle ist vollständig weg. Die Menschen freuen sich auf Live-Erlebnisse und haben Lust auf Events.“ Zu beobachten ist das insbesondere bei Traditionsclubs wie dem VfB, während andere Vereine um ein volles Stadion kämpfen müssen und es teils nur dank vieler Auswärtsfans erreichen. Die TSG Hoffenheim oder der FSV Mainz 05 etwa.
In Stuttgart hat sich der Eventcharakter mit gut besuchten Heimspielen über die Jahre entwickelt – mit einem punktuell starken Schub, der sich zeitlich relativ genau eingrenzen lässt: In der Saison 2005/06 lag der Zuschauerschnitt bei 39 000, zwei Jahre später bei rund 50 000 – und fiel bis zur Coronapandemie nicht mehr unter diese Marke, lässt man einmal die Zeit während des Arena-Umbaus mit eingeschränkten Kapazitäten außen vor.
Woher der Anstieg gerade in diesen beiden Jahren kam? Zum einen spielten natürlich der Erfolg des VfB und die überraschende Meisterschaft 2007 eine Rolle, zum anderen aber auch die Weltmeisterschaft im eigenen Land ein Jahr zuvor. „Der Fußball ist dadurch in Deutschland als Unterhaltungsprodukt in der Mitte der Gesellschaft angekommen“, sagt der Fanforscher Harald Lange. Die Sportart habe ein neues, noch breiteres Publikum erschlossen. Und es ist geblieben, bis heute.
Niedrigere Ticketpreise als in England
Für Daniel Memmert liegt das auch in der verhältnismäßig moderaten Preisstruktur begründet: „Die Bundesliga schafft da einen guten Spagat zwischen Attraktivität und Bezahlbarkeit bei den Ticketpreisen.“ Der günstigste Dauerkarten-Sitzplatz kostete beim VfB in dieser Saison 360 Euro (21 Euro pro Spiel) – in der englischen Premier League verlangen viele Vereine das Doppelte. Für Lange wäre das hierzulande nicht vorstellbar: „Da würde extrem viel Gegenwind kommen. Die Fans sind in Deutschland eine wichtige Stimme.“ Und eine, die Woche für Woche in den Stadien wahrnehmbar ist – wo der Anhang längst nicht mehr nur eine reine Zuschauerrolle innehat, sondern ein fester Bestandteil des Events ist.
Beispiel VfB. Kurz vor Anpfiff hallte am Freitagabend beim Spiel gegen die Darmstädter Wolle Kriwanek mit „Stuttgart kommt!“ durch die Arena – bis die Lautsprecher verstummten. Die Fans übernahmen, führten das Lied zu Ende, die Einlaufmusik kam von den Rängen statt aus den Boxen. „Die Fans sind inzwischen ein Teil des Ganzen, ein integrativer Kern“, sagt Lange, „der Stadionbesuch ist ein kollektives Gemeinschaftserlebnis, das mehr als nur ein Fußballspiel umfasst.“
Das lässt sich an vielen weiteren Indikatoren ablesen, die sich beim VfB mit der Zeit etabliert haben. An den aufwendigen Choreografien in der Cannstatter Kurve, die regelmäßig aus allen Ecken des Stadions Blicke und Kameras auf sich ziehen. An der kurzzeitigen Aufgabe sämtlicher Sitzplätze („Steht auf, wenn ihr Schwaben seid“) und den sich anschließenden Wechselgesängen zwischen den beiden gegenüberliegenden Kurven. Die Mannschaft nimmt das alles wahr, VfB-Trainer Sebastian Hoeneß hatte die Fans unlängst als „krassen Faktor“ bezeichnet. Ein Bundesliga-Heimspiel hat er seit seinem Amtsantritt im April bis heute noch nicht verloren. In immerhin sieben Partien.
Nummer acht steht am 7. Oktober an. Der Gegner? Mit dem VfL Wolfsburg kein besonders spektakulärer. Das Spiel ist dennoch wieder ausverkauft. Seit Wochen schon.