Nach Thomas Hitzlspergers Entscheidung, den VfB Stuttgart zu verlassen, müssen viele offene Fragen beantwortet werden. Nicht nur jene, wer den Posten des Vorstandsvorsitzenden übernehmen könnte.
Stuttgart - Bis zum letzten Vertragstag will sich Thomas Hitzlsperger für den VfB Stuttgart voll engagieren. So hat es der Vorstandsvorsitzende mehrfach betont, als er seinen Ausstieg im Herbst 2022 ankündigte. So ist er auch mit dem Aufsichtsrat vereinbart. Das Kontrollgremium der AG saß am Donnerstag zusammen, um sich mit der neuen Situation weiter auseinanderzusetzen. Antworten müssen her – und dabei gibt es ja keinen Transfermarkt für etablierte Vorstandsvorsitzende oder talentierte Führungskräfte. Weshalb der VfB zuletzt mit einer Agentur zusammenarbeitete. Und diesmal? Das ist nicht die einzige Frage, die sich jetzt stellt.
Frage 1: Bedeutet Hitzlspergers Rückzug einen Sieg für Präsident Vogt?
Der Schlusspunkt des großen Machtkampfs zwischen Thomas Hitzlsperger und Claus Vogt, der den VfB zu Jahresbeginn ins vereinspolitische Chaos gestürzt hatte, war die Mitgliederversammlung am 18. Juli. Mit dem Traumergebnis von 92,2 Prozent wurde der Präsident im Amt bestätigt. Schon zuvor und auch danach war Vogt bemüht, Eintracht zu demonstrieren und Hitzlsperger zum Bleiben zu bewegen. Auch das neue Präsidiums- und Aufsichtsratsmitglied Christian Riethmüller warb energisch um eine Vertragsverlängerung. Bedeutet: Die Machtverhältnisse mögen sich verschoben haben – Gegner im eigenen Verein hat Hitzlsperger nicht.
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Sein Rückzug ist daher keineswegs ein Erfolg für Vogt – vielmehr erhöht er den Druck auf den Präsidenten und die neu besetzten Gremien. Lange war Vogt vor allem damit beschäftigt, Attacken abzuwehren – jetzt muss er zeigen, dass er auch gestalten und einen Club führen kann. Die Türen zu möglichen Investoren dürften sich ohne Hitzslperger nicht leichter öffnen. Der weltgewandte Ex-Nationalspieler gab dem VfB ein positives Image, da er für Innovation, Diversität und Nachhaltigkeit steht.
Frage 2: Wie reagiert das Umfeld auf Hitzlspergers Entscheidung?
Wie üblich kommen die Unkenrufe nicht zuletzt aus den Reihen des VfB-Freundeskreises, in dem eine von langer Hand geplante Verschwörung gewittert wird. Mit Hitzlspergers Rückzug, so wird nun gestreut, sei das Ziel in greifbare Nähe gerückt – nämlich die Übernahme des Vorstandsvorsitzes durch Vogt und die vollständige Unterwanderung des Clubs durch seine Getreuen. Es bedarf blühender Fantasie, sich einen solchen Masterplan auszudenken. Einerseits mag sich Vogt manches zutrauen – das Amt des Vorstandsvorsitzenden gehört gewiss nicht dazu. Andererseits würden es die neu gewählten Gremienmitglieder mit Recht als Beleidigung empfinden, würde man in ihnen brave Vasallen des Präsidenten sehen.
Als herber Rückschlag wird Hitzlspergers Entscheidung zwar nicht allein im VfB-Freundeskreis gesehen – im organisierten Anhang in der Kurve hingegen hält sich das Bedauern vielerorts in Grenzen. Mit seinem offenen Brief und dem Ansinnen, das Präsidentenamt übernehmen zu wollen, hatte der zuvor unantastbare Clubchef viel Vertrauen verspielt. Als logische Konsequenz wird nun bei vielen Fans sein Rückzug gewertet.
Frage 3: Wie sieht das Anforderungsprofil des neuen Vorstandschefs aus?
Das neue Anforderungsprofil wird sich sicher nicht zu sehr vom alten unterscheiden – und das steckt in einer Schublade des Aufsichtsrates. Es ist erst zwei Jahre her, dass Hitzlsperger diesen Posten nach längerem Auswahlverfahren übernommen hat. Erfahrungen in der Geschäftsleitung werden zum Beispiel erwartet, Vertriebs- und Marketingerfahrung in einem konkurrenzfähigen lokalen und nationalen Umfeld, solide Kenntnisse im Finanzmanagement sowie Recht und Compliance.
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Thomas Hitzlsperger erfüllte einige dieser Voraussetzungen nicht. Weshalb das Anforderungsprofil angepasst wurde. „Der VfB hat mir eine Riesenchance gegeben“, sagt der 39-Jährige – und will seine Expertise und Erfahrungen bei der Nachfolgesuche einbringen, sofern er gefragt wird. Als möglicher Kandidat wird bereits Alexander Wehrle gehandelt, der Geschäftsführer des 1. FC Köln. Robert Schäfer (Hannover 96) und Andreas Rettig (Viktoria Köln), die in den vergangenen Jahren immer mal wieder mit dem VfB in Zusammenhang gebracht wurden, besetzen mittlerweile andere Posten. Mit der frühzeitigen Verkündung seiner Entscheidung wollte Hitzlsperger dem Club genug Zeit für den Auswahlprozess geben. Sollte jemand schon eher zur Verfügung stehen, ist es in der Branche üblich, dass die scheidende Person auch früher aus ihrem Vertrag aussteigt.
Frage 4: Wird der Vorstand in Zukunft drei- oder vierköpfig besetzt sein?
Mit dieser Frage beschäftigt sich der Aufsichtsrat intensiv. Bislang sind in der VfB AG nur drei Vorstandsmitglieder bestellt, weil Hitzlsperger als AG-Chef und Sportvorstand eine Doppelfunktion ausfüllt. Daneben ist Thomas Ignatzi als Nachfolger von Stefan Heim für die Finanzen verantwortlich und ab nächstem Jahr Rouven Kasper für das Marketing. Insofern wird der künftige Vorstandschef keine eigenen Leute mitbringen, zumindest nicht auf oberster Ebene.
Hitzlsperger hat zudem eine Strukturreform umgesetzt. Erst seit Kurzem wird in dieser neuen Organisationsform gearbeitet. Entscheidend für den Kernbereich Sport ist jedoch, ob Sven Mislintat die Funktion des Sportvorstandes angetragen wird – und ob er annimmt. Der Sportdirektor ist der starke Mann, wenn es um die Trainerfrage und die Kaderplanung geht. Es erscheint schwer vorstellbar, dass eine externe Größe in dieser Konstellation Sportvorstand werden will.