Setzt beim VfB auf Dialog: Präsidentschafts-Kandidat Wolfgang Dietrich Foto: dpa

Kein Ehrenrat, aber Briefwahl – mit Wolfgang Dietrich als Präsident will der VfB eine andere Diskussionskultur einführen. Noch aber ist der 68-Jährige ein Kandidat im Wahlkampf, der dabei ist, bei den Mitgliedern des Vereins Überzeugungsarbeit zu leisten.

Stuttgart - Natürlich wird beim VfB Stuttgart gerade viel geredet. In unterschiedlicher Besetzung und mit der gewohnten Emotionalität. Um die Zukunft geht es meistens. Wobei die sportlichen Themen an erster Stelle stehen, aber auch vereinspolitische Diskussionen drängen verstärkt in den Vordergrund. Schließlich rückt die Mitgliederversammlung des Fußball-Zweitligisten am 9. Oktober näher – und mit ihr die Frage, ob Wolfgang Dietrich der neue Vereinspräsident wird.

Spannende Wochen sind das also wieder einmal beim VfB, auch für Dietrich selbst, der sich vom Aufsichtsrat hat offiziell nominieren lassen und nun erstmals in einer Situation steckt, die der 68-jährige Unternehmer so gar nicht kennt: Er muss sich um ein Amt bewerben, Wahlkampf führen, Überzeugungsarbeit leisten. „Es war mir wichtig, zuerst alle Mitglieder in der „Dunkelrot“ erste Informationen zukommen zu lassen. Jetzt finden weitere Gespräche mit verschiedenen Gruppierungen statt“, sagt Dietrich. Viel reden muss er also, um seine Pläne darzulegen. Die sehen zunächst einmal drei Hauptpunkte vor. Zwei davon sind – unabhängig von Dietrich – das Ergebnis der vorangegangenen Vereinsentwicklung und waren Grundbedingungen für Dietrichs Kandidatur. Den dritten Punkt zur Stärkung der Mitgliederrechte hat er selber noch miteingebracht.

Es soll eine breitere Diskussionskultur etabliert werden

Erstens: der Ehrenrat soll durch einen Vereinsbeirat ersetzt werden, der von den Mitgliedern gewählt wird. Zweitens: künftig soll die Möglichkeit zur Briefwahl beziehungsweise Online-Abstimmung bestehen, um sich an Entscheidungen der Mitgliederversammlung zu beteiligen. Beides erfordert jedoch eine Satzungsänderung. Und drittens will Dietrich auch Mitgliederausschüsse einberufen, um das Expertenwissen im Club zu nutzen.

„Dadurch soll im Verein eine breitere Diskussionskultur etabliert werden und die Möglichkeit zu mehr Mitsprache herrschen“, sagt Dietrich. Ein Demokratisierungsprozess also, der auf den Regionalversammlungen zuletzt stets von Mitgliedern eingefordert wurde und dessen Notwendigkeit sich aus Sicht der VfB-Spitze am Kreislauf der Gremienbesetzungen aufzeigen lässt. Bisher bestellte der Ehrenrat den Aufsichtsrat, dieser schlug den Präsidentschaftskandidaten vor, der einmal gewählt, die restlichen Vorstandsmitglieder berief und diese zeichneten wiederum für den Ehrenrat verantwortlich.

Das soll sich nun ab Herbst ändern. Wofür dann eine Dreiviertelmehrheit notwendig wäre. Sicher ist diese nicht. Wie so vieles gerade an der Mercedesstraße, denn es sind bewegte Zeiten beim Verein für Bewegungsspiele – gerade weil einem der VfB in den vergangenen Jahren trotz vieler Entlassungen und Verabschiedungen (allein in den vergangenen zwölf Monaten sind ein Präsident, ein Manager, zwei Trainer und drei Aufsichtsratsmitglieder gegangen) teilweise wie gelähmt vorkam.

Doch mit einem neuen Präsidenten Wolfgang Dietrich will der VfB einen Neuanfang wagen. Nicht ohne Risiko ist dieses Vorhaben, weil sich an der Biografie des Auserwählten ständig Diskussionen entzünden. Sprecher des umstrittenen Bahnprojekts Stuttgart 21 ist er gewesen und Geschäftsführer der Quattrex AG, einem Unternehmenskonstrukt, das im Fußball Geld verdient. Aus beiden potenziellen Problembereichen hat sich Dietrich (seit 2010 aus dem operativen Geschäft der Quattrex) herausgenommen und sagt: „Ob ich nun VfB-Präsident werde oder nicht: S 21 bleibt in der Diskussion – im Land, in der Stadt, in Firmen und Vereinen, sogar in Familien.“

Der „Diener des Vereins“

Nichts soll auch seine frühere Investorentätigkeit mit dem VfB zu tun haben. Was schon die Vereinssatzung und auch die Statuten der Deutschen Fußballliga nicht erlauben. Der Ligaverband DFL ist auch über die Schritte des VfB informiert, Einwände gab es bisher keine. Deshalb versucht die Clubführung weiter, die Kommunikations- und Entscheidungswege zu modernisieren. Dazu gehört ein ganzes Paket an Änderungen in der Satzung. Denn bei 47 000 Mitgliedern muss die Ankündigung der Mitgliederversammlung ja nicht mehr zwingend per Postsendung erfolgen. Dafür lässt sich das Internet nutzen. Ebenso, um die bislang schweigende Mehrheit zum Mitmachen zu bewegen – ohne selbst stundenlang in der Schleyer-Halle sitzen zu müssen. „Das ist eine Chance, den Demokratieprozess zu forcieren“, sagt Dietrich.

Er selbst will seine – sofern er sie mit der Wahl erhält – entschlossen ergreifen: als ehrenamtlicher Präsident. „Nur das garantiert meine Unabhängigkeit“, sagt der Leonberger, der nicht in den Ruch kommen will, Vereinspolitik in einer Art zu betreiben, die ihm einen neuen Vertrag einbringt, um dann wiederum einen neuen Sportvorstand einstellen zu können. Dietrich hat ein ganz anderes Selbstverständnis. Er sieht sich als „Diener des Vereins“, auch als Moderator zwischen den klassischen Konfliktfeldern eines Trainers und eines Managers. Hier derjenige, der um jeden Preis schnellen Erfolg bringen muss. Dort derjenige, der die Entwicklung der Mannschaft und des Vereins im Sinn haben muss. Doch am Ende, so Dietrich, dürfen alle beim VfB das eigentliche Ziel nicht aus den Augen verlieren: Die Stuttgarter siegen zu sehen.